»Bei dir macht’s aber net so.«
»Weil ich ’n g’wohnt bin. Trink nur getrost, nach’m nächsten vergeht’s, wirst es sehn.«
Der Schwarze greift gierig zu: »Des waar mir fei lieb, weil, des stößt a so schierli her, dass ei’m glei die Boaner klappern.«
Er schlürft, und er schmatzt, setzt das Glas ab und erwartet den nächsten Stesser. Als er ausbleibt, lächelt er glücklich: »Ja, tatsächlich. Weg is ’s.«
Doch da reißt es ihn wieder, und zwar gleich so, dass es ihn halb von der Bank haut:
»Hick.«
Er sinkt mutlos zusammen. Der Brandner betrachtet ihn lauernd und ein wenig mitleidig und gießt noch einmal nach:
»Bist halt nix Gutes net g’wohnt, des is zum Merken.«
Nichts Gutes gewohnt – der Boanlkramer fängt zart zu greinen an. Sein Knochengesicht wird trübe im Kummer. Der Brandner kann es gut sehen, denn mit jedem Glas Kerschgeist sind die unheimlichen Züge deutlicher sichtbar, scheint der schwarze Schleier vor ihnen lichter zu werden.
Grad schön ist er ja nicht anzuschauen, mit seinen hohlen Wangen, dem luckerten Gebiss und der kleinen Nasen mit den großen Nasenlöchern. Von seinen dunklen, brennenden Augen aber geht eine Gewalt aus. Jetzt grad sind sie halb verschlossen von schweren, wimpernlosen Lidern, als er, angetrunken, voll Selbstmitleid anhebt:
»Naa, i bin wirkli nix Gutes net gewohnt. Weißt, diese Menschen! – Da jammern s’ und greinen s’, das Leben is gar so schwer und die Welt nix als wie ein Jammertal!«
»Geh!«
»Doch! Des sagen s’ im Ernst! Aber komm ich dann, sie zu erlösen, dann geht des G’schrei erst recht los! Da wollen s’ ums Verrecken weiterleben, und auf einmal wär alles so schön hier auf Erden, und grad Angst hams’.«
Er leert zur Bekräftigung sein Glas in einem Zuge.
»Musst es verstehn«, begütigt der Brandner und schenkt ihm das siebente Stamperl ein. Der unheimliche Besucher schüttet es gierig in sich. Man sieht ihm die Wirkung dieser ungewohnten Sauferei bereits an. Er lallt, als er heftig zu widersprechen beginnt:
»Naa, muaß i net. Und ich versteh’s auch net! Tu ich sie doch geleiten in zarter Gnade und die Luft erfüllen mit sanfter Musik auf ihrem Wege, auf dass sie sollen getröstet sein.« Er grinst. »Magst es hören? Pass auf – horch!«
Er tut eine große Handbewegung, und augenblicklich erschallt von fern ein Klingen von Harfen und Geigen und einer leisen Orgel dazu. Es dringt von oben herein und erfüllt allen Raum, es zieht den Brandner magisch empor in die Höh, auf die Füß, und er richtet den Blick nach oben. Er geht in der Stube herum und streckt sich, weil er es immer näher zu hören verlangt, und wäre gern aufgeschwebt, diesen Klängen nachfolgend.
