Im folgenden Abschnitt wird eine theoretische Modellierung vorgenommen, die die zentralen Aspekte mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz zusammenfasst und veranschaulicht. Sie soll Kompetenzbereiche umreißen, innerhalb welcher sich MKK entwickeln, jene Kompetenzen also, die für erfolgreiches Kommunizieren in einem mehrsprachigen Umfeld erforderlich sind. Es kristallisierten sich insgesamt fünf Bereiche heraus: symbolische Kompetenz, Sprach(en)bewusstheit, Emotion und Mehrsprachigkeit, mehrsprachige Gesprächspraktiken, Formen sozialen Lernens. Einleitend wird der Begriff Kompetenz, wie er für diese Studie verstanden wird, umrissen und definiert.
4.1 Kompetenz: Eine Begriffsdefinition
Die Definition des Begriffes Kompetenz selbst bezieht sich zunächst in diesem Zusammenhng auf Weinert (Weinert 2001). Laut Weinert sind Kompetenzen erlernbare Fähigkeiten, Probleme in unterschiedlichen Situationen zu lösen. Motivationale, volitionale und soziale Aspekte spielen dabei eine wichtige Rolle (Weinert 2001: 27ff.). Laut Weinert dienen Kompetenzen zur Bewältigung von anspruchsvollen, in der Regel neuen Anforderungssituationen ohne Vorwissen (Weinert 2001; Hartig & Klieme 2006; Hartig et. al 2008; Canale 1983). Diese bereichsspezifischen kognitiven Leistungsdispositionen lassen sich, so Weinert, in drei Bereiche unterteilen: fachliche Kompetenzen, fachübergreifende Kompetenzen und Handlungskompetenzen (Weinert 2001: 28). Durch ihre Kontextgebundenheit und Lernbarkeit werden diese in der Bildungspsychologie klar vom allgemeineren Begriff der Intelligenz abgegrenzt (Hartig & Klieme 2006: 130). In dieser Bedeutung wurde der Begriff Kompetenz bei der Ausarbeitung des GER als auch der Bildungsstandards in Deutschland sowie der Rahmenrichtlinien für den Unterricht an Südtirols Schulen herangezogen, wobei ausschließlich der kognitive Kompetenzaspekt als Bildungsziel berücksichtigt wurde.
In Anlehnung daran bezog sich die Definition der kommunikativen Kompetenz von Piepho auf die sozialphilosophische Theorie kommunikativer Kompetenz von Habermas (Habermas 1981) und unterschied zwischen kommunikativem Handeln und Diskurs (Piepho 1974, 1979). Kommunikatives Handeln entspricht in groben Zügen der Definition von Weinert als die Fähigkeit des Individuums, sich in einem thematischen und situativen Rahmen mit angemessenen Mitteln und Strategien verständlich zu machen und andere verstehen zu können (Legutke 2008: 19; 2010). Allerdings wird bei Piepho der Begriff der kommunikativen Kompetenz durch zwei neue Aspekte erweitert, nämlich die metakommunikative und reflexive Fähigkeit, was bedeutet, dass das eigene sprachliche Handeln im Lernprozess problematisiert, analysiert und legitimiert werden soll (ibid.: 20).
Laut Piepo bedeutet kommunikative Kompetenz nämlich:
Weder in der einen noch in der anderen Auslegung das Erreichen bestimmter Normen, sondern die Fähigkeit, sich ohne Ängste und Komplexe mit sprachlichen Mitteln, die man durchschaut und in ihrem Wirkungen abschätzen gelernt hat, zu verständigen und kommunikative Absichten auch dann zu durchschauen, wenn sie in einem Code gesprochen sind, den man selbst nicht beherrscht und der nur partiell im eigenen Idiolekt vorhanden ist. (Piepho 1974: 9f.)
Dieser Auffassung von kommunikativer Kompetenz liegt zugrunde, dass Unterricht nicht als ein Ort des Fertigkeitserwerbes betrachtet wird, sondern vielmehr als ein Erziehungsprozess, der die gesamte Persönlichkeit der Lernenden motivierend unterstützt und gestalterisch aktiv mit einbezieht. Persönlichkeitsentfaltung und Erziehung zu mündigen BürgerInnen sind folglich Ziel eines Unterrichts, der Lernende in ihrer Individualität und ihren Neigungen respektiert und als vollwertiges Gegenüber wahrnimmt. Als Konsequenz wird von einer normativen Gestaltung des Unterrichtes Abstand genommen, Entscheidungsprozesse sollen durch Konsensfindung gemeinsam bewältigt werden. Mitgestaltung wird so integraler Teil des Unterrichtes und soll als kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft über das Klassenzimmer hinausgetragen werden. Daher ist laut Legutke Unterricht „für ihn (Piepho) ein pädagogischer und sozialer Prozess, der, zwar gebunden an reale Verhältnisse und Kontexte mit vielen Schwierigkeiten und Hemmnissen für die Entfaltung der kommunikativen Kompetenz der Lerner, dennoch zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen kann“ (ibid.: 21f.). Auf den von Piepho entworfenen Begriff der „Diskurstüchtigkeit“ geht Hallet (Hallet 2008: 76) näher ein: Die metakommunikative Ebene beim Fremdsprachenlernen werde hier erstmals in ihrer Wichtigkeit für den Fremdsprachenunterricht erkannt. Sie verhindere die unreflektierte, akritische Sprachreproduktion, wie sie oft im traditionellen Fremdsprachenunterricht gefordert wird. Indem Lernende als kritische Aktanten im Unterricht tätig werden, können sie „gesellschaftliche, kulturelle und diskursive Prozesse aktiv und selbstbestimmt mitgestalten – auch in einer Fremdsprache“ (ibid.: 77).
