Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh. Karin Helle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Helle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783903376052
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noch der Gedanke, wie sich Herzog heute mit seinen Ausnahmekompetenzen als Fußballer in einem Spielsystem der Gegenwart sehen würde.

       Für mich ist jetzt halt die Frage, weißt, in einem 4-2-3-1 wäre ich jetzt wahrscheinlich der Spieler hinter der einen Spitze. Das wäre für mich mein Traumjob gewesen, Gegenpressing, fünf oder zehn Meter draufsprinten. Wir haben uns immer zurückgezogen, wir haben den Ball vorne verloren, ich hab 50 Meter zurückrennen müssen, wir haben den Ball gewonnen, ich bin wieder 50 Meter nach vorne gerannt. Das ist ja nur hin und her gegangen. Jetzt mit dem Klopp Gegenpressing, das wäre für mich fantastisch gewesen. Auch wenn alle sagen, der wollt ja nicht verteidigen, aber wenn ich die Chance hab, dass ich den Ball in der gefährlichen Zone des Gegners kriege, wäre i grennt wie a Wahnsinniger. Mir ist das auf die Nerven gegangen, wenn sich die Verteidiger hinten verstecken ohne Risiko. (Andreas Herzog)

      Aus all den Gedanken und Gesprächen wird offensichtlich, wie eigen doch die Handschrift des Herzogschen Fußballspiels gewesen sein muss – und wie kreativ offensiv er noch heute denkt. Auf jeden Fall ein inspirierender Gedanke, Herzerl unter Jürgen Klopp im Gegenpressing noch einmal auflaufen zu sehen.

      Es fällt ihm bisweilen regelrecht schwer, sich mit anderen zu vergleichen. Ein Stück weit sieht er sich im heutigen Brasilianer Coutinho, der ebenfalls bei Bayern nicht glücklich wurde und wieder zu Barca heimkehrte, und auch in den italienischen Heroen der 80er- und 90er-Jahre – Del Piero oder Francesco Totti, wenngleich diese eher die zweite Spitze bildeten, mit wenigen Defensivaufgaben wie Herzog, aber bei Ballbesitz genauso wie er immer anspielbereit und vor allem torgefährlich. Echte Spielmacher eben, die in kleineren Vereinen Großes bewirken können, weil sie den Mittelpunkt ausmachen – das Herz der Mannschaft bilden, den Rhythmus vorgeben und die Kreativität leben.

      Herzog liebt die Kreativität. Auch heute noch. Kindern und Jugendlichen so viele Optionen wie möglich anbieten, statt immer nur ein oder zwei Wege zulassen: „Du musst die Kinder von klein auf einfach spielen lassen, nicht immer alles vorgeben, ihnen so viele Möglichkeiten wie machbar anbieten. Selbstentdeckend lernen“, meint Herzog.

      Ein Ribéry oder Robben ist gefürchtet, weil beide dribbeln und Doppelpass spielen können – sie sind eben nicht berechenbar, denken und lenken in Optionen –, das ist sein Credo, das geht nur durch Freiraum. Auch ein Grund, warum er den brasilianischen Fußball von klein auf liebt.

      Die Freude am offensiven Spielstil zieht sich durch Herzogs ganze Karriere: „Ich habe es schon als Spieler gehasst, wenn alle verteidigt haben.“

      Wir halten fest: Herzog ist Herzog. Und Herzog bleibt Herzog. Mit ganz eigenem Stil, Kreativität, Kopf, Herz und Schmäh. So machte er sich Ende der 80er auf, Rekordnationalspieler zu werden und Kathi zu erobern. Eben offensiv statt Tiki Taka.

      KAPITEL 10:

       VOM BALLAUFLEGEN MIT GEFÜHL – UND SEI JA KEIN HUDRIWUDRI!

      RAPID WIEN 1988–1992

      Wieder einmal hatte ich bei Familie Herzog am Esstisch Platz nehmen dürfen. Gemütlich saß ich mit Andi in einem Teil des Wohnzimmers, während Frau Kathi gleich nebenan in der Küche mit dem Geschirr klapperte. Und wieder einmal drehte sich alles um das runde Leder:

      „Jetzt habe ich eine andere Frage: Warum san die Brasilianer und die Afrikaner in Europa momentan so beliebt? Weil sie mit acht oder zwölf Jahren schon in ein Schema reingepresst werden? Oder spielen die frei von der Leber weg, was sie wollen? Des is für mich immer die große Kunst. Die große Frage. Waßt, was i mein? Afrikaner, Brasilaner. Die san …“

      „Nicht zu berechnen“, fügte ich ehrfürchtig lauschend hinzu.

      „Nicht zu berechnen“, wiederholte Herzog vielsagend.

