Aminadab m’a été donné par saint Jean de la Croix que j’ai beaucoup lu jadis, traduisant même ses admirables poèmes. Aminadab est comme le gardien de l’énigme de la ‚Nuit obscure‘. J’en dirais plus, si les écrits de St Jean étaient ici pour réveiller ma mémoire. Mais tous mes livres sont dispersés comme mes textes du reste.1
Der Verweis auf Aminadab zu Beginn des oben zitierten Briefausschnitts deutet in zwei Richtungen, zum einen auf Blanchots 1942 veröffentlichten Roman Aminadab, zum anderen auf die Herkunft dieses Titels als Effekt der Lektüren mystischer Texte San Juans – Aminadab tritt als Figur in der letzten Strophe des Cántico espiritual auf. Wer er ist und ob er überhaupt eine wesenhafte Erscheinung bezeichnet, ist nicht mit Eindeutigkeit festzumachen. Wie Bernhard Teuber in seiner Auslegung des Lexems ‚Aminadab‘ zeigt, bewegen sich die Deutungsmöglichkeiten vom „Wagenlenker“ der Braut des biblischen Hohelieds, über „Satan“ und „Christus“ bis hin zu Zergliederung der Signifikanten in „a mí nada“2. Wenn Blanchot in seinem Brief an Pierre Madaule schreibt, dass Aminadab ihm von San Juan de la Cruz „gegeben“ wurde, dessen Werk er darüber hinaus aufgrund eigener Übersetzungen der – von Blanchot mit dem Adjektiv „admirables“ bewerteten – Gedichte bestens zu kennen betont, dann verdeutlicht er damit auch, dass er sich der Vielschichtigkeit dieses Namens und seiner Einbettung in eine besondere Form der christlichen Mystik bewusst ist. Dabei handelt es sich um eine Mystik, die sich sehr affirmativ der Nacht zuwendet und sie insbesondere im Gedicht „Noche oscura“ – von Blanchot in der französischen Form „Nuit obscure“ erwähnt – als Erkenntnisgrund setzt. In Aminadab sieht Blanchot den Türhüter dieser „Dunklen Nacht“ des Heiligen Johannes vom Kreuz, wobei auch an dieser Stelle die Trennung zwischen Blanchots Aminadab und der im Cántico espiritual vorkommenden Lautkette ‚Aminadab‘ nicht streng vollzogen, ja vielmehr gerade als Dopplung und Ambiguität sehr deutlich offen gelassen wird. Blanchots Verweis auf seine intensive Auseinandersetzung mit San Juan ist zudem zu entnehmen, dass sie in der Vergangenheit liegt. Da der Brief zeitlich entweder dem 30.12.1985 (Blanchots eigene Datierung auf dem Brief) oder dem 30.12.1989 (Poststempel) zuzuordnen ist3 und der Roman Aminadab 1942 ein Jahr nach der Erstfassung von Thomas l’Obscur erschien, lässt sich folgern, dass Blanchot sich schon in den Jahren vor 1942 intensiv mit der Denkfigur der noche oscura beschäftigt hat und seine denkerische Leidenschaft für die Nacht in Thomas l’Obscur, ebenso wie in Aminadab und insbesondere den frühen literaturkritischen Essays ihren Ausgang von der frühneuzeitlichen spanischen Mystik nimmt. Blanchots Denken bekennt sich zur Nacht, nicht jedoch zu Gott. In der dunklen, gottlosen Nacht aber, aus der es kein Entkommen gibt, die fasziniert ohne zu bergen, findet Blanchot eine Denkfigur, die sein Werk bis in die späten Texte durchzieht.
Denn der Tag ist für Blanchot verbunden mit Ordnung, Licht und Rationalität, mit gesetzten Aussagen und allzu festen Strukturen, wohingegen die Literatur, und insbesondere die Dichtung, ihren Ort in der Nacht als Raum des Unkontrollierbaren und Kreativen hat. Der Tag bricht an, die Nacht bricht ein. Jedoch läuft die Nacht Gefahr, gebändigt und als dichotomisches Gegenstück des Tages gedacht zu werden: sei es als ein Zustand der zu überwindenden Orientierungslosigkeit, Passivität oder Ausgesetztheit, sei es als romantischer Zufluchtsort des nach Verschmelzung mit sich und dem Universum strebenden Ichs. Eine weitere Möglichkeit der Abschwächung besteht darin, die Nacht mit Gespenstern, Monstern, Gewalt und Verdammnis zu bevölkern und dadurch ihre Leere anhand von abschreckenden Gestalten zu überdecken.