Der Boanlkramer hockt auf der Bank, trinkt, und der Rausch macht ihn müde. Die Augendeckel sinken herab. Erst als der Brandner beim Umhergehen an den Tisch stößt, schreckt er auf, entsinnt sich der Pflicht und will sogleich wissen:
»No? Was is? Magst net doch mitgehn? Hm?«
Der Kaspar schüttelt den Kopf und versucht einen Ton der Vernunft:
»Es geht net, schau, siehg ’s halt ein, endlich. Ich bin noch vonnöten dahier. ’s Enkelkind und auch der Flori, denen muss ich das Gütl erhalten, auf irgend a Weis.«
Er schaut noch immer nach oben, als könne er die Musikanten der Himmelsweisen doch noch erspähen, und merkt kaum, wie der Boanlkramer hinter ihn tritt und ihm leise gebieterisch zuredet:
»Kaspar! Dein Leben währet nun schon zweiundsiebzig Jahre …«
Da fährt er herum:
»Ja, woaßt denn du, wie z’ kurz dass des is? Des lauft doch dahin, wie der Bach abi vom Berg, und stürzt mit jedem Jahr schneller talab, wie der Wasserfall! Vierzig Jahr waren ’s auf Lichtmess, dass mir mei Traudl g’storben is, und einundzwanzig, dass mir die Tochter wegg’holt worden is aus’m Kindbett. Von dir! Und mir is’ noch immer, als wär’s grad erst gewesen, grad gestern!«
Er redet sich in einen solchen Zorn hinein, dass der Boanlkramer vor dieser Anklage zurückwankt und kaum weiß, was erwidern, so hart geht der Alte ihn an: »Und jetzo, wo ich mich dreinfind’, wo grad alles wieder a bissei ins Lot kommt, da kamertst du mir daher, mitten im Sommer, zur Jagdzeit, wo d’ Rehbirsch beginnt, und taatst penzen und mich drangsalieren, dass i mitgeh – freiwillig! I bin doch net narret! Und außerdem is’ jetzt aa z’ hoaß!«
»So, zu heiß?« Der Boanlkramer zeigt sich beeindruckt und nickt ehrerbietig, als er auf die Ofenbank zurücksinkt und erneut nach dem Schnaps greift. Er wird wieder elegisch und beginnt leise zu jammern:
»Weißt, mir is es niemals z’ hoaß. Bloß jetzt grad is’ angenehm, bei dir da herin.« Er trinkt, setzt ab und lächelt recht freundlich: »Kaspar, des hast du schön vorgetragen, wirkli. Da will i aa net a so sein. Net, dass es heißert, an seinem Schnapse erlabet er sich, aber derkennt is nix. I sag dir was Schöns: I hol di im Hirgscht. Is des was? No, wie bin i zu dir? Sag selber!«
Der Kaspar gießt ihm abermals nach. Den Kerl würde er doch unter den Tisch saufen können, das wär doch gelacht! Er verzieht das Gesicht:
»Im Hirgscht? Was fallert denn dir ein? Sollt i die Hirschbrunft hint’ lassen? Und die Klopfeter?«
»Was is des?«
»’s Treibjagen! Ja, woaßt denn du gar nix?«
»Verzeih …«
»Und ’s Oktoberschießen? Und die großen Hofjagden?«
Abermals zeigt sich der Boanlkramer beeindruckt und voll Respekt: »Des is alles im Hirgscht?«
»No freili!«
»Die großen Hofjagden, soso? Net solche wie heut? G’scheide? Mit dem Eurigen Kini? Majestät persönlich?«
»Mit eahm selm. Und grad der möcht mi allweil dabei haben.«
Der Boanlkramer kratzt sich am Kopf und meint kleinlaut:
»Das freilich hab ich nicht bedenket.«
»Also. Was redst dann daher?«
Der Schwarze wackelt, seufzt tief, denkt angestrengt nach und kratzt sich dabei abermals ausgiebig am Kopf und den Schultern, ehe er würdig verkündet:
»Also, von mir aus, guat. Na mach ma ’s a so: I hol di im Winter. Punktum!«
Der Kaspar trumpft noch einmal auf:
»Punktum? Ja freili, so redt ma daher, wenn ma von nix was versteht. Und was is mit ’m Fuchspassen und ’m Marderausjagen? Außerdem is’ im Winter aa z’ kalt. Punktum!«
Ist dem Boanlkramer in seinem Surri das Heulen schon nahe? Er greint jedenfalls: »Ja, z’ kalt! Mir is’ immer z’ kalt! Verstehst, was des heißt, Kaspar? Zu kalt in Ewigkeit«, und legt die Knochenhänd auf den Kachelofen.
»Der Ofen is aa kalt. Da, trink, des wärmt. Was Bessers gibt’s net für di.«
Er schenkt abermals ein, er weiß nun schon selber nicht mehr, wie viele Kerschgeist er seinem Bedränger schon eingeflößt hat. Der bringt währenddessen einen letzten Vorschlag daher:
»Guat, Kaspar, wenn’s alles so schwierig sein soll, na kimm i im Fruahjahr! Aus Äpfi Amen! Aber des is mei allerletztes Wort!«
Der Kaspar verdreht nur die Augen:
»Im Fruajahr! Woaßt denn du net, dass da d’ Hahnfalz is und der Schnepfenstrich und die kloan Vögel am schönsten singen im Wald! Des kannst du im Ernst doch net moana, geh zua!«
Der Boanlkramer weiß keine Antwort mehr. Er klappt den Mund auf und zu, und der Kaspar nutzt das, um endlich zur Handelschaft mit dem Berauschten zu kommen, aber so, wie er sie sich vorstellt: