Die Stärkung des Deutschen durch den Eintritt in die Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert hat im Kantonshauptort Freiburg jedoch besonders deutliche Auswirkungen, während sie in den umliegenden Gebieten weniger zu spüren ist. Im 18. Jahrhundert werden namentlich durch die in der Stadt wohnhaften Patrizierfamilien wieder intensivere Beziehungen mit Frankreich gepflegt (vgl. Villiger/Bourceraud 2008: 21). Als die französische Sprache zu dieser Zeit im gesamten Kanton wieder an Bedeutung gewinnt, ist daher auch diese Bewegung in der Stadt stärker zu spüren als in anderen Kantonsgebieten. Die Veränderungen der sprachlichen Situation und die wiederholten Wechsel des Status der beiden Sprachen Französisch und Deutsch sind also in der Stadt Freiburg grundsätzlich stärker als anderswo in den heutigen Kantonsgebieten. Dies gilt ebenso für die erwähnten Spannungen während dem Ersten Weltkrieg und für eine positivere Haltung gegenüber dem Sprachkontakt während des Zweiten Weltkriegs und bis heute (vgl. z.B. Wicht-Pierard 2007: 171).
A.2.1.2 Aktuelle Sprachsituation
Bevor wir die aktuellen sprachdemografischen und sprachpolitischen Gegebenheiten von Kanton und Stadt Freiburg zusammenstellen, möchten wir auf die Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingehen und ziehen dazu im Wesentlichen die Untersuchung von Altermatt (2003) heran, in der Folgendes festgestellt wird:
[L]es deux décennies suivant la Seconde Guerre mondiale furent essentiellement marquées par la continuité d’une situation linguistique inégalitaire et discriminante envers la minorité germanophone. […]
À la fin des années 1950, la situation linguistique et le biculturalisme furent l’objet d’un regain d’intérêt, notamment de la part des milieux culturels […]. Les revendications de plus en plus explicites de la minorité ainsi que leur articulation à travers des organismes privés (DFAG [Deutschfreiburgische Arbeitsgemeinschaft]) ou publics (Grand Conseil) contribuèrent à la sensibilisation progressive des autorités cantonales. […] La consécration de l’article constitutionnel sur les langues cantonales au tournant des années 1980/90 marqua le point culminant de ce mouvement vers l’égalité linguistique qui, par ailleurs, continue encore au XXIe siècle. (Altermatt 2003: 308-309)
Er nennt im Weiteren ein Ungleichgewicht zwischen sprachlicher Realität und administrativer Praxis:
La situation du canton de Fribourg en général et des districts du Lac et de la Sarine en particulier démontre que des problèmes sont susceptibles d’apparaître dans des régions où on assiste à un déséquilibre trop marqué entre la réalité linguistique (bilinguisme) et la pratique administrative (monolinguisme). (Altermatt 2003: 313)
Dennoch wird eine verstärkte Anerkennung der Zweisprachigkeit auf Kantonsebene eingeräumt:
Malgré ces quelques points ambigus, le bilinguisme fribourgeois s’est fortement développé dans la deuxième moitié du XXe siècle. La politique des langues du canton de Fribourg tend résolument vers un renforcement de la coexistence linguistique et vers une application des avantages du biculturalisme. Le bilinguisme n’a jamais été autant favorisé et valorisé qu’à la fin du XXe et au début du XXIe siècles. (Altermatt 2003: 315)
Trotz der erwähnten verstärkten Massnahmen für eine Unterstützung der Zweisprachigkeit seit Ende des 20. Jahrhunderts scheint im Kanton Freiburg eine stetige Abnahme der Minderheiten auf allen Ebenen stattzufinden. Wie die von Altermatt (2003: 348-350) betrachteten Zahlen aufzeigen, findet von 1990 bis 2000 sowohl auf kantonaler Ebene als auch in den meisten Bezirken und Gemeinden eine Abnahme der Sprechenden der jeweiligen Minderheitensprache statt. Für die Stadt Freiburg stellt Altermatt die folgenden Veränderungen fest (vgl. A.2.2.2 für die entsprechende Auswertung für Murten):
En 100 ans (1888-1990) : diminution importante (-9.41) / en 50 ans (1941-1990) : diminution significative (-7.0) / en 30 ans (1960-1990) / diminution significative (-7.0) (vgl. Altermatt 2003: 348-350).
