Zwischen alltäglich verwendeten Formulierungen und dem Sprachgebrauch in schulischen Kontexten bestehen ganz offensichtlich Unterschiede, die in Merkmalsdarstellungen abgebildet werden können, die Alltags- und Bildungssprache einander gegenüberstellen. Einen kurzen historischen Überblick über die Dynamik des Begriffs ‚Bildungssprache‘ liefern Berendes et al. (2013). Dort werden „zunächst der Gebrauch des Begriffs ‚Bildungssprache‘ bzw. verwandter oder synonym verwendeter Begriffe (z.B. ‚(alltägliche) Wissenschaftssprache, ‚Büchersprache‘, ‚Sprache der Schule‘, ‚akademische Sprache‘) und damit im Zusammenhang stehende Terminologien (z.B. Sprachvarietät, Sprachregister, Sprachgenres, Sprachcode) thematisiert“ (ebd., 17). Allein die Nennung der zahlreichen, parallel verwendeten Begriffe deutet darauf hin, dass es derzeit kein einheitliches Verständnis der in schulischen Kontexten verwendeten Sprache(n) gibt.
Großen Einfluss auf die Herausarbeitung von Spezifika unterschiedlicher sprachlicher Register, als die der alltägliche und schulische Sprachgebrauch gelten können, hat die Unterscheidung von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie medialer Mündlichkeit und Schriftlichkeit nach Koch/Oesterreicher (1985 und 2007). Dabei ist der Begriff der ‚Alltagssprache‘ dem konzeptionell mündlichen Pol und der Sprache der Nähe zuzuordnen.
Die erste damit getroffene Festlegung ist, dass Alltagssprache grundsätzlich sowohl im gesprochenen wie im geschriebenen Medium möglich ist, wenngleich das phonische Medium das primäre ist. Konstitutiv für Alltagskommunikation sind Merkmale wie Informalität und (raum-)zeitliche Nähe der Kommunikationssituation, Spontaneität und Routinisierung der Interaktion […]. Daraus leitet sich als zweite Festlegung ab: Am distanzsprachlichen Pol des konzeptionellen Kontinuums stehen der Alltagssprache Texte gegenüber, denen sich tendenziell die Merkmale formell, auf raum-zeitliche Distanz angelegt, geplant, monologisch etc. zuschreiben lassen. In einer schriftkulturell geprägten Gesellschaft sind dies Texte, für die sich Sprecher-Schreiber der (konzeptionell schriftlichen) Hochsprache bedienen. (Elspaß 2010, 419)
In einer breit rezipierten Definition nach Gogolin (2010) ist der Begriff ‚Bildungssprache‘ für Maßnahmen der Sprachförderung und Sprachbildung in schulischen Kontexten und zunehmend auch für Forschungszwecke angenommen worden.
Der Begriff [‚Bildungssprache‘, K.P./A.B.] wurde entwickelt im Anschluss an englischsprachige Forschung über ‚academic language‘ […] als das sprachliche Register, das benötigt wird, um kognitiv anspruchsvolle Lernangebote und Aufgabenstellungen des Unterrichts zu bewältigen (Textkompetenz). […] [Bildungssprache] differenziert sich im Laufe einer Bildungsbiographie zunehmend in die Register der Fächergruppen aus. Sie ist für Bildungserfolg relevant, weil sie das Medium ist, in dem schulisches Wissen vermittelt und angeeignet wird, und zugleich das Medium, in dem der Nachweis einer erfolgreichen Aneignung des Wissens und Könnens erbracht wird. (Ebd., 29)
Gogolin nimmt hier Bezug auf die Unterschiede zwischen Cognitive Academic Language Proficiency (CALP) auf der einen Seite und Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS) auf der anderen. Diese Begriffe sind auf das umfangreiche Werk von Jim Cummins zur Bilingualitätsforschung und zum schulischen Lernen bilingualer Kinder zurückzuführen (z.B. Cummins 2000). Cummins hat sich bereits in den 1980er und 1990er Jahren intensiv mit Fragen eines erfolgreichen Zweitspracherwerbs (des Englischen) und den damit verbundenen Bildungschancen von mehrsprachigen Schüler*innen befasst (vgl. dazu auch Gogolin/Duarte 2016; Petersen/Tajmel 2015, 94; Rösch 2011, 26).
Zu den wichtigsten Merkmalen von Bildungssprache werden sprachliche Elemente und Strukturen wie Komposita, Partizipial- und Infinitivkonstruktionen, mehrgliedrige Sätze mit Konnektoren, Nominalisierungen, komplexe Attributionen in Nominalphrasen und Präpositionalphrasen gezählt (Hövelbrinks 2013, 77). Ebenso werden dazu lexikalisch-semantische, syntaktische und diskursive Textmerkmale gezählt. Zu ersteren gehören „komplexe Phrasen und/oder morphologische Besonderheiten“ wie Präfixverben, Komposita, Mehrfachkomposita, außerdem Adjektive auf -bar, -los, -arm, -reich, aber auch unpersönliche Ausdrücke und Verallgemeinerung unter Ausblendung situativer Bezüge (man, es) oder auch normierte Fachbegriffe.
