Kontakt und Widerstand. Gordon Wheeler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gordon Wheeler
Издательство: Bookwire
Серия: Edition Humanistische Psychologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783897975972
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Interpretation folgen. Die Interpretation des Therapeuten (oder, genauer gesagt, die Neuinterpretation) organisiert das Feld neu – oder »zerstört« (in Gestaltbegriffen) zumindest das bestehende Bild, sofern die Interpretation vom Patienten mitgetragen wird, und macht eine Neuentscheidung und neue daraus folgende Handlungen sowohl möglich als auch notwendig. So können beispielsweise Situationen, die vorher vom Patienten als bedrohlich angesehen wurden, jetzt als möglicherweise neutral oder sogar anziehend eingeschätzt werden, was in den Begriffen Lewins einer Neuorganisation der Valenzen mit offensichtlichen Konsequenzen für die Handlung entspricht. Und dies gilt auch für andere, ähnliche Beispiele, die alle sowohl in der Psychotherapie als auch im täglichen Leben ganz übliche Phänomene darstellen.

      Aber das Modell der Veränderung, das wir hier aus dem Wahrnehmungsmodell der Gestalt beziehen, kann noch weiter reichen. Da es zur eigentlichen Natur des wahrnehmenden Organismus gehört zu interpretieren – das heißt Teile zusammenzufügen, Teile im Feld in ein organisiertes Ganzes aufzulösen –, ist die Versorgung mit fertigen Interpretationen durch den Therapeuten (oder andere Lehrer) vielleicht gar nicht nötig bzw. sie könnte sogar kontraproduktiv sein, je nachdem welche Art von Wandel angestrebt wird. Bloße Konzentration der Aufmerksamkeit der Person, besonders auf einige Teile des Feldes, die typischerweise außerhalb der Bewusstheit blieben, erzeugt per Definition eine Neuorganisation des Feldes und zumindest das Potential für entsprechende Verhaltensänderungen der einen oder anderen Art. Der letzte Satz ist bedeutsam, denn es scheint wahrscheinlicher, dass Verhaltensänderung, die auf diese Weise zustande kommt, stärker vom Klienten gesteuert wird als bei einigen anderen, präskriptiveren Methoden; aus der Sichtweise des Therapeuten ist das Veränderungsmodell der Gestalt weniger normativ. Im Gegensatz dazu kann die Steuerung der Person bei einem in direkterer Weise überzeugenden oder handlungsorientierten Ansatz sich erwartungsgemäß mehr auf den Widerstand gegenüber den besonderen gewünschten Veränderungen richten, besonders gegenüber dem Therapeuten oder gegenüber dem gesamten Prozess. Natürlich kann der Therapeut bei einem »Bewusstheitskonzept« die Richtung oder die Thematik des Wandels immer noch auf verschiedene Weise beeinflussen (vor allem, indem er die besonderen unbewussten Gebiete bestimmt oder mitbestimmt, auf die die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll). Dennoch können wir erwarten, dass die daraus folgenden Verhaltensreaktionen aber nicht notwendig in größerem Maß als bei den anderen Modellen unvorhersehbar sind.

      Dieser Ansatz für das Auslösen von Veränderungen wurde – immer noch ohne Anerkennung seiner theoretischen Wurzeln besonders im Modell von Lewin – etwas unangemessen bekannt als die »paradoxe Theorie der Veränderung« (Beisser 1970). Unlogisch auch, weil es hier wirklich kein Paradox gibt wie zum Beispiel bei der »paradoxen Intervention«, die in der Familientherapie genutzt wird, wobei man darauf hofft, dass die Person das genaue Gegenteil von dem tun wird, was der Therapeut ausdrücklich anordnet. Bei unserem Modell hier ist bei in der Konzentration auf die Bewusstheit selbst kein Paradox als Methode der Handlungsbeeinflussung beteiligt, denn man geht davon aus, dass die Handlung aus der Bewusstheit entspringt und daher am unmittelbarsten durch die Bewusstheit beeinflusst werden kann. Trotzdem sind die Konsequenzen für die psychotherapeutische Praxis offensichtlich und weitreichend. Die Rolle der Bewusstheit per se wird nicht nur erhöht und die der Interpretation entsprechend verringert, sondern der spezielle Prozess, auf den sich die Aufmerksamkeit und Analyse konzentriert, unterscheidet sich von denjenigen, die man mit traditionellen psychotherapeutischen Modellen assoziiert. Wenn es also die Natur des Organismus ist, seine Bedürfnisse dadurch zu befriedigen und zu koordinieren, dass er bedeutungsvolle Konfigurationen, Gestalten im Feld, auflöst, dann erzeugt jede Dysfunktion in diesem Prozess eindeutig andere Dysfunktionen in anderen Lebensprozessen. Der Psychotherapeut richtet seine Aufmerksamkeit also auf die Struktur der Erfahrung (um Goodmans Begriff aus dem Jahr 1951 zu verwenden) als Schlüssel zur Gesundheit und zur Dysfunktion – und damit zur Heilung.

      Wieder wird es im allgemeinen Perls zugeschrieben (und er schreibt es sich selbst ebenfalls zu; 1969b), diese Anwendung des Gestaltmodells, diesen Ansatz für den psychotherapeutischen Prozess entwickelt zu haben. Die Quellen stimmen jedoch darin überein (From 1978; Davidove 1985; Glasgow 1971), dass diese Anwendung zumindest zum großen Teil der Beitrag von Paul Goodman war, dessen Arbeit ich im einzelnen im dritten Kapitel untersuchen werde. Perls’ Interessen und seine Bewusstheit waren tatsächlich auf etwas ganz anderes gerichtet. Diesen Interessen, die besonders in dem einzigen längeren theoretischen Text ausgedrückt sind, den Perls zu seinen Lebzeiten geschrieben hat, wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit zu.

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