Die Grundlagen der regionalen Sprachpolitik hängen wiederum von der Aufteilung in verschiedene Staats- und Verwaltungsebenen ab. Der Kanton Freiburg ist einer der vier offiziell mehrsprachigen Kantone der Schweiz (vgl. A.2.0) und wird administrativ in sieben Bezirke unterteilt. Vier davon sind offiziell französischsprachig (Broye, Glâne, Gruyère2, Sarine (Saane)3 und Veveyse), einer deutschsprachig (Sense) und einer zweisprachig (See/Lac). Die in der vorliegenden Untersuchung betrachteten Städte Freiburg und Murten sind Hauptorte der Bezirke Saane respektive See (vgl. A.2.2.2).
In Artikel 6 der Verfassung des Kantons Freiburg werden Deutsch und Französisch als Amtssprachen auf kantonaler Ebene festgelegt. Gleichzeitig wird in Absatz 2 das Territorialitätsprinzip – im Gegensatz zu den schweizerischen Bestimmungen auf Bundesebene, vgl. A.2.0 – explizit als solches bezeichnet:
Art. 6 Sprachen
1 Französisch und Deutsch sind die Amtssprachen des Kantons.
2 Ihr Gebrauch wird in Achtung des Territorialitätsprinzips geregelt: Staat und Gemeinden achten auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete und nehmen Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten.
3 Die Amtssprache der Gemeinden ist Französisch oder Deutsch. In Gemeinden mit einer bedeutenden angestammten sprachlichen Minderheit können Französisch und Deutsch Amtssprachen sein.
4 Der Staat setzt sich ein für die Verständigung, das gute Einvernehmen und den Austausch zwischen den kantonalen Sprachgemeinschaften. Er fördert die Zweisprachigkeit.
5 Der Kanton fördert die Beziehungen zwischen den Sprachgemeinschaften der Schweiz.
(Verfassung FR, Art. 6)
Die Gemeinden des Kantons Freiburg hätten zwar auch die gesetzliche Grundlage für Ausnahmen zum Territorialitätsprinzip (Art. 6 Abs. 3 Verfassung FR), bisher hat jedoch keine Freiburger Gemeinde davon Gebrauch gemacht. Für die Stadt Freiburg gibt es keine weitergehenden Bestimmungen zur Sprachpolitik (vgl. z.B. Brohy 2011: 110).
Gemäss den Statistiken zu den Hauptsprachen aus der Volkszählung von 2000 war eine Mehrheit der Wohnbevölkerung von 63,2% französischsprachig und eine Minderheit von 29,2% deutschsprachig (Lüdi/Werlen 2005: 23). In den letzten verfügbaren Erhebungen von 20164 (vgl. A.2.0 in Bezug auf die Vergleichbarkeit mit Erhebungen bis und mit 2000) nannten von den 305 603 Einwohnerinnen und Einwohnern5 80 116 Deutsch als Hauptsprache6 und 209 109 Französisch. Im Saanebezirk sind es 2014-2016 (kumuliert) 13 512 mit Deutsch als genannter Hauptsprache zu 80 909 mit Französisch (2000: 14,5% zu 75,3%, vgl. Lüdi/Werlen 2005: 93). Für die Stadt Freiburg stellen Lüdi/Werlen (2005: 93) für das Jahr 2000 Anteile von 63,6% Französischsprachigen zu 21,2% Deutschsprachigen fest.
A.2.2 Murten
A.2.2.1 Sprachgeschichtlicher Überblick
Die Anfänge der Besiedelung der Region vor der Gründung der Stadt Murten ist mit den Gegebenheiten im übrigen Gebiet des heutigen Kantons Freiburg vergleichbar (vgl. A.2.1.1): Besiedelung durch Helvetier, römische Einflüsse durch die Gründung der Kolonie Aventicum, Einwanderung der Burgunder und Alemannen (vgl. Mariano 2010: 290). Romanische und germanische Sprache stehen auch hier sehr früh in Kontakt.
1034 wird die Stadt Murten in der Folge eines Konflikts im Zuge der Auseinandersetzungen über das Erbe Rudolfs von Burgund zerstört (vgl. Mariano 2010: 294-295). Seit der Gründung der Stadt Freiburg (vgl. A.2.1.1) sind die Zähringer in der Region präsent und Ende des 12. Jahrhunderts gründen sie mutmasslich eine neue Stadt Murten an der Stelle der zerstörten Burgunderstadt (Mariano 2010: 302; HLSh). Wie in Freiburg hat auch in Murten die Ankunft der Zähringer die Bedeutung der deutschen Sprache verstärkt.
Nach dem Ende der Zähringerherrschaft 1218 durch den Tod Herzog Berchtolds V verlaufen die Entwicklungen in Murten jedoch anders als in Freiburg. Murten und Bern werden seither direkt durch Kaiser