Diese Formen der Reflexion und Metakommunikation führen zwangsläufig zu einer kulturellen und gesellschaftlichen Kontextualisierung und ermöglichen so im Unterricht, die in einer Gesellschaft vorhandenen Formen der Kommunikation zu vereinen und zu vernetzen. Nur dadurch kann auch da eine Discourse Communitiy entstehen (Hallet 2008: 81), denn wahre Kommunikation bedarf eines kulturellen und sozialen Umfeldes und aller im Laufe der Zeit erworbenen Sprachformen einer Gemeinschaft, in der sie stattfindet, weshalb sie als „ways of being in the world, of forms of life that integrate words, acts, values, beliefs, attitudes, and social identities“ bezeichnet werden kann (Kramsch 1998: 61).
Hallet fasst die Bedeutung dieser Erkenntnisse für den Unterricht wie folgt zusammen:
Didaktisch ist hierin eine außerordentlich bedeutsame Ausweitung des Diskursbegriffes enthalten: Kommunikation lässt sich demzufolge nicht mehr reduzieren auf einen sprachlichen Akt, auf den Vorgang die Nutzung (fremdsprachlicher) Zeichen oder auf die Beherrschung von Skills, sondern es handelt sich um nichts weniger als um eine soziale und kulturelle Praxis, an der jeder Kommunikationsakt teilhat. „Kommunikanten“ sind daher immer auch kulturelle Aktanten, die an der Erzeugung eines diskursiven Zusammenhangs beteiligt sind, die ihre Position in einer discourse communitiy bestimmen und darüber letztlich den Grad ihrer gesellschaftlichen Teilhabe entwickeln. (Hallet 2011:31)
Laut Hallet spielen zudem Faktoren wie Kommunikationsbereitschaft, Wissen, Verstehen, Problemlösen und Handeln, Erfahrungen, Einstellungen und Motivation bei der Beschreibung von kommunikativer Kompetenz eine grundlegende Rolle (Hallet 2008: 83).
Bei der Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz (MKK) ziehen wir es vor, dieses durchlässige, für die individuelle Entfaltung der Lernenden geeignete und flexible Verständnis von kommunikativer Kompetenz heranzuziehen, wie es von Piepho für den monolingualen Fremdsprachenunterricht ausdifferenziert und von Legutke/Hallet weiterentwickelt wurde. Wie in der vorliegenden Studie gezeigt wird, ändert diese, eingebettet in ein mehrsprachiges Unterrichtsdesign, nicht grundsätzlich ihre Beschaffenheit, sondern wird durch eine Vielzahl neuer Aspekte mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz bereichert und erfährt dadurch eine Erweiterung und Umformung. Denn der größere Facettenreichtum und die Komplexität, die durch die Vernetzung mehrerer Sprachen im Diskurs entstehen, führen zu erhöhten Anforderungen an die Lernenden, sobald diese vor die Herausforderung gestellt werden, mehrsprachige Formen des Diskurses und deren Besonderheiten zu bewältigen.
MKK ist in einer vielsprachigen Gesellschaft mehr denn je an multiple Diskurse gebunden, die vernetzt miteinander bedeutungsstiftend sind. Mehrsprachige Diskursfähigkeit impliziert deshalb auch den Umgang mit Bedeutungsvielfalt und Wahrnehmungserweiterung und Ambiguitätstoleranz. Dazu müssen mehrsprachige Diskurse in ihren Eigenschaften und Merkmalen erkannt und ihre Dynamiken durchschaut und richtig gelesen werden. Ziel ist es letztendlich, die Lernenden dazu zu befähigen, mit Hybridität und Fluidität im mehrsprachigen Diskurs umzugehen, zur Reflexion darüber anzustiften, und sich dieses Diskurses zu bemächtigen. Denn gesellschaftliche Partizipation kann sich nur entlang eines bewussten Umgangs mit der transkulturellen und mehrsprachigen lebensweltlichen Umgebung entwickeln, in der die Lernenden sich befinden und durch die sie geprägt sind. In der Schulklasse spiegelt diese Gegebenheiten, weshalb den Lernenden die Gelegenheit gebeben werden muss, sich mit dieser neuen Realität auseinander zu setzen und zu lernen, sich darin zurecht zu finden. Gutzmann definiert Mehrsprachigkeit in diesem Sinne als „neue kommunikative Kompetenz“ (Gutzmann 2004: 45), die es im Unterricht anzustreben gilt.
Diesbezüglich äußert sich deshalb Cummins skeptisch bezüglich traditioneller Unterrichtsdesigns:
From the perspective of multiliteracies, the exclusive