Gisela Mayr
Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit
Eine unterrichtsempirische Studie zur Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz in der Sekundarstufe II
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
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ISBN 978-3-8233-8358-1 (Print)
ISBN 978-3-8233-0191-2 (ePub)
Danksagungen:
Ich möchte mich besonders bei Herrn Professor Hallet und Frau Professor Martinez für die intensive Betreuung und die konstruktive Kritik an meiner Arbeit bedanken. Ihre Feedbacks haben mich immer zum Überdenken meines Vorhabens angeregt und zu Verbesserungen geführt. Prof. Hallet hat mich zudem mit viel Geduld wieder in die Kunst des wissenschaftlichen Schreiben eingeführt. Weiters möchte ich Prof. Legutke und Prof. Burwitz-Melzer für ihre Anregungen danken, die mir geholfen haben, die anfänglichen Schwierigkeiten zu überwinden und einen völlig neuen Kurs in meiner Projektplanung einzuschlagen, der sich als erfolgreich erwiesen hat. Die Korrekturen meiner Lektorin und Freudin Andrea waren für mich eine Stütze, ohne die ich es nicht geschafft hätte. Zuletzt wollte ich noch meinem Mann David für seine Geduld und Zuwendung danken, meinen Kindern Laetitia und Clemens, die mich immer wieder angespornt haben, weiter zu machen, insbesondere Clemens der mir bei der Transkriptionsarbeit zur Hand gegangen ist.
Vorwort
Als ich vor mehreren Jahren begann, mehrsprachige Module in den Regelunterricht einzubauen, bemerkte ich sofort, dass die Lernenden große Freude daran hatten, ihr gesamtes sprachliches Repertoire auszuprobieren und im spielerischen mehrsprachigen Umgang miteinander gestalterisch tätig zu sein. Sie erschlossen durch die gleichzeitige Arbeit mit mehreren Sprachen und Kulturen unterschiedliche Bedeutungsdimensionen und waren im Idealfall in der Lage, selbst Bedeutung kreativ zu konstruieren.
Im Rahmen dieses Forschungsprojektes – durchgeführt am Gymnasium „Walther v.d. Vogelweide“- in Bozen- wurde simultane Mehrsprachigkeit im Unterricht mittels experimenteller Unterrichtsmodule im Laufe des Schuljahres sukzessive in den Sprachunterricht eingebaut. Jedes Modul erstreckte sich über 10 bis 20 Unterrichtsstunden und verfolgte das Ziel, den Lernenden auf der Basis multimodaler Arbeitsunterlagen die Möglichkeit zu bieten, simultane Mehrsprachigkeit im schulischen Alltag zu (er)leben. Auch die Outputs waren mehrsprachig: Narrative, poetische sowie Sachtexte, Vorträge, Gedichte, Sketches und kurze szenische Darbietungen wurden gleichzeitig in mehreren Sprachen vorgetragen.
Die Verwendung mehrerer Sprachen in einem alltagsnahen Setting ermöglichte einen sprachübergreifenden Vergleich von Genres und damit eine Kompetenzerweiterung in verschiedenen fachsprachlichen Bereichen. Ein weiteres didaktisches Ziel bestand darin, durch Sprachvergleich das Bewusstsein dafür zu wecken, dass sprachlicher Umgang und Ausdrucksformen geschichtlich bedingt sind und dass sich Kulturen und ihre Sprachen in ihrer unterschiedlichen Erfassung von Realität geschichtlich verorten lassen (vgl. Bredella et al. 2000).
Es handelte sich dabei folglich um den Versuch, Ausschnitte der komplexen lebensweltlichen Mehrsprachigkeit, so wie sie für viele Lernende bereits alltäglich ist, ins Klassenzimmer zu bringen und in Richtung einer bildungssprachlichen Mehrsprachigkeit weiterzuentwickeln, einer Mehrsprachigkeit mit größerer syntaktischer und lexiko-grammatischer Komplexität. Dabei wurde im Rahmen der empirischen Untersuchung überprüft, welche Lernprozesse stattfinden und wie sich mehrsprachige kommunikative Kompetenz und mehrsprachige Sprachhandlungskompetenz (MKK) entwickeln und sich im Sinne einer Operationalisierung im Unterricht modellieren lassen.
