Als letzter Stern tauchte stets ihr Vater auf. Zärtlich strich er ihr über den Kopf: „Du weißt doch, dass ich bis in dein Bett leuchte. Immer.“
„Ich weiß, Papa, doch ich fühle mich dir nirgends näher als hier, barfuß im Kleid, den Sternenhimmel über uns … An keinem anderen Ort bin ich mehr Lotte.“ Sie wiegten sich im sanften Sternenwind. Ihr Vater küsste sie zärtlich auf beide Wangen und drehte seinen Blick hoch zu den Sternen.
„Warte, Papa! Manchmal weiß ich gar nicht, wer ich wirklich bin …“
Ihr Vater legte seinen warmen Zeigefinger kurz auf Lottes Nasenspitze: „Du bist Lotte. Lotte aus Lotupia …“
Am liebsten stand sie danach in ihrem langen roten Kleid barfuß auf der Wiese. Ihr braunes Haar flatterte in sanften Wellen. Tiefseelig atmete sie den Duft der Sterne ein und streckte ihre Arme hoch hinaus, konnte sie spüren.
Einen ganz großen Stern und lauter kleine sonnige Monde schimmerten um ihn herum. Alles floss durch sie hindurch. Ihre Seelen. Liebe, Freundschaft, Trauer und Glück.
Lotte behauptete, wer sich nicht Zeit für die Sterne nahm, der nahm sich für nichts Zeit. Und vielleicht hat sie ja recht …
Denn Sterne sind wie Träume. Du kannst sie zwar nicht immer sehen, doch hören sie nie auf, in deinem Herzen zu funkeln …
Ramona Wesselow-Krystosek lebt mit ihrer Familie in Zürich. Die gebürtige Berlinerin findet im Schreiben den ausgleichenden Kontrast zur beruflichen Finanzbranche. Bisher lag der Fokus auf Kurzgeschichten. Sie bezeichnet sich als genre-offen und interessiert – an allen Dimensionen des Schreibens bis hin zur Lyrik. 2021 wird ihr Schreibfederkleid mit dem Kinderbuch „Alex’ Reise nach Saphora“ erstmals sichtbar.
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Die Sternenprinzessin
Vor langer, langer Zeit … weit weg von unserer Welt und nur schwer zu erreichen, gab es einen Ort in den Sternen. Er war fernab jeglicher Vorstellung. Ein Land, wo die Sterne eigens strahlten und niemals Dunkelheit herrschte. Es war das Land der Träume und Wünsche. Jede Hoffnung konnte sich bewahrheiten und jedes Ding hatte eine Bestimmung und war nicht ohne Grund da.
Zwischen tanzenden Sternen, ganz hoch oben, wohnte ein König, der das Reich regierte. Er regierte voll Liebe und Zuversicht, er war verständnisvoll und sehr weise.
Die Menschen auf der Erde sehnten sich nach dem Licht, welches es doch dort so viel gab. Hier unten konnten sie die Helle nicht verstehen und so verschlossen sich ihre Herzen immer mehr. Ein junger Mann, er war fromm und stets höflich, wollte der Menschheit das Lachen wieder zurückholen. So machte er sich auf den Weg, das Licht zu besorgen und es ins heil’ge Vaterland zu schaffen. Doch wie alle, die dies versuchten, scheiterte auch er.
Ohne Licht in den Händen zurückzukehren, machte dem jungen Mann solche Angst, dass er zornig wurde. Er verfluchte das Königreich der Sterne und hasste es von diesem Tage an abgrundtief. So machte er sich mit dunkler Magie vertraut und nach jahrelangem Üben tötete er schlussendlich den gütigen König und es gelang ihm, alle Sterne am Himmelszelt zu stehlen. Bevor dem König jedoch alles genommen wurde, schickte er seine Tochter in die Welt, zu richten, was er einst geschaffen hatte.