      Irgendwie hatten wir uns in diesen Tagen am Thema „Kreativität“ festgebissen. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass wir uns auch aufgrund seiner fußballbegeisterten Söhne über die Entwicklungen im Jugendbereich unterhielten (und sich Herzog gerne und zu Recht über zu viel Schablonenhaftes echauffierte), vielleicht aber auch einfach daran, dass Herzog nun einmal seiner Kreativität auf dem Platz so ziemlich alles zu verdanken hatte – der an anderer Stelle erwähnte individuelle Fingerabdruck, DAS Thema seines Lebens. Und natürlich Top eins auf der Liste, wenn man ihn nach drei Dingen fragt, die ihn als Spieler immer ausmachten.

      Dennoch definierte sich Herzog nicht nur über Kreativität. Es war auch sein Ehrgeiz, der Beste sein zu wollen – allerdings nicht im stupiden Hin- und Herrennen auf dem Trainingsplatz, sondern dann, wenn es um Entscheidendes ging, um Schönheit, Wucht oder Ästhetik. Das war sein Antrieb: „Ich hab mich immer dann geärgert, wenn ein anderer im Training den Ball ins Kreuz geschossen hat und ich ned.“

      Als dritten Punkt nennt Herzerl seine körperliche Konstitution. So war er relativ selten verletzt, was er auf eine gesunde Lebensweise zurückführt. Heute würde man wohl von gutem Umfeldmanagement sprechen.

       Es war auch so, dass ich dafür gelebt hab. Ich war jetzt nicht so, dass ich die ganze Nacht weg war. Weißt, im Nachhinein, denk i mir, i habe eigentlich nie eine Muskelverletzung gehabt. Und auch wenn viele sagen: „Der is ja nicht so viel grennt“, is des a Blödsinn. Ich bin genauso viel grennt und öfter gefoult worden wie jeder andere vielleicht, und trotzdem war ich jetzt nicht so oft verletzt. Kommt sicher auch noch hinzu, dass ich für einen Sportler vernünftig gelebt habe. (Andreas Herzog)

      Inzwischen hatte sich Frau Kathi dazugesellt. Umfeldmanagement – das interessierte sie besonders, hatte sie doch bewusst oder unterbewusst seit Anfang der 90er ein großes Stück dazu beitragen können, dass ihr Andi sich so entwickelte, wie er sich entwickelte. Immer mal wieder hatte sie zuvor neugierig um die Ecke geschaut und gelauscht und natürlich an passender Stelle darauf hingewiesen, dass ihr Mann sich momentan auch „a bissl mehr“ wie ein Sportler ernähren könnte – statt zu großen Gefallen an Wiener Süßspeisen oder Gugelhupf zu finden. Natürlich, welcher Frau würde das nicht gefallen, und natürlich allzu verständlich, lag ihr doch die Gesundheit ihres Mannes am Herzen. Aber irgendwie ließ sie ihn auch einfach so sein, wie er war – was mir wiederum gefiel; wohl das beste Rezept überhaupt für eine lange und tiefe Beziehung.

      In ihren Augen war es übrigens auch die Kreativität, die ihren Andi immer schon ausmachte – oder besser gesagt das „einmalige Auflegen von Bällen“ –, wie Kathi Herzog es bevorzugt ausdrückte, wenngleich sie damit etwas ganz anderes meinte, wie sich später herausstellte.

      All das machte mich neugierig – und schon gerieten wir alle gemeinsam ins Plaudern, um in den kommenden Minuten nochmals in die ganz speziellen ersten Jahre bei Rapid abzutauchen, in denen er Nationalspieler wurde – und Kathi und Andi sich kennenlernen durften.

      Überhaupt ist das ja so eine Sache mit dem Kennenlernen, wenn man mit den Privilegien eines Fußballprofis groß werden darf (keine Frage, es ist auch harte und disziplinierte Arbeit). Da hat man schnell einmal die eine oder andere Spielerfrau an seiner Seite, die man als Elektroinstallateur in der Regel nicht sein Eigen nennen darf (nichts gegen Elektroinstallateure!!). Die Bilder in den Boulevardzeitschriften zeugen jedenfalls davon – „Adabei“, wie es die „Krone“ so herrlich ausdrückt. Doch „Adabei“ wollte Kathi nie sein. Sie machte sich nicht mal etwas aus Fußball. Übrigens ein Wesenszug, den Herzerl später sehr zu schätzen wusste, nämlich immer dann, wenn er nach Niederlagen nach Hause kam und nicht darüber reden wollte.

      „Also, wie kam es zu eurer ersten Zusammenkunft?“, wollte ich nun genau wissen. Zuvor hatte mir Andi beim Cruisen durch die Wiener Vorstädte immer mal wieder von fast schon schicksalhaften Parallelen berichtet, die ihm und seiner Kathi widerfahren waren – als sie sich noch nicht kannten.

      Während er als Kind in der Südstadt von seiner Mutter in die Admira-Teammitte gehievt wurde – wir erinnern uns –, wohnte Kathi nur rund 200 Meter entfernt in einer Mietwohnung. Ob sie sich damals schon einmal zufällig auf einem Spielplatz begegnet waren – oder gar am Stadion? Erinnern kann sich Andi zudem noch an eine sehr traurige Geschichte, die Südstadt betreffend. So wurde ein Mädchen von nur vier oder fünf Jahren auf der Schnellstraße nahe des