Und damit ist meine (keineswegs vorurteilsfreie) Vorausschau auf das Gebiet, das vor uns liegt, praktisch vollständig. (Ob die Argumente, die in diesen fünf Kapiteln vorgebracht werden, vollständig sind oder nicht, bleibt dem Urteil des Lesers überlassen.) Im allgemeinen wurden Fallbeispiele und Veranschaulichungen mit Ausnahme von einigem illustrativen Material aus der frühen Gestaltforschung im ersten Kapitel in der Hoffnung herausgelassen, dadurch einen erzählerischen Rhythmus und die Klarheit einer anderen, eher theoretischen Art und Weise zu erreichen. Einerseits sollte jedes Kapitel für sich stehen können, und der Leser, der eher an dem einen Thema interessiert ist als an dem anderen, sollte in der Lage sein, jedes einzelne Kapitel – oder überhaupt alle Kapitel in beliebiger Reihenfolge – zu lesen und doch wenigstens die Essenz des übergreifenden Gedankenganges zu erfassen, der daher in jeder neuen Phase der Präsentation wiederholt wird. Andererseits versuche ich in jedem Kapitel, diese theoretische Erzählung anzusprechen und in der Richtung voranzutreiben, die oben skizziert wurde (und man beachte den Tonfall eindimensionaler Parteilichkeit, der sich an dieser Stelle meiner Fremdenführung wieder einschleicht). In der Hoffnung, dieses Ungleichgewicht von Theorie und Praxis wenigstens bis zu einem gewissen Grad auszugleichen, werden in den beiden letzten Kapiteln zwei Arten von Fällen präsentiert, zum einen aus dem »klinischen« Bereich und zum anderen aus dem sozialen oder institutionellen Bereich (wobei es angesichts der Neuformulierungen, die in den vorhergehenden Kapiteln entwickelt werden, möglich sein sollte, diese verschiedenen Problemebenen mit den gleichen Begriffen zu erfassen). Ich beanspruche nicht – um einen Punkt noch einmal aufzugreifen, der bereits erwähnt wurde und in den folgenden Kapiteln auch häufig wiederholt wird – der erste zu sein, der dies im Rahmen des Gestaltmodells versucht. Vielmehr geht meine Einschätzung dahin, dass die beste und kreativste Gestaltpraxis vieles von dem, was in dieser theoretischen Neuformulierung aufgegriffen wird, schon verwirklicht hat. Aber die »beste Praxis« nach dem Gestaltmodell, so behaupte ich, wird nicht überall von der Theorie unterstützt, sondern ist gezwungen, einige gewohnheitsmäßige Sprünge, unerklärbare Rückgriffe oder verwirrende Verbindungen vorzunehmen. Das ist ganz gut und schön, wenn man weiß, was man tut, aber es ist sehr schwer zu lehren! Daher besteht meine Hoffnung eigentlich darin, dass die Gestaltlehre am meisten durch dieses Buch beeinflusst werden kann, wobei es mein Ziel ist, jene kreative Praxis auf der Grundlage eines besser organisierten theoretischen Grundes zu unterstützen und zu vermitteln.
Und nun noch einmal ein (fast) letztes Wort über Goodman und Perls. Es ist üblich, dass diejenigen, die etwas neu bearbeiten, behaupten, sie würden zu den Grundlagen zurückkehren, die irgendwie im Laufe der Zeit verloren gegangen sind oder verzerrt wurden – oder dass sie auf einzigartige Weise auserkoren wären zu erklären, was die Meister wirklich meinten, besser als es die Meister selbst konnten. Heutzutage ist es auch üblich, die Tatsache hervorzuheben, dass vieles von der Arbeit Perls’, besonders in seinen späteren Jahren, eine Zurschaustellung gleichsam einer einzigen Ecke des Gestaltmodells, das er so mühevoll entwickelt hatte, war und dass diese Arbeit, wenn sie nicht schon selbst eine Karikatur dieses Modells war, sich doch dafür hergab, dies in den Händen anderer, weniger disziplinierter Show-Männer (und Show-Frauen) zu werden. Wie ein Hokusai, der seine Pinselführung mit zunehmendem Alter vereinfacht, verwendete Perls Abkürzungen und schnelle Striche, die schnell zu leblosen Klischees in den Händen einiger seiner Imitatoren wurden, die in ihnen nicht wohlbegründete Sprünge ins Zentrum der Sackgasse sahen, sondern eine Abkürzung, die die Notwendigkeit lebenslanger klinischer und kultureller Erfahrung umgehen könnte. Daher rührt die heute verbreitete Praxis, ein paar rituelle Blitzlichter auf Perls zu werfen, um sich mit der eigenen Position von einer bestimmten Art von »Gestalt«-Praxis, die in wohlverdienten Misskredit geraten ist, distanzieren zu können. Dies ist nicht die Absicht dieses Buches, noch ist es das hier dargestellte Bild von Perls selbst, was immer auch die Unterschiede in der theoretischen Akzentuierung, die in diesen Kapiteln entwickelt werden, sein mögen, und wie immer unangemessen die Darstellung von Perls, dem Kliniker, und Perls, dem Menschen, besonders im zweiten Kapitel, sein mag. Trotz der Widersprüche in