A translanguaging theory […] takes the point of view of the bilingual speaker himself or herself for whom the concept of two linguistic systems does not apply, for he or she has one complex and dynamic linguistic system that the speaker then learns to separate into two languages, as defined by external social factors, and not simply linguistic ones. Translanguaging […] is an approach to bilingualism that is centered, not on languages as has often been the case, but on the practices of bilinguals that are readily observable […]. (García/Kleyn 2016, 12)
Aufbauend auf dem Bisherigen stellt sich nun die Frage, welche Brücken sich schlagen lassen zwischen den normativ homogenisierenden schulischen Anforderungen und der Realität einer mehrsprachigen, von Migration geprägten Gesellschaft, in der selbstverständlich deutschsprachige Fähigkeiten für schulischen Erfolg und damit für eine breite gesellschaftliche Teilhabe eine bedeutende Rolle spielen. Eine Möglichkeit bestünde darin, sich zunächst den tatsächlichen Ausprägungen von Mehrsprachigkeit überregional, aber auch lokal zuzuwenden und der linguistic superdiversity bundesdeutscher Großstädte sowie ihrer schulischen Einrichtungen (Duarte/Gogolin 2013) ebenso Rechnung zu tragen wie der Tatsache, dass zwischen 30 % und 50 % der bundesdeutschen Bevölkerung inzwischen mit dem Merkmal ‚Migrationshintergrund‘ statistisch erfasst werden (vgl. zusammenfassend Geist/Krafft 2017, 12f., bezugnehmend auf statistische Angaben aus den Jahren 2013 und 2014).
Dabei ist jedoch der Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Mehrsprachigkeit nicht automatisch gegeben. Auch aus bildungsstatistischen Daten geht nicht hervor, wie mehrsprachig Schüler*innen der Sekundarstufen sind, da in der Regel die Erhebungen mit dem Merkmal Migrationshintergrund arbeiten und dabei auf die Herkunft von Eltern, auf Geburtsort und Staatsangehörigkeit rekurriert wird.1 Der noch unbestimmte Zusammenhang zwischen der Erhebung von schulstatistischen Daten und Sprache wird in der folgenden Definition von „Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund“ der Kultusministerkonferenz (KMK) deutlich:
Grundsätzlich ist der Migrationshintergrund schwierig zu erfassen […]. Danach ist bei Schülerinnen und Schülern ein Migrationshintergrund anzunehmen, wenn mindestens eines der folgenden Merkmale zutrifft:
1 Keine deutsche Staatsangehörigkeit,
2 Nichtdeutsches Geburtsland,
3 Nichtdeutsche Verkehrssprache in der Familie bzw. im häuslichen Umfeld (auch wenn der Schüler/die Schülerin die deutsche Sprache beherrscht). (KMK 2017, 32)
Die spezifischen sprachlichen Kompetenzen in mehreren Sprachen bleiben in der hier aufgeführten Definition unbenannt und undifferenziert. Im Ergebnis dieser Darstellungen erscheint die Gruppe der Schüler*innen mit Migrationshintergrund zunächst als eine homogene und tendenziell defizitäre Gruppe. Der Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und dem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache bleibt jedoch im Detail unklar. So gibt es selbstverständlich auch Schüler*innen, auf die Merkmale 1 und/oder 2 aus der Liste der KMK zutreffen, die aber monolingual aufwachsen sind. Eine Schülerin kann beispielsweise eine Mutter mit iranischer Staatsangehörigkeit haben, aber allein mit ihrem deutschsprachigen Vater aufwachsen und kein Wort Farsi sprechen. Zahlreiche in der Bundesrepublik geborene, bilingual und mehrsprachig aufgewachsene Kinder und Jugendliche sind zudem Teil des Bildungssystems, ohne dass deren individuelle sprachliche Ressourcen bisher systematisch Berücksichtigung gefunden hätten.
Im Schuljahr 2016/2017 wurden beispielsweise an allgemeinbildenden Schulen im Land Baden-Württemberg insgesamt 120801 als ausländisch bezeichnete und damit auch meist mehrsprachige Schüler*innen erfasst (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2018). Der Anteil dieser Schüler*innen an Gymnasien steigt seit dem Jahr 2000/2001 kontinuierlich an und beträgt 2016/2017 5,1 % der gymnasialen Gesamtschülerschaft. In der Sekundarstufe I der Gemeinschaftsschulen Baden-Württembergs hat sich der Anteil sog. ausländischer Schüler*innen von 6,8 % im Schuljahr 2012/2013 auf 15,7 % im Schuljahr 2016/2017 mehr als verdoppelt. Die zum Zeitpunkt der Erhebung in Vorbereitungsklassen beschulten neuzugewanderten Kinder und Jugendlichen haben, abhängig von ihren eigenen oder der familiären Bleibeperspektive, die hier genannten Zahlen noch einmal erhöht. Nach einer Sondererhebung des Kultusministeriums des Landes Baden-Württemberg von Mai 2017 wurden zu diesem Zeitpunkt etwa 30800 Kinder und Jugendliche in Vorbereitungsklassen beschult, davon etwa 17000 in Grundschulen, fast 8000 in Werkreal- und Hauptschulen und ca. 6000 in Gemeinschaftsschulen, Gymnasien, Realschulen und Integrierten Schulformen. (Landtag BW, Drucksache 16/1931, 19.4.2017)
Wie bereits festgestellt, ist davon auszugehen, dass in Bezug auf die schulsprachlichen Normen und Erwartungen alle Schüler*innen Merkmale sprachlicher Heterogenität aufweisen. Die Zweitsprache Deutsch als eines dieser Merkmale kann in einem auf Homogenität ausgerichteten Schulsystem als ein Ungleichheit generierender Faktor angesehen werden, dem auf verschiedenen Ebenen schulischer Bildung – Schulsystem, Einzelschule, Individuum – begegnet werden kann und sollte (Pilz 2018).
1.4 Von DaZ-Förderung bis Sprachbildung: Geschichte und Konzepte
Eine der wichtigsten Grundlagen für den parallelen Ausbau sprachlicher und fachlicher Kompetenzen im Unterricht besteht zunächst darin, sprachliche Heterogenität im Klassenzimmer als Normalfall anzuerkennen. Darauf aufbauend benötigen Fachlehrkräfte eine hohe Sensibilität für die Rolle von Sprache(n) beim Lernen sowie Konzepte und Methoden für die sprachlich-fachliche Bildung ihrer Schüler*innen. Diese stammen häufig aus den Fächern Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Nach den Ausführungen zu gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und zur Bedeutung sprachlicher Kompetenzen für schulische Bildung in den Unterkapiteln 1.2 und 1.3 wird nun die Geschichte des akademischen Faches Deutsch als Zweitsprache kurz umrissen, bevor anschließend ein Überblick über verbreitete Konzepte schulischer Sprachförderung und sprachlicher Bildung gegeben wird. Der Blick auf die Fachgeschichte dient nun als weitere Grundlage für ein besseres Verständnis der Konzepte und ihrer späteren, stärker unterrichtspraktischen Konkretisierung.
Zur Geschichte des (akademischen) Faches Deutsch als Zweitsprache
Da ein rascher Übergang in Regelklassen nur an wenigen Schulen konsequent betrieben wurde, kam es häufig zu mehrjährigen Ausländerklassen […]. Zu den Klassengrößen kam die Fluktuation durch häufige Neuzugänge, zu den Verständigungsproblemen kam das Fehlen didaktischer Expertise, zu den Schwierigkeiten des Unterrichts kam das geringere Ansehen, das mit seiner Erteilung verbunden war. […] Wo keine Vorbereitungsklassen oder ähnliche Einrichtungen existierten, wurden die Seiteneinsteiger in bestehende Regelklassen aufgenommen. Es war dann ihr persönliches Glück oder Pech, ob es dort zusätzlichen Deutschunterricht gab oder nicht, ob dort Lehrkräfte unterrichteten, die in der einen oder anderen Form ein gewisses Maß an Zuwendung aufbrachten, oder Lehrkräfte, die schon zufrieden waren, wenn die Neuankömmlinge nicht allzu sehr störten. (Reich 2017, 78f.)
Dieses Eingangszitat beschreibt nicht etwa die Situation der durch die Fluchtmigration des Jahres 2015 kurzfristig erhöhten Zuwanderungszahlen, sondern die Situation in der damaligen Bundesrepublik in den 1950er bis 1970er Jahren. An die Anwerbung ausländischer, vorwiegend männlicher Arbeitnehmer schlossen sich Familiengründungen und der Nachzug von Familienmitgliedern an. Dementsprechend trat eine hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter mit verschiedenen Erstsprachen und eher alltagsbezogenen, geringen Deutschkompetenzen in das Schulsystem ein. Im Jahr 1964 beschloss die damalige KMK die Einführung von Deutschlernklassen. 15 Jahre später, 1979, beschloss sie deren Abschaffung zugunsten von Fördergruppen und Regelunterricht und damit die reguläre