Toolan, Michael. 2014. Language in literature. An introduction to stylistics. London: Routledge.
Von Polenz, Peter. 2000. Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Vol. I. Berlin: de Gruyter.
Weinrich, Harald. 1971. Tempus: Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart: Kohlhammer.
Zeman, Sonja. 2016. “Was der Tempusgebraucht im mittelhochdeutschen Versepos über historische Mündlichkeit (nicht) erzählt“, en: Peter Ernst/Martina Werner (ed.). Linguistische Pragmatik in historischen Bezügen. Berlin: De Gruyter, 67-83.
Konditional im Portugiesischen, Spanischen und Deutschen an der Schnittstelle von Tempus und Modus
Benjamin Meisnitzer
Der Konditional ist deutlich weniger erforscht als andere Tempora und Modi, obwohl er eine der Kategorien innerhalb des Temporalsystems ist, die gegenwärtig den größten Wandel erfährt. Zudem wartet der Konditional mit tiefgründigen Unterschieden bei der Verwendung und Häufigkeit in der gesprochenen und der geschriebenen Sprache auf weitere Studien. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, Ähnlichkeiten und Unterschiede bei der Verwendung des Konditionals im Portugiesischen, Spanischen und Deutschen herauszuarbeiten und dabei unterschiedliche Tendenzen aufzuzeigen, die trotz großer funktionaler Unterschiede z.B. zwischen dem Deutschen einerseits und dem Spanischen und Portugiesischen andererseits allesamt zu einem Rückgang der morphologischen Form im gegenwärtigen Sprachgebrauch führen. Hierzu wird der Konditional zunächst an der Schnittstelle zwischen Tempus und Modus verortet und seine Entstehung in den romanischen Sprachen erläutert, um dann die Verwendung in den drei berücksichtigten Sprachen zu vergleichen. Abschließend werden die wichtigsten Ähnlichkeiten und Unterschiede zusammengefasst.
Durch die funktionale Beschreibung soll auch eine didaktische Aufarbeitung des Konditionals in Form einer kontrastiven Annäherung erleichtert werden.
1 Der Konditional im Spannungsfeld von Temporalität, Modalität und Aspektualität
Das Spanische und das Portugiesische verfügen über ein Verbalsystem, das nicht allein eine Situierung von Verbalereignissen in der Zeit leistet, sondern die versprachlichten Sachverhalte hinsichtlich ihrer zeitlichen Extension und somit ihrer Konturen im Zeitintervall der Betrachtung charakterisiert und differenziert, wie Schrott (2012: 329) für das Spanische festhält. Tempora situieren Sachverhalte in Relation zur Sprech- und zur Referenzzeit und haben folglich eine deiktische Funktion. Die Sprechzeit entspricht dabei in der gesprochenen Sprache dem Zeitintervall, in dem die sprachliche Äußerung getätigt wird, und in fiktionalen erzählten oder geschriebenen Texten dem deiktischen Nullpunkt (t0). Die Referenzzeit dagegen entspricht jenem Zeitintervall, von dem aus das Verbalereignis betrachtet wird. Aspektualität liefert hingegen keine deiktische Situierung, sondern charakterisiert die Verbalereignisse hinsichtlich ihrer zeitlichen Kontur und ihres Verlaufs in der Zeit (vgl. Schrott 2012: 329). Man denke an die Opposition Imperfekt vs. Indefinido bzw. Pretérito perfeito do Indicativo. Grundsätzlich liegt dem sprachlichen Ausdruck temporaler Relationen ein deiktisches Konzept zugrunde, da die Tempusselektion das Verbalereignis gegenüber der Referenzzeit situiert, die mit der Sprechzeit zusammenfallen kann (Präteritum/ Indefinido/ Pretérito Perfeito do Indicativo: Ereigniszeit (E), Referenzzeit (R) < Sprechzeit (S)) oder auch nicht (Plusquamperfekt: E < R < S). Im Deutschen wird Aspektualität anders als in den romanischen Sprachen stärker durch sprachliche aspektuelle Marker und nicht im Verbalsystem selbst kodiert. So werden im Spanischen und im Portugiesischen temporal-deiktische und aspektuelle Semantik nicht durch getrennte Kategorien versprachlicht, sondern diese erscheinen in den Verbalformen vereint (vgl. Schrott 2012: 329). Dabei bildet Aspektualität jedoch keine eigene Verbalkategorie, wie es zum Beispiel in den slavischen Sprachen der Fall ist.
