Report Darknet. Theresa Locker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theresa Locker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956144189
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ein durchaus vielseitiger Ort, dem das Klischee virtueller Finsternis oft nicht gerecht wird: Politische Aktivisten und Dissidenten in autoritären Regimen nutzen das Darknet, um keine Spuren im Netz zu hinterlassen; Journalisten dient es als sicherer Kommunikationskanal für sensible Informationen.

      Doch ob das Darknet in seiner Gesamtheit so bunt und vielfältig ist, wie manche Befürworter behaupten, ist in der Forschung umstritten. Der britische Computerwissenschaftler Gareth Owenson hatte 2015 herausgefunden, dass 80 Prozent der Nutzeranfragen im Darknet auf Missbrauchsseiten zugreifen.8 2019 sank die Zahl laut Owenson auf knapp die Hälfte.9 Auf der Angebotsseite sieht es nicht besser aus: Über die Hälfte der Hidden Services bieten illegale Waren an, schlussfolgert eine Analyse des King’s College im Jahr 2016.10 Ein kleiner Lichtblick war eine Studie indischer Forscher vergangenes Jahr: Von 3.500 analysierten Hidden Services handelten »nur« knapp 40 Prozent mit verbotenen Gütern.11

       Das »Corona High«

      In Zeiten von Corona gilt das umso mehr. Die weltweiten Ausgangsbeschränkungen führten zu einem regelrechten Boom des Darknet-Drogenhandels: Um bis zu 500 Prozent durchschnittlich wuchsen die Trades mit illegalen Substanzen zwischen Januar und Ende März 2020, schätzt die israelische Cybersicherheitsfirma Sixgill.12 Der größte Kassenschlager war dabei nicht, wie man vermuten würde, Marihuana – sondern Kokain: Während sich die Menschen brav in häusliche Quarantäne begaben, schwoll zeitweise die globale Nachfrage nach dem weißen Pulver im Darknet um 1.000 Prozent an.

      »Corona Weekend Deal!!«, »Keine Sorge: Papa liefert weiter«, LSD-Tickets im Virus-Design (»Protect yourself from the virus!«) – die Werbemaschinerie des Cyber-Untergrunds passte sich rasch der neuen Lage an. Während Straßendealern die Kunden wegliefen, fuhren clevere Darknet-Dealer die großen Gewinne ein: 5,2 Millionen Euro Umsatz machte allein der Marihuana-Markt Cannazon in der Hochzeit der Pandemie.13 Der E-Commerce im Darknet gehört wie die meisten Digitalbranchen zu den Corona-Krisenprofiteuren.

      Das Darknet ist im Jahr 2020 ein eher düsterer Ort. Im Windschatten libertärer Cyberaktivisten haben es sich Drogenhändler und Waffenschmuggler gemütlich gemacht, bauen deutsche Männer einen Treffpunkt für Pädosexuelle, um ihren nächsten Missbrauch zu planen. Das birgt die Gefahr einer selbst erfüllenden Prophezeiung: Solange es düster bleibt, werden auch weiterhin nur die kommen, die sich in der Dunkelheit wohlfühlen.

       Daniel Mützel, Juni 2020

       2. CYBERCRIME-FOREN IN DEUTSCHLAND: DAS BERUFSNETZWERK FÜR DARKNET-TÄTER

      Neil ist nervös. Als er am vereinbarten Treffpunkt ankommt – rastlose Pupillen, breite Schultern –, dreht er sich alle paar Minuten um, um zu schauen, ob ihm jemand folgt.

      Ein bisschen paranoid zu sein, das hat er in den letzten Jahren unter Kreditkartenbetrügern, Datendieben und auf Verschlüsselung spezialisierten Programmierern gelernt. Sein soziales Umfeld sind Nerds, die sich für robuste Verschlüsselung, Anonymität und Sicherheit im Netz interessieren, um die Technologien zu ihrem eigenen geldwerten Vorteil auszunutzen. Als Treffpunkt, Marktplatz, Ausbildungszentrum und Jobbörse dienen ihnen spezielle Plattformen, in denen Methoden des Cybercrime diskutiert und die Mittel dazu gehandelt werden – und wo Menschen nur noch »Vics« (vom englischen »victim«), also Opfer heißen. Plattformen, die Ermittler zu gerne abschalten würden, es aber meistens nicht können. Neil gibt diesen kriminellen Nerds ein Zuhause. Er betreibt zusammen mit einem Partner1 die wohl prominenteste Plattform für Internetkriminalität der vergangenen Jahre: Crimenetwork2. Mit über 300.000 Seitenaufrufen monatlich und 84.000 registrierten Nutzerkonten ist das Cybercrime-Forum das älteste, lebhafteste und größte in Deutschland.

      Wir interessieren uns für Neils Crimenetwork (CNW), weil wir die Menschen, die wir dort getroffen und interviewt haben, immer häufiger auch im Darknet wiedersehen. Hier tauschen sich die Täter aus, lernen und bilden Banden. Die Cybercrime-Foren sind eine Art lokaler Kryptomarkt, an dem sich vieles erklären lässt: Die Technologien ähneln sich, die Delikte auch. Für einige unserer Protagonisten ist Crimenetwork ein unverzichtbares Sprungbrett für eine Karriere im Darknet als Drogendealer, Datenhehler oder böswilliger Hacker.

       Blick in den Maschinenraum: So funktioniert ein Cybercrime-Forum in Deutschland

      Im World Wide Web gibt es Cybercrime-Foren wie Crimenetwork seit Mitte der 90er-Jahre. Die Domainnamen von Cybercrime-Foren haben Endungen von weit entfernten Atollen wie den Kokosinseln (.cc) oder Vanuatu (.vu) – das soll Strafverfolgungsbehörden den Zugriff erschweren. Die Server der Foren stehen zumeist in Staaten wie Vietnam oder Russland oder werden durch ein kompliziertes System in gleich mehreren Ländern gespeichert. Wo genau, das bleibt das Geheimnis der Betreiber. Man kann die Seite zwar im Clearnet ansteuern, die Foren-Inhalte sind aber erst hinter einer Anmeldemaske zugänglich. Für manche braucht man auch eine dezidierte Einladung. Technisch gesehen liegen die Foren also im Deep Web, denn googeln kann man keinen der Einträge, Nachrichten und Unterhaltungen. CNW kann man auch im Darknet unter einer .onion-Adresse mit dem Tor-Browser erreichen.

      Weil es auf den Cybercrime-Foren fast ausschließlich um Illegales geht, zeichnen sie sich durch eine unstete Existenz aus. Seiten tauchen auf, wachsen rasant, verschwinden mehrmals im Jahr. Klar ist jedoch, dass frühe Nutzer ihren Weg in die Cybercrime-Foren aus der Warez-Szene gefunden haben. Das waren Online-Communities in den jungen Tagen des Internets, die sich auf die Beschaffung und Verbreitung von urheberrechtlich geschütztem Material spezialisiert hatten. Diese Raubkopien (»Warez«) wurden vor der Blütezeit der Filesharing-Netzwerke wie Napster oder KazaA auf Boards getauscht. Gegen Mitte der ooer-Jahre änderte sich jedoch der Fokus der Board-Mitglieder vom libertären Informationsaustausch hin zu monetarisierten Interessen. Während sich die Foren spezialisierten und Zugänge zu den Daten selbst zur Handelsware wurden, wichen die Warez-Provider zunehmend kriminellen Hackern und Betrügern, die in ihren diversen Ausprägungen in diesem Kapitel im Fokus stehen sollen.

       Kreditkarten, Bulletproof Hoster und Packboxen: Die Dreh- und Angelpunkte der Underground Economy

      Heute ist die Bedeutung von Cybercrime kaum zu überschätzen, denn immer mehr Bereiche unseres Lebens werden in Codes übersetzt und von Dritten verarbeitet. Mit jedem Tag, an dem wir Daten produzieren und unseren Alltag ins Netz auslagern, bieten wir auch Betrügern im Netz und böswilligen Hackern eine immer größere Angriffsfläche. Aus diesem Grund nehmen auch Straftaten wie Identitätsdiebstahl, Computersabotage und Netzwerkeinbrüche zu. Nicht mal 40 Prozent der Fälle werden aufgeklärt3. »Im Phänomenbereich Cybercrime ist – wie in kaum einem anderen Deliktsbereich – eine kontinuierlich steigende Kriminalitätsentwicklung zu verzeichnen«, schreibt das Bundeskriminalamt auf seinen Internetseiten. BKA-Abteilungsleiter Carsten Meywirth sagt sogar: »Cybercrime ist eine der größten Bedrohungen unserer Zeit.«4

      Mit jeder vernetzten Glühbirne und jeder neuen App multiplizieren sich auch die Schauplätze für Cybercrime – und damit auch das Angebot auf Foren wie Crimenetwork. Das Herz des Forums ist der Marktplatz-Bereich. Was dort feilgeboten wird, bezeichnet Neil als »Sumpf« und die Cybercrime-Abteilung des BKA als »Crime-as-a-service« (CaaS): Hunderte spezialisierte Dienstleistungen und Produkte rund um Internetkriminalität laufen dort zusammen. Crimenetwork hat aber im Gegensatz zu einem Darknet-Markt eine noch stärkere Business-to-Business-Ausrichtung: Hier handeln – vorwiegend junge5 – Kriminelle mit Kriminellen. Wer sich hierhin verirrt, der sucht meistens ganz konkret ein Puzzleteil im riesigen Dienstleistungsspektrum des Cybercrime.

      Sind ausländische Foren für Cybercrime-Tools und Drogen oft streng getrennt, sind auf CNW Drogen allgegenwärtig. Anbieter für Kokain, Gras und Speed sind prominent platziert. Für Verkäufer, die mit Online-Drogenhandel