Der Krieg gegen die Drogen erwies sich als zugkräftiges Thema bei entscheidenden weißen Wählergruppen, insbesondere bei solchen, denen die Emanzipation der Schwarzen ein Dorn im Auge war. Seit den 1970er Jahren zeigen Studien immer wieder, dass hauptsächlich rassistisches Denken – und nicht die Kriminalitätsrate oder die tatsächliche persönliche Bedrohung – Weiße dazu bringt, eine harte Linie gegen Kriminalität und Maßnahmen zum Abbau von Sozialleistungen zu unterstützen.90 Die Weißen, die sich am meisten Sorgen über Verbrechen machten, waren zugleich jene, die sich gegen Reformen in den Rassebeziehungen sperrten, und ihre Befürwortung harter Strafen steht in keinerlei Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit, dass gerade sie Opfer von Verbrechen werden könnten.91 Im Schnitt tendieren Weiße zu härteren Strafen als Schwarze, trotz der Tatsache, dass Schwarze viel öfter Opfer von Verbrechen werden. Und auf dem Land, wo die Kriminalitätsrate am niedrigsten ist, fordern die Weißen die höchsten Strafen.92 Der in einer rassenneutralen Sprache gekleidete Krieg gegen Drogen bot Weißen eine einmalige Gelegenheit, ihre feindselige Haltung gegenüber Schwarzen und deren gesellschaftlichen Erfolgen zum Ausdruck zu bringen, ohne sich dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen.
Reagans Nachfolger, Präsident George H.W. Bush, wusste bereits aufgrund des Erfolgs anderer konservativer Politiker, dass sich mit negativen Rassenanspielungen Wähler von der Demokratischen Partei zu den Republikanern locken ließen, und zögerte nicht, diese subtilen implizit rassistischen Anspielungen einzusetzen. Bushs bekanntester Einsatz des Rassenthemas war der Wahlspot für William Horton. Darin war ein dunkelhäutiger verurteilter Mörder zu sehen, der während eines Hafturlaubs eine weiße Frau in ihrer Wohnung vergewaltigt hatte. Der Wahlspot machte Bushs demokratischen Konkurrenten, den Gouverneur von Massachusetts Michael Dukakis, dafür verantwortlich, weil er das Hafturlaubsprogramm, das die Tat ermöglichte, gebilligt hatte. Der Spot lief über Monate auf allen Sendern und wurde Gegenstand zahlloser politischer Kommentare. So kontrovers der Spot war, so wirkungsvoll war er auch: Er machte Dukakis’ Hoffnungen auf die Präsidentschaft zunichte.
Nach seinem Einzug ins Oval Office blieb Bush seiner Linie treu und bremste die Affirmative Action und die strikte Umsetzung der Bürgerrechtsgesetze. Mit umso größerem Enthusiasmus führte er den Krieg gegen die Drogen. Im August 1989 bezeichnete Präsident Bush den Drogenkonsum als »das drängendste Problem des Landes«.93 Kurz danach ergab eine von der New York Times und CBS News in Auftrag gegebene Meinungsumfrage, dass 64 Prozent der Befragten – der höchste jemals ermittelte Prozentsatz –nun tatsächlich glaubten, Drogen seien das größte Problem der Vereinigten Staaten.94 Diese Ängste in der Bevölkerung waren nicht einem tatsächlichen Anstieg der Drogenkriminalität geschuldet, sondern vielmehr das Ergebnis einer sorgfältig orchestrierten politischen Kampagne.95
Die Haltung, dass man den Problemen in den Wohnquartieren der Schwarzen mit »Härte« begegnen müsse, geht auf die 1960er Jahre zurück. Damals forderten die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung echte Opfer auf Seiten der weißen Amerikaner, und konservative Politiker erkannten, dass sie die Ressentiments der Weißen gegen die Schwarzen für sich nutzen konnten, indem sie gelobten, rigide gegen Kriminalität durchzugreifen. Ende der 1980er Jahre waren es jedoch nicht mehr nur die Konservativen, die Härte gegen das Verbrechen zeigen wollten und sich dabei einer Sprache bedienten, die den Befürwortern der Rassentrennung kaum nachstand. Politiker und Parteistrategen auf demokratischer Seite bemühten sich nun, ihren politischen Gegnern die Vorherrschaft auf dem Feld der Kriminalitäts- und Drogenbekämpfung durch die Befürwortung strengerer Gesetze streitig zu machen, um die Wechselwähler zurückzugewinnen, die zur Republikanischen Partei abgewandert waren. Pikanterweise wurden diese sogenannten »neuen Demokraten« von notorischen Rassisten unterstützt, allen voran vom Ku-Klux-Klan, der 1990 erklärte, sich »dem Kampf gegen Drogen« anschließen zu wollen, und sich als »die Augen und Ohren der Polizei« andiente.96 Progressive Kräfte, die sich im Kampf gegen Diskriminierung engagierten, schwiegen großenteils, wenn es um den Krieg gegen die Drogen ging, und verwendeten ihre Energie lieber auf die Verteidigung der Affirmative Action und anderer Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung.
