Baiern und Romanen. Peter Wiesinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Wiesinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772002120
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des Herzogtums und der Herkunft der Baiern immer nur aus gegenwärtiger Sicht Bayern und damit bezüglich der Frühzeit bloß die westliche Raetia secunda im Blick habe, jedoch das zugehörige, östlich gelegene Noricum ausblendet. Es gibt aber vom Frühmittelalter bis ins 12. Jh. eine Tradition, die Bayern mit Noricum in Zusammenhang bringt. Ihr geht Heitmeier nach, um daraus neue Einblicke sowohl in die Frage nach der Herkunft der Baiern als auch der Entstehung des Herzogtums zu gewinnen.

      Schon um 790 erzählt Paulus Diaconus in seiner „Langobardengeschichte“ nach einer Quelle aus der Zeit um 600, dass der Langobardenkönig Authari nach heimlicher Brautschau „von den Grenzen der Noriker“ (de Noricorum finibus) nach Italien zurückgekehrt sei, und erklärt deren Gebiet folgendermaßen (III, 30):

      Noricorum siquidem provincia, quam Baiovariorum populus inhabitat, habet ab oriente Pannoniam, ab occidente Suaviam, a meridie Italiam, ab aquilonis vero parte Danuvii fluenta

      Die Provinz der Noriker freilich, die das Volk der Baiovaren bewohnt, grenzt im Osten an Pannonien, im Westen an Suavien, im Süden an Italien, im Norden aber an einen Teil des Donauflusses.

      An jüngeren derartigen Gleichsetzungen von Baiern mit Noricum sei die gleichlautende Promulgation zweier Freisinger Traditionen von 825 und 846 genannt, die mit den Worten beginnt (Tr. Freis., Nr. 521, 678):

      Notum cunctis fidelibus in Noricana provincia …

      Bekannt gemacht sei allen Getreuen in der norischen Provinz …

      Beide Traditionen betreffen Besitzübertragungen im Umkreis von Mainburg rund 25 km nördlich von Freising und somit mitten im Herzen Bayerns bzw. in der einstigen Raetia secunda.

      Solche westliche Ausweitungen der Territorialbezeichnung Noricum überraschen, wenn man bedenkt, dass seit der mittleren römischen Kaiserzeit der Inn nicht nur die Provinzgrenze der Raetia secunda und von Noricum bildete, sondern zugleich auch Zollgrenze zwischen dem westlichen Gallischen und dem östlichen Illyrischen Zollbezirk war. Obwohl die Reichsteilung von 395 in eine Westhälfte mit Rom und eine Osthälfte mit Konstantinopel/Byzanz zeitweise aufgehoben wurde, wirkte die westliche Zuweisung der Raetia secunda zu Italien und die östliche von Noricum und Pannonien zu Konstantinopel/Byzanz dennoch nach. Sie kam 476 nach der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus August(ul)us insofern zum Tragen, als der oströmische Kaiser Zenon I. (476–491) sich nicht nur als Kaiser des Gesamtreiches betrachtete, sondern besonderes Interesse haben musste, an der Westflanke seines unmittelbar östlichen Herrschaftsbereiches in Noricum nach dem Zusammenbruch der weströmischen Herrschaft durch ständige Germaneneinfälle und dann durch den Abzug der romanischen Bevölkerung nach Italien wieder Ordnung und militärische Absicherung herzustellen. Wenn man bedenkt, dass sich die an der Reichsgrenze auftretenden Germanengruppen mit dem Grundwort -warjōz / -varii ‚Wehrmänner, Schützer, Verteidiger‘, nämlich ihres eigenen Grenzgebietes, bezeichnen und sich im Baiernnamen Baiowarjōz / Baiovarii das Erstglied auf Böhmen bezieht, dann lässt sich folgender Schluss ziehen.

      Unter Berücksichtigung des militärischen Aspektes dieser Bezeichnung kann man annehmen, dass solche germanischen Verbände zur Verteidigung eines Gebietes eingesetzt wurden. Dabei mussten die germanischen Soldaten weder in das römische Heer eingegliedert werden, noch als Föderaten Aufnahme finden, sondern diese Gruppen übten in einem vertraglich festgelegten Gebiet selbst Befehlsgewalt aus, so dass sie faktisch im Besitz des Territoriums waren. Im Fall von Ufernoricum wäre vorstellbar, dass ein Teilverband der aus Böhmen abziehenden Elbgermanen, die später im Osten unter dem Namen der Langobarden in Mähren und dem östlichen Niederösterreich und dann in Pannonien reüssierten, sich nach Südwesten orientierte, die Donau überschritt und vom oströmischen Kaiser auf dem Reichsboden von Ufernoricum unter Vertrag genommen wurde, um diesen byzantinischen Grenzraum abzusichern. Damit aber war Ufernoricum fest in germanischer Hand und haftete der Name Baiowarjōz / Baiovarii somit auf dem Gebiet östlich des Inns, das heute das voralpine Ober-und Niederösterreich ausmacht. Als nach dem Tod der Gotin Amalasvintha 535 die Langobarden in Pannonien mit Byzanz im Osten und den expansiven fränkischen Merowingern im Westen politisch zusammenwirkten, behielten die Baiern in Ufernoricum die Oberhand, und der von den Franken eingesetzte neue Herzog „Garibald muss es gewesen sein, dem es gelang, die Gebiete westlich und östlich des Inns im Sinne des späteren bairischen Herzogtums zu verbinden“.4 Damit aber kam es, was Heitmeier nicht mehr weiter verfolgt, sichtlich auch zur Ausweitung des germanischen Baiernnamens vom stärkeren östlichen Gebietsteil auf den schwächeren westlichen, so dass mit der Raetia secunda ein bairisches Gesamtgebiet als neues Herzogtum entstand. Dabei wurde in Fortsetzung der antiken Namentradition das westliche Gebiet teilweise auch mit dem östlichen lateinischen Namen Noricum bezeichnet.5

      Dieser zweifellos spekulative kombinierende Gedankenbau wird wahrscheinlich bei positivistisch ausgerichteten, vorwiegend mit überlieferten Fakten arbeitenden Historikern wenig Anklang finden. Trotzdem lässt sich eine solch mögliche östliche Herkunft der Baiern aus Ufernoricum, die man als Norikertheorie bezeichnen kann, mit namenkundlichen Argumenten stützen, die Heitmeier jedoch nicht in Betracht zieht. Sie betrifft Niederösterreich und damit das östliche Gebiet von Ufernoricum östlich der Enns, während Oberösterreich westlich dieses Flusses und der Salzburger Flachgau allgemein als altbairisches Land gelten.

      Im niederösterreichischen Alpenvorland zwischen dem Wienerwald im Osten als alter Grenze von Noricum und Pannonien und der Enns im Westen, die sich um 700 als Grenze der westlichen deutschen Baiern gegenüber den im Osten auf Grund der Herkunft der Ortsnamen dominierenden Slawen herausgebildet hat, gibt es sowohl Gewässernamen antik-romanischer Herkunft, deren Integrierung ins Bair.-Ahd. mit den frühen, bis längstens 650 wirksamen älteren Akten der Zweiten Lautverschiebung erfolgt ist, was bei den integrierten Gewässer- und Ortsnamen slawischer Herkunft gänzlich fehlt, als auch solche Gewässernamen, deren Lauterscheinungen ebenfalls ohne slawische Vermittlung unmittelbar ins Bair.-Ahd. übernommen und weiterentwickelt worden sind. Ohne dass dies hier näher ausgeführt werden kann, handelt es sich bei der ersten Gruppe um die folgenden antik-romanischen Gewässernamen6:

      Erlauf, rechter Nebenfluss der Donau bei Pöchlarn

      D: 'ɒlɒf

      U: antik Arlape, classis Arlapensis, fälschlich Arelate; 832, 853 Erlafa/Erlaffa, 979 Erlaffa.

      E: Die antike Benennung Arlapa ist ein Kompositum mit dem im deutschen Süden seltenen Grundwort idg. *apā ‚Wasser‘ und als Bestimmungswort einer Ableitung von idg. *er-/or- (uridg. *h3er-)7 ‚in Bewegung setzen‘ in gr. ὄρνυμι ‚antreiben, losstürzen‘ als l-Ableitung *or-lo/- (uridg. *h3r-lo, fem. *h3r-) ‚losstürzend‘, so dass der GewN „losstürzendes Wasser“ bedeutet. Wie es zu bair.-ahd. Ërlaffa mit bair.-ahd. ë kam, ist bisher nicht überzeugend geklärt worden, hängt jedenfalls nicht mit bair.-ahd. erila ‚Erle‘ mit Primärumlauts-e zusammen.8

      Zehnbach, sehr kleines rechtes Seitenbächlein und Ort südlich von Pöggstall am Oberlauf der Erlauf

      D: 'dsenֽbǭx

      U: 1363, 1367, 1375 Zenpach

      E: Bair.-ahd. *Zennepah wird zurückgeführt auf lat./rom. *Tania, wohl idg.-vspr. *Tanā zu idg. *-/- (uridg. *teh2-, Präsens *t--h2- ‚benetze, tauche etwas ein‘).9

      Loich, rechter Seitenbach am Oberlauf der Pielach und Ort

      D: lōįx

      U: 1307, 1317 Levch; 1380, 1419, 1432 Leuch.

      E: Ursprünglich wohl der keltische Name der dann slaw. benannten Pielach (831 Belaa, 811 Bielaha, 1072 Pielaha, 1130 Piela; slaw. Běla ‚die Weiße‘) als