Theorien der Literatur VII. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Theorien der Literatur
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000614
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2: Edouard Manet (1832–1883) Emile Zola. 1868. Öl auf Leinwand. H. 146.5; L. 114 cm. © RMN-Grand Palais (Musée d‘Orsay).

      Zola stellt seine Ekphrasis unter das Vorzeichen der Erinnerung:

      Je me rappelle les longues heures de pose. Dans l’engourdissement qui s’empare des membres immobiles, dans la fatigue du regard ouvert sur la pleine clarté, les mêmes pensées flottaient toujours en moi, avec un bruit doux et profond. […]7

      Die Retrospektive auf die Vergangenheit tritt an die Stelle präsentischer Bildbetrachtung. Taubheit und Schläfrigkeit assoziiert sein Gedächtnis, einen un-sinnlichen Zustand. Zudem bezieht Zola sich auf eine Sinnesempfindung, die im toten Winkel der Malerei liegt: den Hörsinn. Weiter heißt es:

      Par moments, au milieu du demi-sommeil de la pose, je regardais l’artiste, debout devant sa toile, le visage tendu, l’oeil clair, tout à son oeuvre. Il m’avait oublié, il ne savait plus que j’étais là, il me copiait comme il aurait copié une bête humaine quelconque, avec une attention, une conscience artistique que je n’ai jamais vues ailleurs. [….]8

      Zola wendet die Perspektive des Malers und des Bildbetrachters gleichermaßen um: Sein autobiographisches Ich als Objekt der bildlichen Darstellung erwidert den Blick, schaut aus dem Bild heraus. Er erinnert sich, während der Maler ihn während des Malens zu vergessen haben scheint – auch hier ein Verweis auf den Paragone der Künste als Medien von Erinnerung und Gedächtnis. In Zolas Bildbeschreibung folgt ein Dialog, ausgelöst durch dessen Vorschlag, bei der künstlerischen Darstellung der Imagination größeren Raum zu geben:

      Ce qui m’a étonné moi-même a été la conscience extrême de l’artiste. Souvent, quand il traitait un détail secondaire, je voulais quitter la pose, je lui donnais le mauvais conseil d’inventer. ‘Non, me répondait-il, je ne puis rien faire sans la nature. Je ne sais pas inventer. Tant que j’ai voulu peindre d’après les leçons apprises, je n’ai produit rien qui vaille. Si je vaux quelque chose aujourd’hui, c’est à l’interprétation exacte, à l’analyse fidèle que je le dois.’ Là est tout son talent. Il est avant tout un naturaliste.9

      Zola wendet Manets Eingeständnis des imaginativen Unvermögens als malerisches Talent im Zeichen naturalistischer Ideale – vergleicht man diese Äußerung jedoch mit den in Le Roman expérimental vertretenen Positionen, so wird deutlich, dass der hier entwickelte und scheinbar mitgetragene Gegensatz von Imagination und detailgetreuer Analyse für die Literatur keine Geltung hat. Der literarische Naturalismus Zolas vermag seinem Programm nach Positivismus und künstlerische Schöpfungskraft zu vereinen. Zwar überlässt sich der naturalistische Roman nicht der ‘reinen Imagination’, versucht seinen sentiment personnel zu kontrollieren und sieht sich an Beobachtung gebunden, wie Zola schreibt:

      […] c’est l’investigation scientifique, c’est le raisonnement expérimental qui combat une à une les hypothèses des idéalistes, et qui remplace les romans de pure imagination par les romans d’observation et d’expérimentation.10

      Jedoch ‘dirigiert’ der naturalistische Dichter nach der Poetik Zolas die positivistisch beobachteten Tatsachen in seinem Werk so, dass es die Mechanismen der Wirklichkeit ersten Grades zur Darstellung zu bringen vermag. Hier entsteht der für die Literatur notwendige Freiraum, der sich von ‚reiner Beobachtung‘ genauso emanzipiert weiß wie von reiner Imagination:

      Nous partons bien des faits vrais, qui sont notre base indestructible; mais, pour montrer le mécanisme des faits, il faut que nous produisons et que nous dirigions les phénomènes; c’est là notre part d’invention, de génie dans l’œuvre […] Ainsi donc, au lieu d’enfermer le romancier dans des liens étroits, la méthode expérimentale le laisse à toute son intelligence de penseur et à tout son génie de créateur.11

      Und auch die folgende Passage ist nur bei naiver Lektüre als Ausdruck ungebrochener tiefster Bewunderung zu sehen:

      Ce portrait est un ensemble de difficultés vaincues ; depuis les cadres jusqu’au fond, depuis le charmant paravent japonais qui se trouve à gauche, jusqu’aux moindres détails de la figure, tout se tient dans une gamme savante, claire et éclatante, si réelle que l’oeil oublie l’entassement des objets pour voir simplement un tout harmonieux.12

