Mit der Kunst ist es wie im Leben: Besonders herausgefordert zum Vergleich sehen wir uns mit dem, was uns ähnlich ist. Aristoteles hatte für Dichtung, Rhetorik, Bildkünste Tanz und einige Arten der Musik die Naturnachahmung zum gemeinsamen Ziel erklärt und damit die Grundlage für das Bestreben dieser Künste geschaffen, bei aller Gemeinsamkeit das je Eigene hervorzuheben. Dass Aristoteles selbst bereits die Unterschiedlichkeit der formalen Mittel der Künste bei ihrer Naturnachahmung angeführt hatte (und somit selbst sein Gleichheits-Postulat relativiert hatte), wurde vergessen. Die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Möglichkeiten und Grenzen von Literatur und bildender Kunst wurde besonders häufig und mit besonderem Interesse gestellt – mit dem Ziel, sich wechselseitig voneinander abzugrenzen. Das liegt daran, dass Antike, Renaissance und Barock eine prinzipielle Vergleichbarkeit von Malerei und Dichtung hinsichtlich ihrer künstlerischen Mittel und Ziele gegeben sahen, und deshalb wurde den Grenzlinien zwischen diesen beiden Künsten besonders große Aufmerksamkeit zuteil. Die Konkurrenz der Bildenden Künste zu den artes liberales (also zu Dichtung, Rhetorik und Musik), ist ein Grundmotiv antiker und mittelalterlicher Literatur. Zwei Formeln haben in diesem Kontext besonders folgenreiche Interpretationen erfahren: Die Formel ut pictura poesis erit von Horaz (es ist mit der Dichtung wie mit der Malerei), und die Rede des Simonides von Keos, der Malerei als muta poesis (stumme Dichtung) und die Dichtung als pictura loquens (sprechende Malerei) bezeichnete. Die Interpretationen dieser Formeln wendeten das Deskriptum und machten es mitunter sogar zum Präskriptum: Aus ‚Es ist mit der Poesie wie mit der Malerei‘ wurde zeitweise die Doktrin ‚Es sei mit der Malerei wie mit der Poesie.‘
Die Argumente für die spezifische Überlegenheit waren vielfältig, lassen sich jedoch auf zwei Hauptbereiche reduzieren: 1. das Mimesispotential,2 und 2. das Potential für kulturelles Gedächtnis.3 Mit Bezug auf das Mimesis-Potential wurde das Kriterium der ‚Wahrheit‘ diskutiert (etwa Bildkünste zur Darstellung des corpus, Dichtung zur Darstellung von anima), der Überlegenheit der angesprochenen Sinne bzw. ihrer Täuschbarkeit (Tastsinn, Hörsinn, Sehsinn) und das Kriterium des Rückbezuges auf die Wirklichkeit durch sittlichen und staatlichen Nutzen. Mit Bezug auf das kulturelle Gedächtnis wurde abgewogen, welche Kunst beständigere Kunstwerke hervorbringe, welches Erinnerungs- und Gedächtnispotential sie im Sinne gegenwärtiger Aneignung, aber auch im Sinne des anhaltenden Nachruhmes des Werkes selbst und des Dargestellten habe.
Der Paragone der Künste hat – bei allem Streit – zu einer Differenzierung künstlerischer Beschreibungskategorien und zu einem geschärften Bewusstsein für Selbst- und Fremdsichten der Künste und ihrer Gattungen/Genres geführt. Außerdem kann man von einer Aufwertung des Kunstdiskurses sprechen, der sich spätestens durch Castigliones ‚Cortegiano‘ im 16. Jahrhundert vollzog – zunächst im Sinne einer Aufwertung als hofwürdigem Thema, im 18. und 19. Jahrhundert als Gegenstand gelehrter und zunehmend öffentlichkeitsrelevanter Urteilsbildung.
Nachdem Leonardo da Vinci 1492 die Malerei als Ursprung der Dichtung, Malerei, Skulptur und Musik postuliert und somit deren klare Überlegenheit genealogisch definiert hatte, bemüht sich Benedetto Varchi in seinen Vorlesungen und Abhandlungen zum Paragone um ein ausgewogeneres und möglichst alle Argumente würdigendes Urteil, das letztlich die lange vergessene Ähnlichkeitsrelativierung des Aristoteles wiederbelebt: Die unterschiedlichen formalen Mittel von Dichtung und Malerei sind es, die die Dichtung für die Darstellung des Inneren und die Malerei für die Darstellung des Äußeren geeigneter erscheinen lassen. Dabei formuliert Varchi so, dass die Dichtung als die allumfassendere Kunst erscheint, weil ihr Zuständigkeitsbereich in den der Malerei auszugreifen scheint und ihre soziale wie individuelle Differenzierungsfähigkeit besonders hervorgehoben wird:
Es ist darauf hinzuweisen, dass der Dichter sie [die Natur] mit Worten nachahmt und die Maler mit Farben. Wichtiger noch, die Dichter ahmen vor allem das Innere nach, das heißt die Vorstellung und die Leidenschaften der Seele, auch wenn jene oftmals die Köper und alle Eigenschaften aller belebten und unbelebten Dinge beschreiben und sozusagen mit Worten ausmalen. Die Maler hingegen ahmen vor allem das Äußere nach, das heißt die Körper und die Eigenschaften aller Dinge. Denn die Gedanken und Handlungen von Königen und Bürgern unterscheiden sich voneinander […]. Ein Soldat und ein Kaufmann haben gewöhnlich unterschiedliche Redeweisen und Sitten […]. Ein und derselbe Mensch kann sogar von sich selbst verschieden sein, je nach Alter oder durch diverse Zufälle. All dies müssen Dichter kennen und auszudrücken wissen.4
Lessing war in seiner berühmten Schrift Laokoon5 von 1766 weniger auf höfische Konsensfähigkeit bedacht, wie bereits der Untertitel des Werkes zeigt: Laokoon. Oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. Er suchte programmatisch mehr das Trennende als das Gemeinsame – und findet es in der Unterscheidung von Zeit und Raum:
Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit, wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: so können nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebeneinander […] existieren, aufeinanderfolgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen. Gegenstände, die nebeneinander […] existieren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei. Gegenstände, die aufeinander […] folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.6
Die mögliche Widerrede seiner Gegner, dass schließlich die Ilias des Homer und dessen Beschreibung des Schildes von Achill der beste Gegenbeweis für seine Theorie sei, greift Lessing selbst auf und geht in die Offensive. Homer beschreibe nämlich in der Ilias gar nicht das Schild des Achill als ‚Körper‘:
Homer malet nämlich das Schild nicht als ein fertiges vollendetes, sondern als ein werdendes Schild. Er hat also auch hier sich des gepriesenen Kunstgriffes bedienet, das Koexistierende seines Vorwurfs in ein Konsekutives zu verwandeln, und dadurch aus der langweiligen Malerei eines Körpers das lebendige Gemälde einer Handlung zu machen. Wir sehen nicht das Schild, sondern den göttlichen Meister, wie er das Schild verfertiget.7
Anhand von Lessings Laokoon-Schrift wird auch deutlich, inwiefern der Paragone nicht nur zur Differenzierung der Künste, sondern auch zur Differenzierung ihrer Gattungen beigetragen hat. Auf die Frage, warum der Laokoon der Laokoon-Gruppe nicht wirklich schreie (obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte, schlangenumwunden, angesichts des eigenen Todes und dem seiner Söhne, noch dazu in weiser Voraussicht des Untergangs von Troja), im antiken Epos des Vergil aber sehr wohl und laut, antwortet er Folgendes:8 Im Epos ist der schmerzverzerrende