Sprachsensibler Fachunterricht, sprachbewusster Unterricht
Das Modell des sprachsensiblen Fachunterrichts geht auf den DaF-Didaktiker Leisen zurück, der bereits in den 1990er Jahren mit dem Handbuch des deutschsprachigen Fachunterrichts (DFU) (Leisen 1994) wirkmächtige Praxismaterialien vorgelegt hat, die in überarbeiteter Form vielfach auch für DaZ-Förderung und Sprachbildung eingesetzt werden (Leisen 2016, 2017). Grundlegend ist die systematische (fremd-)sprachdidaktische Aufbereitung von Unterrichtsinhalten. Mit dem Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts sollen parallel fachliche und sprachliche Kompetenzen entwickelt werden. Es zielt auf eine zunehmend bildungssprachliche, fachadäquate Kommunikation im Mündlichen und Schriftlichen ab. Vor allem die von Leisen entwickelten Methodenwerkzeuge sowie die praxisnahen Vorschläge zur sprachsensiblen Unterrichtsplanung und -durchführung wurden für zahlreiche Fächer adaptiert und weiterentwickelt, so z.B. in Oleschko/Weinkauf/Wiemers (2016) für das Fach Geographie.
Michalak/Lemke/Goeke (2015) stellen ein umfassendes Modell des sprachbewussten Unterrichts vor, das zehn Prinzipien folgt. Diese sind die Verknüpfung von fachlichem und sprachlichem Lernen, die Herstellung von Transparenz der Anforderungen, die Berücksichtigung der sprachlichen Voraussetzungen der Lernenden, die Möglichkeit, von alltagssprachlichen zu fachsprachlichen Formulierungen zu gelangen, die Vermittlung von Textkompetenz, der Fokus auf sprachliche Strukturen, die gezielte Wortschatzarbeit im fachlichen Kontext, ein Angebot an Anlässen zum sprachlichen Handeln, die Berücksichtigung sprachlicher Aspekte bei der Leistungsmessung sowie eine angemessene Lehrsprache. Tajmel/Hägi-Mead (2017) liefern mit einem stärkeren Fokus auf den naturwissenschaftlichen Unterricht ebenfalls Grundlagen der sprachbewussten Unterrichtsplanung.
Scaffolding: Makro- und Mikroperspektiven
Scaffolding ist eines der am prominentesten und umfassendsten rezipierten Konzepte im DaZ-/Sprachbildungsdiskurs (Gibbons 2015; Hammond/Gibbons 2001, 2005). Scaffolding ist ein umfassendes Unterrichtsmodell für den Unterricht in heterogenen Klassen. Es wird vor allem dann für die unterrichtliche Praxis relevant, wenn Lehrer*innen den Unterricht auf das Ziel hin ausrichten, Schüler*innen im Spracherwerb einer schulisch dominanten Zweitsprache zu unterstützen. Zu den im Scaffolding-Konzept formulierten Prinzipien gehören
der gemeinsame Aufbau von Wissen durch Interaktion mit Expert*innen (Lehrkräften) und (aufbereiteten) Materialien,
‚Gerüste‘ für die sprachliche Rezeption und Produktion, für den Wissensaufbau und die sprachlich-fachliche Entwicklung,
eine sprachfokussierte Reflexion und der gezielte Einsatz von (flexibler) Lehrsprache („assisted performance“),
das Anreichern konzeptionell mündlicher Sprache mit schriftsprachlichen und fachsprachlichen Strukturen im Unterrichtsverlauf,
der konsequente und gezielte Einsatz von Schreibaufgaben sowie
die (Sach-)Textarbeit nach fremdsprachendidaktischen Prinzipien (Kniffka 2010, 2012).
Lehrer*innen wird zudem empfohlen, in der Interaktion ein sprachliches Unterstützungsgerüst aufzubauen, welches bei Bedarf auch wieder abgebaut werden kann. Idealerweise geschieht Letzteres, wenn die Schüler*innen für eine bestimmte Aufgabe keine Unterstützung mehr benötigen (Hammond/Gibbons 2005, 8). Scaffolding bedeutet angewandt auf den Fachunterricht,
[…] für jede Unterrichtsreihe fachliche und sprachliche Lernziele zu definieren, die ein kleines Stück über dem aktuellen Kompetenzniveau der Schülerinnen und Schüler liegen, und diese Lücke unter Zuhilfenahme von Gerüsten, das heißt von Zwischenschritten, Förderaufgaben und Hilfsmitteln zu schließen […]. (Beese et al. 2014, 34)
Als Hauptelemente von Scaffolding werden Makro- und Mikro-Scaffolding unterschieden. Ersteres umfasst die Analyse der Anforderungen des Unterrichts in Bezug auf fachliche und sprachliche Ziele, aber auch in Bezug auf die verwendeten Materialien, die Analyse des Lernstandes der Schüler*innen und die Unterrichtsplanung als sprachdidaktisch reflektierte Planung des Fachunterrichts mit der Möglichkeit, sprachliche Gerüste in jeder Phase des Unterrichts anzubieten (ebd. 34f.; Kniffka 2010; Kniffka/Roelcke 2016).