Diese (unvollständige) Aufstellung sprachlicher, im engeren Sinne grammatischer Phänomene, die als bildungssprachlich und damit für Schüler*innen mit und ohne DaZ-Erwerb als herausfordernd gelten, kann weiter ergänzt werden, z.B. um komplexe Beifügungen (Attribute), Präpositionen, trennbare und untrennbare Verben auf der Satzebene oder um die Orientierung an den Konventionen geschriebener Sprache (z.B. Bickes et al. 2016). Gleichzeitig ist fraglich, ob die genannten Strukturen tatsächlich die wichtigste Quelle von Herausforderungen für sprachliches und fachliches Lernen darstellen, da sich viele von ihnen auch in anderen Kontexten des Sprachgebrauchs finden (Ahrenholz 2017, 22). Dennoch ist es hilfreich, sich mit potentiell herausfordernden Strukturen und Elementen der deutschen Sprache für schulisches Lernen zu beschäftigen, da von ihnen ausgehend Maßnahmen von Sprachförderung und sprachlicher Bildung entwickelt werden können (siehe für ein Beispiel für das Fach Geschichte auch Kapitel 6 in diesem Studienbuch).
Mit dem Terminus ‚Fachsprache‘ ist ein weiterer Zugang zur Betrachtung sprachlicher Herausforderungen beim schulischen Lernen angesprochen, über dessen Besonderheiten Kniffka/Roelcke (2016) einen kurzen Überblick geben. Fachsprachen als Mittel der Kommunikation von Fachpersonen in einem spezifischen Tätigkeitsbereich zeichnen sich durch die Merkmale Präzision, Differenzierung, Ökonomie und Anonymität aus, die mit spezifischen sprachlichen Mitteln erreicht werden (ebd., 61). Das Festlegen präziser Wortbedeutungen durch Definitionen und die Differenzierung von Wortschatz durch die Bildung und Verwendung von Fachwortschatz sind nur zwei Beispiele hierfür. Eine ökonomische Ausdrucksweise zeigt sich als effiziente Kommunikation hinsichtlich des kommunikativen Aufwandes und hinsichtlich der kommunikativen Ergebnisse. In Fachtexten sind daher nicht nur Kurzwortbildungen enthalten, sondern sie zeichnen sich auch durch strenge Textmuster oder Textbaupläne aus (ebd., 76f.). Der sprachliche Anspruch von Anonymität und Objektivität wird stilistisch u.a. durch die bekannten Mittel der Passivkonstruktion und Substantivierung hergestellt. Aber auch Symbole, Formeln, Abbildungen und Tabellen können Fachtexte charakterisieren. Fachsprachen werden nach Fächern horizontal und nach der Art der Kommunikation zwischen Expert*innen und Lai*innen vertikal gegliedert. Fachsprachliche Anteile im Unterricht beschränken sich also nicht nur auf neue, fachspezifische Wörter und Begriffe. Sie werden auch durch die Art und Weise der Kommunikation zwischen den Lehrkräften als vermittelnden Expert*innen ihrer Fächer und lernenden Lai*innen charakterisiert, die in der Unterrichtskommunikation erklärend und verstehend agieren.
In schulischen Kontexten finden sich zahlreiche Formen von Sprache(n) und Sprachgebräuchen, die miteinander in Kontakt treten und interagieren: Alltags- und Bildungssprache(n), Fachsprache(n), Regionalsprache(n), Jugendsprache(n) sowie zahlreiche andere Sprachen als das Deutsche. Die Sprache(n) in der Schule und in den Fächern können nicht allein aus einer Perspektive, z.B. die einer an grammatischen Kategorien ausgerichteten Sprachbeschreibung, abgebildet werden. Für eine Sensibilisierung für die vielfältigen Charakteristika der Sprache(n) in der Schule und in den Fächern sollen diese einführenden Bemerkungen jedoch zunächst ausreichen, um in einem nächsten Schritt die fachlichen Anforderungen sprachlich zu reflektieren.
Entwicklung fachlicher und sprachlicher Anforderungen: das Beispiel „politisch mündig handeln lernen“
Um die Entwicklung der sprachlichen Anforderungen der Fächer über die Jahrgangsstufen hinweg besser zu verstehen, soll anhand eines Beispiels der sprachlich-fachliche Anforderungsweg von der Grundschule in die Oberstufe nachgezeichnet werden:
vom Sachunterricht der Grundschule (Klasse 1 bis 4)
in das Fach Gesellschaftswissenschaften (Klasse 5 bis 6)
zum Fach Politische Bildung (Klasse 7 bis 10)
bis hin zum Fach Politikwissenschaft (Klassen 11 bis 13).
Im Rahmenlehrplan der Grundschule für das Fach Sachunterricht der Länder Berlin und Brandenburg werden fachliche Kompetenzen formuliert, die prozessorientierte Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen