Daher wird ebenso wie bei Beacco auch hier der Schriftlichkeit eine zentrale Rolle zugeschrieben, denn der Schreibprozess als Vertiefungsprozess benötigt komplexe Sprachstrukturen und einen erweiterten Wortschatz, welche die Grundeigenschaften der Bildungssprache sind. Der mündliche Austausch in der Klasse ist notwendig, um vorhergehendes Wissen zu aktivieren und die Bedeutung von neu Gelerntem gemeinschaftlich auszuhandeln (ibd.: 14). Im Schreibprozess hingegen wird gefordert, dass abstrakte Konzepte sprachlich kohärent ausformuliert werden. Das Schreiben stellt demnach einen Abstraktionsprozess dar, der, gemessen an der Bloomschen Taxonomie, anspruchsvollere Denkprozesse fordert, wie zum Beispiel Evaluieren, Analysieren usw. (vgl. Bloom 1976). Im mehrsprachigen Schreibprozess, so wie er in diesem Aufgabenformat gewählt wurde, öffnen sich neue Möglichkeiten schriftlicher Kommunikation, indem Denkprozesse mehrsprachig ausformuliert werden und sich so pluralistisch gestalten können.
3.5.4 Mehrsprachiges Schreiben
Es wird auch heute noch oft fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Schritt von der mündlichen Kommunikation zum Verfassen schriftlicher Texte alleine und ohne Hilfe von den Lernenden vollbracht werden kann. Dem ist nicht so, es kann aufgrund der veränderten sozialen und gesellschaftlichen Struktur nicht mehr vorausgesetzt werden, dass die Bildungssprache als bereits erworben in den schulischen Alltag mitgebracht wird (Feilke 2012a: 5f.). Mehrsprachiges Schreiben kann hier als eine Übungsphase verstanden werden, in der unterschiedliche Möglichkeiten der Teststrukturierung in der Mehrsprachigkeit erkannt, geübt und kritisch reflektiert werden. Auch in Bezug auf die komplexe und vielschichtige kommunikative Realität unserer Gesellschaft übernimmt im schriftlichen Bereich besonders der Aspekt der Pluri-/Multi-Literacy eine zentrale Rolle. Im Bereich der Entwicklung von Schreib- und Lesekompetenzen soll daher das mehrsprachige Verfassen von Texten zur Förderung derselben durch sprach- und textvergleichende Maßnahmen unterstützt werden. So können auch komplexe Texte entschlüsselt und der Vergleich zwischen den Sprachen ermöglicht werden. In seiner Summe liegt hier ein erweitertes und facettenreicheres Bild fremdsprachlicher Didaktik vor. Es liegt nahe aufgrund der hier vorgestellten neuen Erkenntnisse, fremdsprachlichen Unterricht entlang neuer Bahnen zu planen und zu organisieren.
Man gewinnt beim Lesen Beaccos den Eindruck, dass Schwerpunkte neuer kompetenzorientierter didaktischer Ansätze gesammelt und zusammengeführt wurden, um eine neue Form der mehrsprachigen Kompetenzaufgabe zu entwickeln. Allerdings sind die Anstöße und Vorschläge sehr allgemein gehalten und Details müssen herausgelesen werden. Problematisch wird die Umsetzung dieser neuen Forderungen durch die gängigen und bislang implementierten pluralistischen Ansätze, die sich grob in drei Gruppen einteilen lassen:
Intercultural Approach
Awakening to Languages
Integrated Didactic Approaches
Auch diese beschränken sich größtenteils darauf, dass Sprachen auf grammatischer und lexikalischer Ebene verglichen werden und Sprachsensibilisierung geschaffen wird, und das, obwohl es sich hierbei nur um die erste Stufe eines langen Lernprozesses im Bereich Transkulturalität und Mehrsprachigkeit handelt und dies auf keinen Fall das ausschließliche Ziel eines pluralistischen Ansatzes sein kann. So scheint es, dass alle unterrichtspraktischen Ansätze weit hinter den theoretischen Forderungen der EU nachhinken. Die Vorgaben sollen einen Beitrag leisten, Mehrsprachigkeit curricular festzulegen, dabei wird aber völlig versäumt darzustellen, wie konkret die Umsetzung im Unterricht aussehen soll. Es ist klar, dass selbst Methoden wie die Interkomprehension oder das Tertiärsprachenlernen aufgrund ihrer Eigenschaften und Ausrichtung nicht als geeignete Instrumente dafür angesehen werden können. Allein im Bereich der Dramendidaktik hat es in diese Richtung innovative Studien und Unterrichtsversuche gegeben (z.B. Fasse 2015; Henning 2015; Surkamp 2007; Grabes 2000).
