Bei diesen Referenzsystemen handelt es sich um kulturelle, gesellschaftliche und Referenzsysteme zum Sprachgebrauch. Daher unterstreicht Christ, dass die Verwendung von Brückensprachen im Unterricht kritisch reflektiert werden sollte (ibid.). Auch Sanchez betont die Wichtigkeit verschiedener Faktoren, die einen Transfer beeinflussen können: Zusätzlich zur Psychotypologie und dem L2-Status erwähnt sie auch die Sprachkompetenz und den Zeitabstand des Spracherwerbs. Singleton und Ó Laoire ( Ó Laoire 2006; Ó Laoire & Singleton 2009: 81;) sprechen in diesem Zusammenhang von der psychotypologischen Perspektive und der L2-Perspektive (vgl. Cenoz & Genesee 1998; Cenoz et al. 2001, 2003; Hammarberg 2009;).
Besonders in Südtirol spielt L2 für den weiteren Spracherwerbsprozess, einhergehend mit der für europäische Begriffe unüblichen Sprachabfolge, eine grundlegende Rolle (cf. 5.1.), da L2 nicht Englisch, sondern Italienisch ist. Der soziale Status dieser Sprache ist hierzulande nicht so unumstritten positiv behaftet wie das beim Englischen der Fall ist und wirkt sich, wie auch aus der Datenerhebung hervorgeht, in manchen Fällen auf das Verhalten der Lernenden aus (cf. 8.1.). Aus diesem Grund und auch aufgrund der geschichtlichen Ereignisse und der sozialen Gegebenheiten kann die psychotypologische Wahrnehmung dieser Sprache hier sehr unterschiedlich ausfallen. Wie aus der Datenauswertung hervorgeht kann die Einstellung zu L2 Italienisch zu Formen der Verweigerung im Lernprozess führen, die Einfluss auf den weiteren Spracherwerbsprozess nehmen können.
3.4 CLIL / Bilingualer Sachfachunterricht
Genauso wie die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe fokussiert auch CLIL auf das inhaltsbezogene Fremdsprachenlernen. CLIL bezieht sich auf Formen des Lernens, in denen der Sachfachunterricht in einer fremden Sprache stattfindet. Er hat sich besonders in Deutschland in den letzten Jahrzehnten entwickelt und wird in letzter Zeit in zunehmendem Maße auch in anderen europäischen Ländern eingeführt. Der englische Begriff, der sich für diese Form des Unterrichts entwickelt hat, heißt CLIL (Content and Language Integrated Learning) (Wolff 2005: 160). Es wird hier sowohl auf die Sprache als auch auf das Sachfach fokussiert. Es steht also die Sprache gemeinsam mit den Inhalten im Mittelpunkt. Durch die Authentizität der Unterrichtssituation sind die Lernenden länger der Fremdsprache ausgesetzt und profitieren davon (ibid.: 161). Es wird eine Form des Unterrichts angestrebt, in der nicht ein Sachfach in einer Fremdsprache gelernt wird, sondern durch die Fremdsprache. CLIL versucht eine Konvergenz herzustellen zwischen beiden, indem der Unterricht anhand von Realien gestaltet wird, damit die Lernenden in Kontakt kommen können mit lebensweltlich relevanten Inhalten, was im traditionellen Sprachenunterricht oft nicht der Fall ist. Bereits aus dieser kurzen Beschreibung kann abgelesen werden, in wie vielen Aspekten sich CLIL und die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe ähnlich sind: in Inhaltsbezogenheit, Authentizität, Realien im Unterricht und lebensweltlicher Relevanz.
3.4.1 Lebensweltliche und wissenschaftliche Relevanz
Inhaltlich sind die Lerninhalte in hohem Grad abstrakt und fallen in die Kategorie der CALPS (Cognitive Academic Language Proficiency) (Cummins 2000), jenem durch Abstraktion und Unbestimmtheit gekennzeichneten Sprachgebrauch, der an bestimmte Strukturen und semantische Felder gebunden ist, die charakteristisch für Fachsprachen sind. Wolff spricht, wenn nicht von wissenschaftlichen, so doch von wissenschaftspropädeutischen Inhalten (Wolff 2005: 161), Inhalten also, die auf ein einfacheres Niveau heruntergebrochen werden und dadurch den Lernenden zugänglicher sind. Sie sind aber dennoch gekennzeichnet durch eine größere lebensweltliche Realitätsnähe und einen größeren Reichtum und Komplexität. Zunehmend von pseudorealen Inhalten abzukommen, ist nicht zuletzt deshalb ein Muss, da die Lernenden die dahinterliegenden Absichten wohl erkennen und authentische Kommunikation im Unterricht so nicht zustande kommen kann. Ein ähnliches Ziel verfolgt die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe, indem durch komplexe realistische Aushandlungssituationen im Unterricht realistische und inhaltlich anspruchsvolle Kommunikationssituationen entstehen, die bereichsspezifische bildungssprachliche Kompetenzen in mehreren Sprachen vermitteln.