Anfang der 1990er Jahre brach der Widerstand gegen ein neues System rassistisch ausgerichteter Sozialkontrolle quer durch das gesamte politische Spektrum zusammen. Eine ähnliche politische Dynamik hatte ein Jahrhundert zuvor Jim Crow entstehen lassen. In den 1890er Jahren gaben die Populisten dem politischen Druck der sogenannten Redeemer nach, der konservativen Gegenreaktion, die mit ihren offen rassistischen und teilweise geradezu grotesken Jim-Crow-Gesetzen bei der weißen Unterschicht und Arbeiterklasse Anklang fand. Jetzt entstand ein neues rassistisch ausgerichtetes Kastensystem – die massenhafte Inhaftierung. Politiker jedweder Couleur wetteiferten miteinander um die Stimmen der weißen Unterschicht und der Arbeiterklasse, deren wirtschaftliche Lage prekär, wenn nicht desolat war und die sich von den Antidiskriminierungsmaßnahmen bedroht fühlten. Nicht zum ersten Mal wählten frühere Verbündete der Afroamerikaner – neben vielen Konservativen – eine politische Strategie, die zeigte, wie »hart« sie gegen »die Anderen«, die dunkelhäutigen Parias, vorgehen konnten.
Das hatte direkte Auswirkungen. Mit dem rasanten Anstieg der Budgets der Strafverfolgungsbehörden schoss die Zahl der Gefängnisinsassen in die Höhe. Schon im Jahr 1991 stellte die Gefangenenhilfsorganisation Sentencing Project fest, dass in der gesamten Weltgeschichte noch nie in einem Land so viele Menschen hinter Gittern gesessen hätten wie in den USA und sich mittlerweile einer von vier jungen männlichen Afroamerikanern in den Fängen des Justizapparats befinde. Doch weder Demokraten noch Republikaner zeigten trotz der erschreckenden Auswirkungen ihrer drakonischen Politik auf die afroamerikanische Bevölkerung die geringste Neigung, die Inhaftierungswelle zu stoppen.
Im Gegenteil. Im Jahr 1992 schwor der Präsidentschaftskandidat Bill Clinton, kein Republikaner werde sich im Vergleich mit ihm als der härtere Kämpfer gegen das Verbrechen profilieren können. Getreu dieser Devise flog Clinton nur wenige Woche vor der wichtigen Vorwahl in New Hampshire zurück nach Arkansas, um die Hinrichtung von Ricky Ray Rector zu überwachen, einem Schwarzen mit einem Gehirnschaden, der so wenig von dem begriff, was mit ihm geschah, dass er sich den Nachtisch seiner Henkersmahlzeit für den nächsten Tag aufheben wollte. Nach der Hinrichtung meinte Clinton: »Was immer man über mich sagt, niemand kann behaupten, dass ich nachsichtig gegenüber Verbrechern bin.«97
Nach seinem Wahlsieg unterstützte Clinton die »Three Strikes«-Regel, die bei der dritten Verurteilung eine drakonische Haftstrafe vorsieht. Als er sich 1994 in der Ansprache zur Lage der Nation dafür starkmachte, applaudierten ihm demokratische wie republikanische Abgeordnete. Ein 30 Milliarden Dollar schwerer Gesetzesvorschlag zur Kriminalitätsbekämpfung, der im August 1994 Clinton zur Unterzeichnung vorlag, wurde als Sieg der Demokraten gefeiert, weil es ihnen gelungen war, »den Republikanern das Thema Verbrechensbekämpfung zu entreißen und zu ihrem eigenen zu machen«.98 Der Gesetzesvorschlag definierte eine Vielzahl neuer Kapitalverbrechen, sah für gewisse Taten bei der dritten Wiederholung automatisch die lebenslange Freiheitsstrafe sowie ein Budget von 16 Milliarden Dollar für den Bau von Gefängnissen und die Aufstockung der Polizei vor. Weit davon entfernt, der Entstehung eines neuen Kastensystems entgegenzuarbeiten, weitete Clinton den Krieg gegen die Drogen stärker aus, als es ein Jahrzehnt zuvor selbst die Konservativen für möglich gehalten hatten. Das Justice Policy Institute erklärte hierzu: