Entgegen Versicherungen, dieser radikale Politikwechsel sei lediglich Ausdruck einer konservativen Finanzpolitik, diene also dem Bestreben, den ausufernden Staatsapparat einzudämmen und das Haushaltsdefizit zu reduzieren, gab der Staat damit keineswegs weniger Geld für das Armutsmanagement in den Städten aus. Es handelte sich lediglich um eine radikale Umschichtung der Ausgaben. Im Jahr 1996 war das Budget des Strafsystems doppelt so hoch wie die Gelder, die für Familienbeihilfen oder Lebensmittelmarken vorgesehen waren,100 und Geld, das früher in den sozialen Wohnungsbau investiert worden war, floss nun in den Bau von Gefängnissen. In der Amtszeit von Präsident Clinton kürzte Washington die Programme für sozialen Wohnungsbau um 17 Milliarden Dollar(61 Prozent), steckte dafür aber 19 Milliarden Dollar mehr in den Strafvollzug, eine Steigerung um 171 Prozent. Damit wurde der »Bau von Gefängnissen praktisch zum größten Wohnungsbauprogramm für die armen Stadtbewohner«.101
Und Clinton ließ es dabei nicht bewenden. Fest entschlossen, Härte zu zeigen, machte er es möglich, jedem, der irgendwie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, eine mit Mitteln des Bundes geförderte Sozialwohnung zu verweigern – eine ungewöhnlich drastische Maßnahme mitten in einem Drogenkrieg, der sich gegen Minderheiten anderer Hautfarbe und Herkunft richtete. Clinton kündigte eine neue Strategie an: »Von nun soll es für Bewohner [von Sozialwohnungen], die Straftaten begehen oder mit Drogen handeln, heißen: Ein Fehltritt, und du fliegst raus.«102 Die neue Politik versprach »die strengsten Vergabe- und Kündigungsregeln, die es je im sozialen Wohnungsbau gegeben hat.«103 Dies traf vor allem die ärmere Bevölkerung und die ethnischen Minderheiten, gegen die der Krieg gegen die Drogen gerichtet war. Viele wurden obdachlos – sie wurden nicht nur aus der normalen Gesellschaft ausgeschlossen, sondern auch aus ihren Wohnungen.
Die Idee von Recht und Ordnung, zuerst propagiert von fanatischen Anhängern der Rassentrennung auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung, war zwei Jahrzehnte später zur fast alles beherrschenden Gesellschaftsperspektive geworden. Mitte der 1990er Jahre galten der Krieg gegen Drogen und der Kurs der »Härte« im politischen Diskurs des Mainstreams als alternativlos. Wieder einmal hatte die Störung der herrschenden Rassenordnung – die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre – dazu geführt, dass unter Ausnutzung der prekären Lage und der Ressentiments der weißen Unterschicht ein neues, an der Rassenzugehörigkeit orientiertes soziales Kontrollsystem entwickelt wurde. Mehr als zwei Millionen Menschen saßen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in den USA hinter Gittern, Millionen weitere waren an den Rand der Gesellschaft gedrängt, verbannt in einen politischen und sozialen Raum, der Jim Crow nicht unähnlich war. Diskriminierung bei der Beschäftigung und Wohnungssuche sowie beim Zugang zu Bildung waren wieder völlig legal, und auch das Wahlrecht konnte ihnen verwehrt werden. Das System funktionierte reibungslos, und die ihm zugrunde liegende Ideologie schien quasi naturgegeben. In vielen Bundesstaaten waren 90 Prozent derer, die aufgrund von Drogenvergehen Gefängnisstrafen verbüßten, Schwarze oder Latinos. Doch die Masseninhaftierung so vieler People of Color wurde in rassenneutralen Termini erklärt, eine Anpassung an die Bedürfnisse und Anforderungen des gegenwärtigen politischen Klimas. Das neue Jim Crow war entstanden.
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