3.4.2 Abstraktes Denken und soziales Lernen
Im CLIL-Ansatz werden Formen des sozialen Lernens und Lern- und Arbeitstechniken in einem realistischen Kontext erworben. Es werden Probleme thematisiert und gemeinsam Lösungswege gesucht, wodurch Aushandlungsprozesse initiiert werden, die individuelle Lernprozesse zulassen und sogar fördern (vgl. Hallet 2012a/b). Die Lernenden tauchen in komplexe Lernsituationen ein, die von ihnen fordern, Informationen und Ideen zu verarbeiten, Probleme zu verstehen und zu lösen und neue Bedeutung zu konstruieren (Coyle et al. 2010: 29). Dadurch wird abstraktes Denken gefördert, einhergehend mit dem Erwerb komplexer, abstrakter Sprachstrukturen und Fachvokabular. In beiden Aufgabenformaten können die Lernenden ihre Lernprozesse als wirklich relevant und authentisch erkennen und lernen diese weiter zu entwickeln und selbstgesteuert zu organisieren. Laut Wolff hat sich gezeigt, dass das Arbeiten in Gruppen sowohl sprachlicher als auch fachlicher Natur sein kann. Beide werden anhand der erworbenen Lern- und Arbeitstechniken bewältigt und es wird den Lernenden dadurch besonders einsichtig deren Notwendigkeit vermittelt (Wolff 2005: 162).
3.5 Unerfüllte Desiderate
Die EU hat auf theoretischer Ebene bereits ein komplexes didaktisches Programm ausgearbeitet, das jedoch bislang nur unzulänglich und stockend in die Unterrichtspraxis Eingang gefunden hat. Das liegt daran, dass die konsequente Umsetzung von Mehrsprachigkeit ein radikales Umdenken der gängigen Unterrichtpraxis fordert. Zu diesem Zweck müssen ganz neue und bislang unbetretene didaktische Wege begangen werden, die Mehrsprachigkeit auf allen Ebenen des Lernens und der sozialen Interaktion nicht nur zulassen, sondern auch fördern. Dazu braucht es viel Mut und ein flexibles Schulsystem, das experimentelles Arbeiten im Unterricht zulässt. Erst dann wird es möglich, den qualitativen Sprung in die Mehrsprachigkeit zu schaffen. Die nachstehenden Punkte sollen Aspekte einer mehrsprachigen Didaktik aufzeigen, die bislang kaum oder gar nicht operationalisiert wurden, allerdings in der mehrsprachigen komplexen Kompetenzaufgabe ein zentrales Anliegen sind und eben durch dieses Aufgabenformat für die Unterrichtspraxis nutzbar gemacht werden sollen.
3.5.1 Latein als Brückensprache
Die Wichtigkeit der klassischen Sprachen Griechisch und Latein und der Verweis auf ihre unterstützende und erleichternde Rolle beim Sprachenlernen (Council of Europe 2014a: 2) bleiben in ihrer zentralen Rolle für den Erhalt des gemeinsamen europäischen Erbes als ein Desiderat für mehrsprachiges Lernen, das noch nicht eingelöst worden ist. Ihre Wichtigkeit betrifft zunächst vor allem grammatische und lexikalische Aspekte, lässt sich aber auch auf kulturelle und sozialgeschichtliche Aspekte ausweiten. Der im Aufgabenformat dieser Studie unternommene Versuch, vor allem Latein in den mehrsprachigen Unterricht einzubauen, will ein Zeichen in diese Richtung setzen und sieht sich als Teil eines Bildungskonzeptes, in dem die sog. „klassischen“ Sprachen beim Sprachenlernen nicht außen vor gelassen werden, sondern integrierter Bestandteil der Aufgabenstellung werden.
3.5.2 Aktive Teilhabe am transkulturellen sozialen Diskurs
Informelles und außerschulisches Sprachenlernen werden zum ersten Mal in den von der EU verabschiedeten Rahmenrichtlinien erwähnt und in ihrer Wichtigkeit auch für das schulische Lernen gewürdigt. Die 2015 erschienenen Dokumente „The Languague Dimension in all Subjects: A Handbook for Curriculum development and teacher training und„