All diese Aspekte versucht Blanchot zu überschreiten, indem er die Nacht, die er auch als première nuit, als erste Nacht, bezeichnet, von einer radikaleren und absoluteren Nacht, der ‚autre‘ nuit, abgrenzt. Die andere Nacht Blanchots bezeichnet damit explizit nicht, wie etwa bei Gérard Genette4, das Andere des Tages, sondern vielmehr das Andere der Nacht.5 Die ‚autre‘ nuit ist folglich als eine Nacht aufzufassen, die keine Opposition im Sinne einer Dialektik zulässt und somit als radikales Außen und radikales Anderes (der Schrift oder auch des Erkennens), das kein Innen determiniert, zu verstehen ist.
Nur das Tagesdenken maßt sich an, die andere Nacht, die man sich gerade nicht aneignen kann, vereinnahmen zu wollen. Das Nachtdenken hingegen weiß um dieses Unbegreifliche und Uneinholbare der anderen Nacht.
Quand on oppose la nuit et le jour et les mouvements qui s’accomplissent, c’est encore à la nuit du jour qu’il est fait allusion, cette nuit qui est sa nuit […]. Mais l’autre nuit est toujours autre. C’est dans le jour seulement qu’on croit l’entendre, la saisir. […] Mais, dans la nuit, elle est ce avec quoi l’on ne s’unit pas, la répétition qui n’en finit pas […] la scintillation de ce qui est sans fondement et sans profondeur.6
In L’espace littéraire benennt Blanchot das, was jede Bewegung überschreitet bzw. fundiert, mit der ‚autre‘ nuit. Er setzt das ‚autre‘ durchgängig kursiv und verweist derart von der Ebene der Signifikanten auf eine Metaebene, die die andere Nacht als infinite Verschiebung ausmacht.7 Die andere Nacht ist immer anders als alles, was bezeichnet werden kann, und referiert als Aufflackern des Ungrunds auf ein sich stets entziehendes und verschiebendes A/anderes.
Diese radikale Negativität und Alterität rückt Blanchots Konzeption der anderen Nacht in deutliche Nähe zu jenen Formen der Annäherung an Gott, wie sie in der Tradition der negativen Theologie seit Proklos’ Deutung der ersten Hypothese des platonischen Parmenides, über den dreistufigen Weg der Negation des Dionysius Areopagita und insbesondere seit Nikolaus von Kues bekannt sind.8 San Juans noche oscura und vor allem die von ihm in ihrer gesteigerten Nächtlichkeit noch einmal gegen die „Nacht der Sinne“ abgegrenzte „Nacht des Geistes“ steht nicht nur in dieser Tradition, sondern scheint mir auch den zentralen Nexus zu Blanchots ‚autre‘ nuit herzustellen:
Es [der zweite, tiefere Teil des Glaubens bzw. der Nacht bzw. das dritte Durchschreiten der Nacht; Anm. der Verfasserin] también más oscura que la primera, porque ésta pertenece a la parte inferior del hombre, que es la sensitiva y, por consiguiente, más exterior; y esta segunda de la fe pertence a la parte superior del hombre, que es la racional, y por el consiguiente, más interior y más oscura […]. Y así, es bien comparada a la media noche, que es lo más adentro y más oscuro de la noche.
Pues esta segunda parte de la fe habemos ahora de probar cómo es noche para el espíritu, así como la primera lo es para el sentido.9
Die zweite Nacht ist dunkler und verstörender als die erste. Von ihr wird wesentlich das weiter innen und damit im Dunkleren liegende Denken des Menschen erfasst. Sofern sie als Nacht der Nacht verstanden wird und damit die Dunkelheit als Abwesenheit des Lichts verdoppelt, bezeichnet die noche oscura jene existenzielle Entzogenheit und Differenz, die im 20. Jahrhundert in der ‚autre‘ nuit unter anderen Vorzeichen wiederkehrt. Die andere Nacht ist das radikal A/andere, das für einen die Innerlichkeit invadierenden Prozess steht. Statt einer Letztbegründungsebene setzt Blanchot die Denkfigur der ‚autre‘ nuit, die weniger Gott, als dem Tod zugewandt ist. Während der Gang durch die dunkle Nacht ein notwendiger Prozess des Ich-Sterbens hin zu Gott ist, wird die andere Nacht Blanchots zur Fährte, den Tod zu schreiben, zu lesen und als Grenze auswegslos zu erfahren.
Nachtdenken
Wo bist du, Nachdenkliches! das immer muß
Zur Seite gehn, zu Zeiten, wo bist du, Licht?
Wohl ist das Herz wach, doch mir zürnt, mich
Hemmt die erstaunende Nacht nun immer. 1
Friedrich Hölderlin
Das Nachtdenken ist ein Nachdenken über die Nacht, ein Die-Nacht-Denken und Denken der Nacht. Letzteres sucht in der Nacht eine eigene Form der Logik, die anders funktioniert als die binäre Logik und bis zu einem gewissen Grad mit der Traumlogik vergleichbar ist. Nachtdenken heißt die Welt zerdenken. Das Nachtdenken Blanchots ist ein Denken,