Als der junge Mann und Magier nach Hause kam, die Mutter dachte schon, er hätte mit dem Leben bezahlen müssen, wurde er freudig erwartet. Drei Tage und drei Nächte feierte man und dem jungen Retter wurde großer Wohlstand versprochen. Die Menschen stellten die Sterne bei sich auf und konnten tatsächlich wieder lachen. Aber hatten sie eine Sache vergessen, weshalb ihnen nach und nach das Lächeln vergehen sollte …
Denn wer den Ort der Wünsche und Träume zerstörte, der nahm sich auch die eigene Freude. Doch das konnten die Menschen damals noch nicht wissen und so verblassten die Sterne von Tag zu Tag …
Siebentausend Jahre später, die Menschen wussten schon lange nichts mehr von dem Geschehenen, lebte ein Mädchen auf dieser Welt. Seit vielen, vielen Jahren herrschte dort nun schon Dunkelheit. Kein Mensch konnte sich mehr an den letzten Lichtstrahl erinnern. Doch schlimmer als die Finsternis war nur die Trauer … die Trauer der Frauen und Männer, Mütter und Väter, Großmütter und Großväter. Die Kinder auf dieser Welt litten jedoch am meisten. Keiner lehrte sie das Wünschen und so etwas wie Träume kannten sie nicht. Die Welt war trist und grau.
Das Mädchen war anders. Es erkannte das Gute und das Böse im Menschen. Es wusste, was falsch und was richtig war, und traf es eine aufrichtige Seele, so sah es ein Leuchten in deren Augen. Das Mädchen war ein Waisenkind. In dem Haus, in dem es aufwuchs, herrschten strenge Regeln – kein Lachen oder Kichern, dafür aber viele kraftraubende Hausarbeiten. Das Kind jedoch war immerzu freundlich zu Mensch und Tier, sodass jedermann es gernhaben müsste. Doch war dies nicht so. Die Kinder im Waisenhaus hänselten es ständig und auch die Erwachsenen, die es traf, hielten nicht viel von ihm. Da das Kind obendrein noch so klein und zierlich wie eine Puppe war, nannte man sie nur noch das Dollchen.
„Was stehst du schon wieder vorm Fenster, Dollchen? In fünf Minuten ist Schlafenszeit, mach dich fürs Bett bereit!“, so sprach die Frau vom Waisenhaus.
Das Mädchen antwortete nur: „Der Himmel ist so weit und groß. Wie kann er da so leer sein? Ich glaube, ihm fehlt etwas.“
„Unfug!“, rief da die Frau. „Jetzt mach, dass du ins Bett kommst!“ Zornig verließ sie den Raum und das Dollchen war wieder allein.
Bevor sie sich schlafen legte, erhaschte sie noch einen kurzen Blick auf die schwarze Nacht. Sie sah etwas Kleines, Leuchtendes aufblitzen, doch sie glaubte, es sich eingebildet zu haben, und so schlief seelenruhig ein.
Am nächsten Tage stürmte es und da niemand das Haus verlassen wollte, um die Arbeit zu erledigen, musste Dollchen das tun. Durch Eiseskälte und starken Sturm lief das Mädchen zum Buchbinder. Als sie mit schlotternden Knien vor seiner Tür stand, winkte der alte Mann sie herein. Das Kind mochte den Buchbinder, denn er war warmherzig und weise. Sie kannte keinen sonst, der so aufrichtig zu ihr ist. Der Mann stellte ihr einen wärmenden Tee hin und begann zu erzählen, wie immer, wenn das Dollchen ihn besuchen kam. Diesmal hatte er eine ganz besondere Geschichte für sie dabei. Eine Geschichte, die nicht zufällig ausgewählt wurde. Er erzählte vom Königreich der Sterne und von dem Mann, der der Welt mehr Licht schenken wollte. Er sprach davon, wie dieser Mann böse wurde, sich zum Magier machte und welche Grausamkeiten er vollbracht hatte. Dann sagte er:
Die Sterne wurden vom Himmel geklaut,
man stellte sie auf Erden auf
zu erleuchten die Dunkelheit.
Das Leuchten verschwand so mit der Zeit,
denn König tot auf Ewigkeit?
Kein Wünschen und kein Hoffen mehr.
Er schaute dem Dollchen tief in die Augen.
Ein Mädchen fromm und heiter
führt die Geschichte weiter.
So soll es gehen über sieben Brücken
und finden wird es die letzten Stücke,
soll zum Leuchten sie wieder bringen.
Lange redete der Buchbinder auf sie ein, sie sei das Kind aus der Geschichte und sie soll sich auf den Weg machen, das Sternenreich zu retten.
Das Dollchen glaubte nicht, dass sie es sein konnte. Doch sie wollte den alten Mann nicht kränken und schloss deshalb all ihren Mut zusammen, begab sich auf den Weg, die Sterne zu finden. Der Buchbinder aber wurde von diesem Tag an nie wieder gesehen …
Die Sachen gepackt und den Beutel auf dem Rücken, machte sich das kleine Mädchen auf ins Unbekannte. Nach einer