      Die Malerei tut sich schwer, sie ist bei der von Zola als Ideal gesetzten naturalistischen Darstellung mit Hindernissen konfrontiert, die Manet als Ausnahmeerscheinung überwunden hat, sein Werk aber trotzdem noch als ein Ensemble dieser genommenen Hürden erscheinen lässt – wenngleich eine Hürden-Komposition, die einen harmonischen Gesamteindruck erzielt, weil das Auge die Disparatheit ‚vergisst‘ – ein kleiner Seitenhieb auf die Malerei, die von der Schwäche des leicht täuschbaren menschlichen Gesichtssinnes profitiert. Zola fährt fort und bedient sich der rhetorischen Figur der Paralipse, um auf die Detailhaftigkeit aufmerksam zu machen, für die er Manet schätzt – auch wenn die naturalistische Malerei grundsätzlich nicht an die Literatur heranzureichen vermag:

      Ich spreche erst gar nicht von den Objekten, von den Accessoires und Büchern, die auf dem Tisch herumliegen: Edouard Manet hat sich hier als Meister bewährt. Sondern ich empfehle ganz besonders die auf dem Knie der Figur ruhende Hand; das ist ein Wunderwerk. Hier endlich einmal Haut, echte Haut, ohne lächerliche Augentäuschung.13

      Das ‚Wunderwerk‘ besticht nach Zola gerade dadurch, dass es seine ‚Echtheit‘ nicht aus dem Versuch gewinnt, das Auge zu täuschen und die Grenzen zwischen Realität und Kunst zu vermischen. Mimesis bedeutet immer Wirklichkeit zweiten Grades, und Literatur und Malerei werden gleichermaßen lächerlich, wenn sie das zu vertuschen suchen.

      In einer noch grundsätzlicheren Hinsicht und durch eine grundlegende Strategie ist die Bildbeschreibung Zolas Auszug aus dem Salon de 1868 nicht nur Lob des naturalistischen Malers, sondern ein Plädoyer im Kontext der Paragone-Debatte: Zola entscheidet sich für ein ekphrastisches Künstlerlob, das zugleich auf jene blinde Flecken des bzw. eines jeden Gemäldes verweist, die in den Bereich spezifisch literarischer Kompetenzen fallen. Zolas ‚Bildbeschreibung‘ ist keine Beschreibung des Porträts, sondern eine Beschreibung seines Herstellungsprozesses. Er beschreibt, wie der Künstler Manet ihn malte und vor allem, welche Perspektiven der Rückblick des Porträtierten eröffnete und welche Bereiche des (geräuschvollen) Fühlens und Denkens für den Maler unerreichbar bleiben mussten – trotz aller ‚naturalistischer‘ Professionalität. Die Umkehrung des Blicks und die Flexibilität der Fokalisierung sind es, die die Literatur in die Waagschale der Künste wirft. Der Paragone zwischen Photographie einerseits und Malerei und Literatur andererseits wäre für Zola leicht entschieden.14 Im Paragone zwischen naturalistischer Malerei und naturalistischer Literatur sieht sich Zola gezwungen, subtiler zu argumentieren. Dass er sich dabei in die Argumentationstradition von Lessings Laokoon stellt, ist offensichtlich.

      5. Charles Baudelaire: Literatur als Gegenteil von Photographie

      Baudelaire wird im Jahr 1859 vom Herausgeber der Revue française aufgefordert, die gerade in Paris laufende Ausstellung zeitgenössischer Künstler zu kommentieren. „Soyez bref“, soll er zu Baudelaire gesagt haben, „ne faites pas un catalogue, mais un aperçu général, quelque chose comme le récit d’une rapide promenade philosophique à travers les peintures.“1 Baudelaire entspricht diesem Wunsch, und im Folgenden und letzten Abschnitt wird diesem mit Le Portrait betitelten Essai zum Salon de 1859, wie er in der Revue française des gleichen Jahres publiziert wurde, eine zentrale Rolle zukommen – als Referenzpunkt für meine Interpretation des ebenfalls mit Un portrait betitelten Sonetts der Fleurs du Mal2 und für eine Analyse zur Bestimmung des Literarischen im Paragone mit der Photographie, in Koalition mit Malerei und Zeichnung.

      Baudelaire führt in jener kunstkritischen Abhandlung Salon de 1854 unter der Kapitelüberschrift Le portrait eine imaginierte Diskussion mit einem fiktiven Gegenüber. Diese Szene ist unübertrefflich – an Bissigkeit und Bourgeoisie-Verachtung, aber auch an programmatischer Schärfe in Bezug auf den Paragone. Literatur und Malerei sind hier vereint im Wettstreit gegen die Photographie, die die Bedürfnisse der von Baudelaire verhassten bürgerlichen Seelen bedient