Die vorliegende Studie nimmt die großen Herausforderungen der Mehrsprachigkeitsdidaktik an, neue Ansätze für einen mehrsprachigen Unterricht zu entwickeln, die die grammatisch-lexikalische Stufe hinter sich lassen und der Vielfältigkeit mehrsprachiger Verarbeitungsprozesse, so wie von Beacco beschrieben, im Unterricht gerecht werden. Dabei müssen auch Aspekte wie die Sprachbiographie der einzelnen Schülerinnen und ihre Auswirkung auf die emotionale Bindung zu einer Sprache berücksichtigt werden, wie sie bislang nur im Kontext von Migration Eingang gefunden haben. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein erster Versuch, durch eine umfassendere Unterrichtsform ein holistisches Instrument zur Vermittlung von Mehrsprachigkeit und Interkulturalität zu schaffen. Besonders in jungen Menschen soll das Bewusstsein für Sprachenvielfalt, für die Vermittlung interkultureller Werte und der Partizipation am mehrsprachigen Diskurs gestärkt werden mit dem Ziel aktiver Teilhabe an den gemeinschaftlichen sozialen und politischen Prozessen.
3.5.5 Forderung nach neuen didaktischen Ansätzen
Die Form des Task als Unterrichtsverfahren gibt auf diese Forderungen eine konkrete und didaktisch gut operationalisierbare Antwort, da task-based teaching (Hallet 2006, 2008; Nunan 2004) sich dadurch auszeichnet, dass Diskursfähigkeit und Zuwachs kommunikativer Kompetenzen Ziel des Handelns im Unterricht sind. Im Rahmen der Studie wird die Frage in den Raum gestellt, welche Kompetenzen, Dispositionen, Strategien und Ressourcen junge Menschen entwickeln sollen, nicht nur, um sich in einer mehrsprachigen Lebenswelt zurecht zu finden, sondern auch um einen Lernprozess zu initiieren, der schrittweise auf das Kompetenzniveau der mehrsprachigen Bildungssprache und die damit einhergehenden mehrsprachigen kognitiven, motivationalen und emotionalen Prozesse übergeht. In diesem Sinne versteht sich die Studie als wegweisend für die Entwicklung neuer Unterrichtsmethoden, die mehrsprachiges Arbeiten in eine komplexe Kompetenzaufgabe einbaut und die mehrsprachige Diskursfähigkeit in den Fokus der Unterrichtspraxis stellt.
Dabei wird an den kommunikativen Ansatz angeknüpft, der anhand der ursprünglich für den einsprachigen Sprachunterricht konzipierten komplexen Kompetenzaufgabe für den mehrsprachigen Unterricht adaptiert wird. Dadurch wurde eine neue mehrsprachige Unterrichtsform entwickelt, die die grammatisch-lexikalischen Ansätze zwar mit einbezieht, jedoch Raum für neue Lernwege und Lernergebnisse öffnet (Hallet 2012a: 11). In diesem Sinne wird durch mehrsprachige, kompetenzorientierte Aufgabenstellungen ein Lernprozess ausgelöst, der die Bewältigung komplexer, mehrsprachiger Herausforderungssituationen vorsieht. In diesem Prozess entstehen Aushandlungsprozesse, die sich aus den plurilingualen Unterlagen ergeben und daher den mehrsprachigen Diskurs fördern. Dadurch wird die Teilhabe an einem reellen kulturellen Diskurs möglich, der aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung in zunehmendem Maße durch Mehrsprachigkeit gekennzeichnet ist. Diese Teilhabe erfordert besondere kommunikative Kompetenzen, Fähigkeiten und Strategien, die sich im einsprachigen Sprachunterricht nicht entfalten können, die jedoch zur Bewältigung mehrsprachiger alltäglicher oder beruflicher Situationen unabdingbar sind und maßgeblich zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen können. Es handelt sich hier um neue kommunikative Kompetenzen und Strategien, die von großer Bedeutung sind, aber bislang für den Unterricht nicht empirisch erforscht wurden (vgl. Burwitz-Melzer 2003, 2004a).
Dieses Projekt setzt sich zum Ziel, kommunikative Vorgänge während der mehrsprachigen Aushandlungsprozesse und den Outputs zu erfassen und eine Modellierung eben dieser mehrsprachigen kommunikativen Handlungskompetenzen zu erstellen. Das spiegelt die realen Situationen wider, in der Menschen, die nicht dieselbe Muttersprache haben, miteinander kommunizieren. Dazu werden nicht die Indikatoren des FREPA herangezogen, die, wie bereits erwähnt, eine Zusammenschau der Erkenntnisse bisheriger didaktischer Forschungen sind, sondern es werden Erkenntnisse aus dem Bereich der Psycholinguistik, insbesondere der Mehrsprachenforschung herangezogen, um die durch das plurilinguale Unterrichtsdesign entstandenen Lernprozesse zu erforschen. Es soll gezeigt werden, welche Prozesse in einem kompetenzorientierten mehrsprachigen Unterrichtssetting zur Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Handlungskompetenzen beitragen.
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