Die Datenerhebung erfolgte auf mehreren Ebenen: Auf der sprachlich-pragmatischen Ebene, bei der der Fokus auf Sprachmanagement und funktioneller Mehrsprachigkeit lag (vgl. De Angelis 2005; De Angelis & Selinker 2001; Arabski 2006; Cenoz et al. 2002), auf der Ebene des Einsatzes von Transferstrategien und der Aktivierung des mehrsprachigen Lexikons im Rahmen mehrsprachiger kommunikativer Settings, auf der Ebene der Funktionsweise des Language Mode (vgl. Norton 2000; Grosjean 1982, 1989, 1992, 2007) und dessen möglichen Veränderungen. In engem Zusammenhang damit standen auch Erhebungen bezüglich der Entwicklung des metasprachlichen Bewusstseins und der Wahrnehmung der Psychotypologie von Sprachen.
Sprachhandlungsfähigkeit – in diesem Falle mehrsprachige Sprachhandlungsfähigkeit – ist Voraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung, da sich Identität durch Sprache gestaltet und darstellt (vgl. De Florio-Hansen 2003a; 2003b: VIII). In einem plurilingualen Umfeld tragen völlig neue und unbekannte Erkenntnisfaktoren zur Persönlichkeitsbildung bei und können diese nachhaltig positiv beeinflussen. Dabei spielt die Sprachbiographie und die damit einhergehende Einstellung den unterschiedlichen Sprachen gegenüber eine besondere Rolle (Dewaele 2010; Dewaele & van Oudenhoven 2009). Maßgeblich zur Entwicklung dieser Einstellung zu Sprachen tragen auf emotionaler Ebene Erfahrungen im Umgang mit den Sprachen bei. Jeder einzelne Lernende bringt sprachbiographisch bedingte emotionale Aspekte und damit verbundene Haltungen unbewusst mit in den Unterricht ein (vgl. Busch 2013: 52). Besonders in einer durch historische Brüche gekennzeichneten Gesellschaft gestalten sich diese Biographien sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite gibt es Lernende, die zwei- bzw. mehrsprachig aufwuchsen, auf der anderen Seite Familien, welche die Zweitsprache Italienisch noch immer verweigern. Im folgenden Absatz wird der Versuch unternommen, die geschichtlichen und sozialen Gründe, die zu diesen diversen Haltungen führen, anhand eines geschichtlichen Abrisses zu erläutern.
Da im mehrsprachigen Austausch diese unterschiedlichen Auffassungen, Emotionen, Einstellungen und Haltungen aufeinandertreffen und sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Pavlenko 2005), konnte überprüft werden, ob durch die hier praktizierte Form des Unterrichts auch Formen der unbewussten Sprachverweigerung bewusst gemacht und somit überwunden werden können (vgl. Edwards & Dewaele 2007; Norton 2000). Aus kontextgebundenem Sprachvergleich wird den Sprechern unmittelbar ersichtlich, dass Kultur in Form von sprachlichem Umgang und sprachlichen Ausdrucksformen geschichtlich bedingt ist und Sprachen Realität unterschiedlich erfassen. Das gleichzeitige Arbeiten mit und zwischen mehreren Sprachen und Kulturen ermöglicht es dem Individuum, die eigene Persönlichkeit neu zu formen: „An die Stelle autonomer Individuen, die in stabile, homogene Nationalkulturen eingebettet sind, treten sich wandelnde Identitäten in kulturübergreifenden Netzwerken.“ (De Florio-Hansen & Hu 2003b : 9) (vgl. dazu auch Kramsch 2011: 205).
Eine Unterrichtsform, die dies im Blick hat, distanziert sich von starren nationalstaatlich geprägten Auffassungen und orientiert sich hin zu mehr Offenheit und zu der Entfaltungsmöglichkeit des gesamten Individuums mithilfe der Gesamtheit seines kulturellen und sprachlichen Repertoires und seiner emotionalen Haltungen. Besonders in einem durch die politischen Ereignisse der Kriegs- und Nachkriegszeit gekennzeichnetem Land ist dies von Bedeutung.
1. Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie
Die Situation in Südtirol ist geschichtlich bedingt vom Zusammenleben unterschiedlicher Sprachen und Kulturen geprägt. Zwei- und Mehrsprachigkeit sind deshalb von zentraler Bedeutung für alle bildungspolitischen Maßnahmen und die Entwicklung des Landes. Im Laufe der Geschichte kam es zu Konfliktsituationen, die bis heute nachwirken und teilweise ungelöst blieben. Da außerdem die schulischen Institutionen aufgrund der massiven Zuwanderung aus anderen europäischen Ländern, der Flüchtlingsströme und des zunehmenden Drucks