Die Verbalkategorien tragen zu der grundlegenden Funktion von Grammatik bei, dem Menschen die Loslösung von den natürlichen Präsuppositionen zu ermöglichen, in diesem Fall von der kanonischen Grundperspektive ego, hic et nunc. Betrachtet man die historische Evolution von Sprachen und den Spracherwerb bei Kindern sowie den pathologischen Sprachabbau, so ist die Entwicklungslogik Aspekt > Tempus > Modus als weitestgehend unumkehrbar erkennbar, wobei die Verbalkategorien jeweils voneinander abhängen (Zeman 2010: 57-63). Das gemeinsame Merkmal der drei grammatischen Kategorien Tempus, Modus und Aspekt ist das grammatische Merkmal [+DISTANZ] (vgl. Meisnitzer 2016: 51).
Grammatische Kategorie | Konzept |
Aspekt (perfektiver) | ‘Räumliche Distanzierung’: Innen- vs. Außenperspektive1 |
Tempus (Nonpräsens) | ‘zeitlich-temporale Distanzierung’ |
Modus | ‘persönliche Distanzierung’ |
Tabelle 1:
Funktionen von Aspekt, Tempus und Modus (modifiziert aus Meisnitzer 2016: 52).
Beim Konditional haben wir es mit einer Kategorie innerhalb des Verbalsystems zu tun, die zwischen Tempus und Modus verankert ist, da die entsprechende morphologische Form sowohl eine temporale als auch eine modale Semantik ausdrücken kann. Im Fall der modalen Semantik wird die Haltung des Sprechers gegenüber dem Gesagten bzw. dem Inhalt der Proposition verdeutlicht. Diese Überlappung ist auch für unterschiedliche Zuordnungen des Konditionals in der Forschungsliteratur und in Grammatiken verantwortlich.2
2 Die Herausbildung des Konditionals im Spanischen und im Portugiesischen
Im Rahmen der Entwicklung vom klassischen Latein zum Vulgärlatein wurde das klassische lateinische Futur (CAN'TĀBŌ) durch eine vulgärlateinische synthetische Form (CAN'TĀRE 'HABEO) ersetzt. Diese entwickelte die sich durch Reanalyse von ‘ich habe zu singen’ zu ‘ich werde singen’ und wurde im Rahmen des durchlaufenen Sprachwandelprozesses zu einer synthetischen Form (*CANTA'RAIO) als Ergebnis der Verbindung von Infinitiv und flektierter Form. Diese Entwicklung war mit einem Betonungswandel verbunden, infolgedessen nur noch HABERE die Betonung trug (Kaiser 2014: 144). Dem entspricht die allgemeine Tendenz der romanischen Sprachen, dass die Betonung in der Regel auf das Hilfsverb fällt (Lausberg 1972: 230-231).
Parallel zur Herausbildung des Futurs bildete sich im Vulgärlatein eine neue Kategorie heraus, die das klassische Latein nicht kannte: der Konditional (vgl. Kaiser 2014: 144). Ähnlich wie das Futur geht auch diese Form auf eine Verknüpfung des Infinitivs mit einer finiten Form von HABERE zurück (Kaiser 2014: 144). Statt auf das Präsens wird allerdings in den iberoromanischen Sprachen auf das Imperfekt zurückgegriffen. Obwohl die Chronologie der Entwicklung der Futur- und der Konditionalformen bis heute unklar ist, steht fest, dass die Konditionalform häufiger attestiert ist. Dies mag jedoch der Konkurrenz zwischen synthetischem und analytischem Futur geschuldet sein, die es im Fall des Konditionals nicht gab (Kaiser 2014: 145). Der Konditional im Spanischen und Portugiesischen ist folglich das Ergebnis einer Ableitung: CAN'TĀRE HA'BĒBA(M) > *CANTA'REA > span. cantaría und port. cantaria (Kaiser 2014: 145 und 211) und ein Ergebnis des Betonungswandels.
Vulgärlatein | ||
Sg. | 1. | CAN'TĀRE HA'BĒBA(M) > *CANTA'REA |
2. | CAN'TĀRE HA'BĒBĀS > *CANTA'REAS | |
3. | CAN'TĀRE HA'BĒBAT > *CANTA'REAT | |
Pl. | 1. | CAN'TĀRE HABĒ'BĀMUS > *CANTARE'AMUS |
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