seinem Leben und in seiner theoretischen Perspektive stand Perls immer in Figur und Grund für Authentizität, Lebendigkeit und Abenteuer (im wahren Sinne des Wortes, dass man das Selbst in der Begegnung riskiert). Das heißt nicht, dass er alle Argumentationen in diesem Buch unterstützt hätte. Hätte er aber, sagen wir, zehn oder fünfzehn Jahre länger gelebt, hätte er seine berühmte Ungeduld und seinen scharfen Blick sicherlich auf die verbreiteten klinischen Probleme dieser Tage gewandt, Probleme, die ich als Verzerrungen nicht nur der Figur, sondern auch des strukturierten Grundes charakterisiert habe: Vereinsamung, Konsumsucht, Ich-Bezogenheit und fehlendes commitment, sowohl in persönlicher als auch in politischer Hinsicht, und die damit zusammenhängenden Probleme des leidenschaftslosen Herzens, die sich uns so häufig in der klinischen (und nicht-klinischen) Population unserer Zeit stellen. Man denke sich – mit einigem Vergnügen – ein glückloses Opfer von heute auf dem heißen Stuhl unter der Peitsche des berüchtigten Zorns von Perls vor: »Mach, dass Du hier wegkommst! Ich kann mit Dir nicht arbeiten. Du lässt Dich wirklich auf gar nichts ein.«
Das gilt auch und sogar in noch stärkerem Maß für Paul Goodman. Heute, nachdem Goodmans literarische und politisch-philosophische Arbeit fast völlig in Vergessenheit geraten ist, ist es nur eine Frage der Zeit, wann er wieder für das, was er war und ist, anerkannt wird: nämlich als eine der einflussreichsten kritischen intellektuellen Stimmen in der Mitte unseres Jahrhunderts in Amerika und einer der vorbildlichsten Literaten. Es war – um einen Vorgriff auf den nachfolgenden Text zu wagen – ein unendlich großer Verlust für die Gestalttherapie und tragisch für unsere Zeit, dass Goodman nicht lange genug lebte, um seine brillante Eloquenz und sein umfassendes intellektuelles Wissen im Hinblick auf die verschiedenen Probleme (oder die verschiedenen Manifestationen des gleichen Problems) des Individuums in der Gesellschaft unserer Zeit zum Tragen zu bringen. Es gerät heute leicht in Vergessenheit, dass Goodman als prophetischer Kritiker zu seiner Zeit keineswegs eine einsame Stimme in der Wüste war. Im Gegenteil, er beeinflusste die gesamte Bandbreite der Befreiungsbewegungen der Fünfziger- und Sechziger-Jahre auf sehr umfassende und direkte Weise – einschließlich der Bewegung zur Befreiung der Psychotherapie von der schalen Begrenztheit Freudscher Ausbildungsinstitute (die heute teilweise wegen des konkurrierenden Einflusses des Gestaltmodells viel weniger schal sind). Er prägte schließlich die Gemüter einer ganzen Generation, die im Gegensatz zu den gesamten autoritären Kräften jener Tage ihre eigene innere Abscheu gegen einen obszönen Krieg wandte. Wenn Goodman zur Zeit der Entstehung dieses Buches noch gelebt hätte, wäre er lediglich so alt wie Präsident Reagan. Diesen Vergleich auch nur auszusprechen, heißt, das anzuprangern, was diese Gesellschaft in der Lage ist, ihren besten Männern und Frauen anzutun.
Und nun ein allerletztes Wort über die geschlechtsspezifische Sprache in diesem Buch. Die Menschen haben, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, eindeutig das eine oder andere Geschlecht. Die englische Sprache versorgt das weibliche Genus mit einer Reihe eigener Pronomen, während das männliche Genus sowohl für das männliche Geschlecht als auch für das Kollektiv und manchmal für unpersönliche Fälle steht. Wem dies letztlich am meisten zum Nachteil dient, ist unklar, wie bei so vielen Dingen der Genus-Politik. Die Schwerfälligkeit der Wiederholung von »er oder sie«, »sein oder ihr« usw. wird bereits in dieser Einführung deutlich. Die Verwendung von sie und ihre für das unpersönliche man ist auch verwirrend und inakzeptabel. Mit Entschuldigungen an alle Seiten und in der Hoffnung auf bessere Zeiten für die Sprache und für die Kultur folgt dieser Text der unbefriedigenden traditionellen Praxis in der Verwendung von er, sein und seinem, um sowohl den maskulinen als auch den generellen Fall auszudrücken.
Wie jedes andere Buch ist auch dieses Buch eine Unterhaltung oder die eine Seite einer Unterhaltung, die im Geist des Lesers fortgesetzt wird und die dann, wenn der Autor Glück hat, in irgendeiner Form der Erwiderung vervollständigt werden kann. Aber dieses Gespräch ist aus vielen vergangenen Gesprächen erwachsen, die den Grund für diese Figur beeinflusst und organisiert haben. Mein Dank gilt den folgenden Gesprächspartnern – Lehrern, Studenten, Kollegen und Freunden – für ihre kreative Zustimmung oder ihren Widerspruch, ihre Herausforderung und Unterstützung,