Baiern und Romanen. Peter Wiesinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Wiesinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772002120
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germanistischen Sprachwissenschaftlers Wolfgang Haubrichs „Baiern, Romanen und andere“ als „Sprachen, Namen, Gruppen südlich der Donau und in den östlichen Alpen während des frühen Mittelalters“ von 2006 eine maßgebliche Rolle, noch dazu wo im Titel Baiern und Romanen gemeinsam exponiert aufscheinen. Aber nichts liegt Haubrichs ferner, als eine romanische Herkunft der Baiern anzunehmen. Vielmehr arbeitet er sehr deutlich und unmissverständlich heraus, dass Bairisch, Alemannisch, Langobardisch und, soweit man dies aus den wenigen überlieferten Personennamen erschließen kann, auch das Thüringische elbgermanischer Herkunft mit vielen sprachlichen Gemeinsamkeiten sind. Innerhalb dieses elbgermanischen Sprachverbandes, der nach den Anfangsbuchstaben als BLA(T)-Gruppe zusammengefasst werden kann, aber weist gerade das althochdeutsche Bairische in gewissen Wortschatzbereichen wie etwa dem Rechtswortschatz Eigenständigkeit auf und unterscheidet sich so vom engverwandten althochdeutschen Alemannischen.

      Dennoch ist es Haubrichs ein besonderes Anliegen, anhand der klösterlichen Quellen des 8.–10. Jhs. die überlieferten romanischen und biblischen Personennamen und die mit ihnen gebildeten Ortsnamen zusammenzustellen und auf das Miteinander von Romanen und Baiern in der frühmittelalterlichen Zeit nachdrücklich hinzuweisen. Dabei kann Haubrichs auf seine Erkenntnisse in den westmitteldeutschen Kontakträumen von Romanen und Franken insbesondere in Lothringen und im Moselland zurückgreifen. Am Namenmaterial des bairischen Raumes zeigt sich, dass die romanischen Personennamen die romanischen Lautentwicklungen des 6./7. Jhs. aufweisen wie im Konsonantismus die intervokalische Inlautlenierung von lat. tpk zu stimmhaftem dvg, z.B. Senator > Senadur, Lupo > Luvo, Jacobo > Jago(b), und die Palatalisierung von -ti- / -di- vor Vokal zu <z, ci> / [-tßi-/-dsi-], z.B. Antiocho > Anciogo, Constantio > Custanzo, Laurentia > Laurenza, Claudia > Clauza, sowie im Vokalismus die Monophthongierung von au > o, z.B. Aurelian(o) > Orilan, Paulo > Polo.

      Umgekehrt weisen romanische Personennamen bairisch-althochdeutsche Lautentwicklungen des 8. Jhs. auf. So vollziehen sie etwa im Konsonantismus die jüngeren Akte der Zweiten Lautverschiebung von rom. dbg zu bair.-ahd. tpk mit, z.B. Duro > Turo, Indo > Into, Beronician(o) > Peronzan, Habentio > Hapizo, Gaio > Keio, und im Vokalismus den i-Umlaut von a > e vor i oder Palatalkonsonanten der Folgesilbe, z.B. David > Tevid, Daniel > Tenil, Aletio > Elizo, Tapetio >Tepizo, und die Assimilierung von ai > ei, z.B. Maiol(o) > Meiol, Maioran(o) > Meioran, Gaio > Keio.1 Gerade hier aber fragt sich, ob angesichts solcher bairisch-althochdeutscher Lautentwicklungen Träger solcher romanischer Personennamen noch als echte Romanen und damit auch als Sprecher des Romanischen betrachtet werden können, oder ob sie sprachlich mit ihren bereits bairisch lautenden Namen romanischer Herkunft nicht schon zum Bairisch-Althochdeutschen übergegangen sind. Eine verbindliche Entscheidung lässt sich diesbezüglich nicht treffen, und Haubrichs ist vorsichtig genug, dies auch klar zu verstehen zu geben.

      Ähnlich liegen die Probleme bei den mit einem romanischen PN und einem deutschen Grundwort oder einer deutschen Ableitung gebildeten Ortsnamen, den sogenannten „Mischnamen“, wie z.B. Marzling bei Freising mit Marcello (804-07 Marzilinga) und mit Vidal < Vitalis gebildetem Figlsdorf bei Nagelstadt (850 Fitalesdorf). Stillschweigend wird hier angenommen, dass die Träger romanischer Personennamen automatisch auch Sprecher des Romanischen waren und solche Ortsnamen bei Hervorhebung des romanischen Elements trotz deutscher Bildung als „romanische Ortsnamen“ betrachtet werden. Trotz erst jüngerer urkundlicher Erstüberlieferungen kann zwar bei einigen Mischnamen anhand lautlicher Merkmale eine frühe Bildungszeit festgestellt werden, aber es bleibt dabei offen, ob der Personenname damals noch romanisch war oder, wie die Personennamenüberlieferungen zeigen, bereits ins Bairisch-Althochdeutsche integriert war. Diese Problematik erhöht sich, wenn statt „Mischname“ in neuerer Terminologie von „Hybridname“ bzw. „Hybridbildung“ gesprochen wird. Hier wird nämlich vorausgesetzt, dass zunächst eine genuine romanische Namenbildung vorliegt, die dann später deutsch überformt wurde, so dass die überlieferten deutschen Ortsnamen nicht primäre Bildungen, sondern erst sekundäre, eben hybride Neubildungen sind. Es mag solche Fälle gegeben haben. So lässt z.B. der Name Abersee für den Wolfgangsee in Oberösterreich mit dem rom. Personennamen Abriano in seiner ältesten lateinischen Überlieferung von 788 Abriani lacum vermuten, dass dieser lateinischen Form eine romanische Form zugrunde liegt, aber bereits 829 heißt der See in integrierter Weise bair.-ahd. Aparinesseo. Trotz der lateinischen Kontexte weisen jedoch die Überlieferungen der Mischnamen seit dem 8. Jh. eindeutig bairisch-althochdeutsche Bildungen auf, z.B. Aising (Stadtteil von Rosenheim) 778/83 Agusing mit dem PN Agusius und Königsdorf bei Bad Tölz 776-88 Chumitzdorf mit dem PN Comitius.