Die Strategien des Mikro-Scaffolding beziehen sich auf die bewusste Gestaltung der Unterrichtsinteraktion und den strategischen Einsatz der Sprache der Lehrer*innen. Dazu gehören der verlangsamte Sprachgebrauch, die Gewährung von Denk- und Formulierungszeit für Schüler*innen, die Variation der unterrichtlichen Interaktionsmuster, das Stellen von echten Fragen, das aktive Zuhören und die Reformulierung und konzeptionell-thematische Einbettung von Äußerungen der Schüler*innen (Hammond/Gibbons 2005, 20; Gibbons 2015, 40ff.). Die Strategien des Mikro-Scaffolding gelten als „höchst funktionale Form der Lernunterstützung“ (Schmölzer-Eibinger 2014, 17), da durch sie den Schüler*innen bisher sprachlich noch nicht beherrschte Handlungsoptionen angeboten werden, die für die Erfüllung schulischer Aufgaben notwendig sind (ebd.) (siehe auch den Abschnitt „Mikro-Scaffolding“ in 2.3 in diesem Studienbuch).
Weitere Konzepte und Ausblick
Neben den bisher angeführten Konzepten existiert eine Vielzahl weiterer Ansätze für die Unterstützung sprachlichen Lernens im Fachunterricht, die hier lediglich kurz und mit weiterführenden Literaturhinweisen benannt seien: das 3-Phasen-Modell der Förderung von Textkompetenz nach Schmölzer-Eibinger (2008 u.a.) und die Planung von Unterricht nach dem SIOP-Modell (Sheltered Instruction Observation Protocol nach Echevarria/Vogt/Short 2013 u.a.). Zudem kann auf das seit den 1990er Jahren etablierte Konzept des Bilingualen Sachfachunterrichts bzw. CLIL (Content and Language Integrated Learning) zurückgegriffen werden. Hier werden zahlreiche Vorschläge für das explizit parallel verlaufende sprachliche und fachliche Lernen gemacht (Rüschoff/Sudhoff/Wolff 2015; Zydatiß 2010, 2017).
Abschließend zu diesem Überblick über etablierte Konzepte von Sprachförderung und sprachlicher Bildung in den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern soll die These formuliert werden, dass Unterricht nur dann guter Unterricht sein kann, wenn darin die sprachlichen Ressourcen aller Schüler*innen so erkannt und weiterentwickelt werden, dass neben und mit dem fachlichen Kompetenzerwerb die sprachliche Entwicklung gewinnt, und dass neben einem besseren Fachverständnis in jedem Fach auch ein Beitrag zu bildungs- und gesellschaftlicher Teilhabe sowie zur Bildungsgerechtigkeit geleistet wird. Petersen/Tajmel (2015) fassen treffend zusammen:
In den entsprechenden Diskursen der DaZ-Didaktik, der Linguistik, der Erziehungswissenschaften und der empirischen Bildungsforschung gilt als Konsens, dass zum erfolgreichen Fachlernen auch die Vermittlung von sprachlichen Kompetenzen gehört […]. Unsicherheiten in der Umsetzung können den Lehrkräften allerdings nur in Ansätzen angelastet werden, schließlich ist die Verknüpfung sprachlichen und fachlichen Lernens eine komplexe Aufgabe, für die die wenigsten Lehrenden systematisch ausgebildet wurden. (Ebd., 106)
Die hier vorgestellten Konzepte beinhalten jeweils eigene, aber auch einige übergreifende Elemente. Vor allem der Bereich eines grundlegenden sprachdidaktischen Methodenrepertoires lässt sich stets wiederfinden. Dazu gehören zum Beispiel die Gestaltung unterstützender Unterrichtskommunikation wie beim Scaffolding, aber auch Wortschatzarbeit im Fachunterricht, vorbereitende Textentlastungen für das Lesen von Fachtexten, das Trainieren von Lese- und Schreibstrategien sowie andere Techniken und Methodiken, die der Arbeit an und mit Sprache im Unterricht dienlich sind. Einige davon werden im Kapitel 2 des Buches unter fachübergreifender Perspektive vertieft. Andere werden in den fachdidaktischen Ansätzen im Teil II des Buches fachspezifisch ausbuchstabiert.
1.5 Wissenswertes zum Zweitspracherwerb Deutsch
Obwohl im vorliegenden Studienbuch insgesamt fachdidaktische und zweitsprachdidaktische Perspektiven so miteinander verbunden werden, dass Lehramtsstudierende der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer ein Angebot an Konzepten und Handlungsoptionen für die konkrete Unterrichtsgestaltung bekommen, ist es an mancher Stelle hilfreich zu verstehen, wie der Erwerb des Deutschen als Zweitsprache systematisch und grundsätzlich verläuft. Die Spracherwerbsforschung