      Auf ein bei Mischnamen bis jetzt nicht beachtetes Problem macht Albrecht Greule aufmerksam. Bei den einfach als „romanisch“ bezeichneten Personennamen handelt es sich nämlich zum größeren Teil um biblische Namen und um Heiligennamen (Hagionyme), wobei die Romanen (im Gegensatz zu den Baiern) von Anfang an getaufte Christen waren. In solchen Fällen könnten zumindest einzelne Personennamen nicht unmittelbar auf „Romanische Ortsgründer“ als deren Träger zurückgehen, sondern auch auf Kapellen oder kleine Kirchen, die solchen Heiligen geweiht waren. Eine solche Möglichkeit könnte z.B. die Orte Jailing, Jaibling, Jasberg, † Jausberg mit Jacobus als Apostelname oder die zahlreichen Orte mit Irs-/Irsch- betreffen, denen Ursus zugrunde liegt, wobei der hl. Ursus ein Angehöriger der Thebaischen Legion war und um 303 in Solothurn in der Schweiz das Martyrium erlitt. Auch ein Namenwechsel von einem germanischen zu einem biblischen oder Heiligennamen wäre möglich, denn im christlichen Irland und England erhielten des öfteren Geistliche neue solche Namen, ein Brauch, den irische und angelsächsische Missionare des 7. und 8. Jhs. mitgebracht haben könnten. Nach solchen umbenannten Geistlichen und Mönchen könnten diesen oder ihrem Kloster gehörende Orte mit Mischnamen benannt worden sein. Immerhin tragen von den 50 im bairischen Raum hier behandelten Mischnamen nicht weniger als 31 biblische Namen oder Heiligennamen, was nicht weniger als 62 % ausmacht.

      1.5.5. Neueste Theorien zur Herkunft der Baiern und der Bedeutung ihres Namens

      Vor allem die Neuansätze der Archäologen zur Klärung von Herkunft und Name der Baiern veranlassten auch die germanische Altertumskunde und die auffallend zurückhaltenden Historiker sich mit den neu aufgeworfenen Meinungen jeweils aus ihrer Sicht zu befassen. Es sind dies der Zürcher Altgermanist und germanische Altertumsforscher Ludwig Rübekeil und die Münchener Historikerin Irmtraut Heitmeier.

      1.5.5.1. Die Baiern aus Sicht der gegenwärtigen germanischen Altertumskunde

      Nicht im Hinblick auf die Herkunft der Baiern, sondern die sprachliche Bildung des auch diesen Namen betreffenden germanischen Namentypus und seine Bedeutung untersuchte Ludwig Rübekeil 2002 in seinem Buch „Diachrone Studien zur Kontaktzone zwischen Kelten und Germanen“. Es ist der schon oben erläuterte Namentypus germ. *-warjōz / lat. -varii ‚Wehrmänner, wehrhafte Mannschaft, Schützer, Verteidiger‘. Überliefert wird eine Reihe solcher Namen für germanische Gruppen vom 1. bis zum Beginn des 8. Jhs. von römischen Schriftstellern und in frühmittelalterlichen Quellen, wobei Velleius Paterculus und Tacitus am Beginn stehen. Die meisten dieser als Komposita gebildeten Namen weisen als Bestimmungswörter einen Landschafts-, Fluss- oder Ortsnamen auf wie Am(p)sivarii (Tacitus, Annalen 13, 55 u.ö.) den Flussnamen Ems, lat. Amisia (Tacitus, Annalen 1, 6 u.ö.), die zwischen Rhein und Ems siedeln, wo zur Zeit Kaiser Justinians im 6. Jh. Stephanos Byzantios noch eine gleichnamige Stadt Ἂμισ(σ)α kennt; oder Angrivarii (Tacitus, Germania 33; Annalen 2, 8) mit germ. *angraz in altsächs. und ahd. angar ‚Grasland, Wiese, Anger‘, wonach die Landschaft Engern beiderseits der Weser in Westfalen benannt ist. Wie diese