Diese Familie wohnt nahe der Laila-Familie in einem hübschen schmalen Haus mit kleinem Vorgarten. Dort gibt es keine Blumen, nur Platten. Das ist pflegeleicht, heißt es. Diese Menschen haben auch Kinder. Die wohnen aber nicht zu Hause, weil sie schon erwachsen sind.
Mit diesen drei Namen sind meine Futterquellen verbunden. Alle drei Familien sehen mich nämlich als ihre Katze an und fühlen sich für meine Nahrung verantwortlich. Das Tolle ist, dass zwar jede Familie weiß, dass ich noch zwei weitere Quellen habe, aber jede denkt, dass sie die Hauptfamilie für mich sei und füttert mich mehr als großzügig. Das macht mich glücklich, satt und zufrieden und, wie die Menschen sagen, kugelrund bzw. stattlich, wie ich mich aus Katzensicht bezeichne.
Mein Speise- und diesbezüglicher Zeitplan ist sehr ausgeklügelt:
Erster Termin: Morgens in aller Frühe miaue ich vor Sophias Schlafzimmerfenster, also da, wo ich Minou genannt werde. Dann geht über dem Schlafzimmer auf der ersten Etage das Küchenfenster auf und Sophias Mutter wirft mir den tollsten Käse runter. Sie ist eine echte Käsekennerin und teilt mit mir. Wenn Sophias Vater da ist und rausschaut, gibt es Speckwürfelchen. Sophia hat mir erzählt, dass er diese für sein Rührei braucht. Die Sucherei nach den kleinen Speckwürfeln ist mühsam, die Würfel aber sind lecker. Wenn Sophia noch in der Küche ist, gibt es Fleischwurst. Das ist ihre Lieblingswurst. Meine im Übrigen auch. Da sie aber schon sehr früh am Morgen zur Universität geht, ist das eher selten der Fall. Sie ist meistens schon unterwegs, wenn ich erscheine.
Zweiter Termin: Danach laufe ich schnell zu der Familie, die mich Katze nennt, und kratze ein wenig an der Haustür. Ich mache das sehr vorsichtig, damit keine Kratzer in das Holz kommen. So etwas mögen die Menschen nämlich nicht. Ich unterstreiche mein Kratzen in der Regel durch mein kräftiges Miauen. Meine Stimme ist imposant und tragend. Ich gebe zu, dass mich meine Stimme mit Stolz erfüllt.
Ich muss mich stets beeilen, da diese Familie zur gleichen Zeit aus dem Haus geht wie Sophias Familie, das heißt Sophias Eltern. Meistens kommt die Frau raus und stellt mir ein Aluschälchen mit Katzenfutter vor meine Pfoten. Sie lacht mich dabei immer an und sagt: „Na, Katze, wieder Hunger?“ Die Marke des Katzenfutters will ich wegen Schleichwerbung an dieser Stelle nicht nennen. Wenn der Mann mir mein Schälchen bringt, streichelt er mich immer kurz, sagt aber selten ein Wort zu mir. Hier wird also entweder mit mir geredet oder ich werde gestreichelt, wenn ich mein Futter erhalte.
Sophia und der Mann sind die Menschen, die mich am häufigsten streicheln. Alle anderen denken, ich hätte Flöhe. Sie sind daher mehr als zurückhaltend mit Berührungen. Sie fürchten sich vor Flohbissen. Sophias Vater nennt mich sogar manchmal Flohtaxi. Aber das ist kein Name, sondern eher eine Berufsbezeichnung.
Nach diesem zweiten Frühstück lege ich mich an einen ruhigen Ort und erhole mich erst einmal. Besonders liebe ich am Morgen den Garten der Laila-Familie. Er ist groß und am hinteren Ende etwas verwildert. Da sieht mich niemand und ich habe meine Ruhe. Die Familie hat wie Sophia bzw. deren Eltern auch einen kleinen Teich, an dem ich mich häufig entspanne und die Fische mal kurz aufmische. Außerdem liegt der Garten günstig zum nächsten Termin.
Dritter Termin: Gegen Mittag suche ich die Familie auf, die mich Laila nennt. Ich gehe in deren Garten – meistens bin ich, wie bereits angemerkt, schon drin – und miaue vor dem Küchenfenster. Mein Miauen ist etwas lauter als normal, da diese Familie älter ist und nicht mehr so gut hört. Hier arbeitet keiner mehr und mittags wird richtig gut gekocht. Ich bekomme stets leckere Reste. Besonders gut sind die Überbleibsel vom Schweinebraten. Einfach katzlich! Die beiden Menschen reden immer viel mit mir. Sie erzählen mir von ihrem Morgen, vom Kochen oder vom Einkaufen. Streicheln ist allerdings nicht ihre Stärke. Ob sie Angst vor Flöhen haben oder ob sie sich nicht mehr so gut bücken können, weiß ich nicht so genau. Es wird wohl etwas von beidem sein.
Vierter und letzter Termin: Am Abend liege ich dann auf der Lauer und warte, dass Sophia von der Universität zurückkommt. Das Klacken ihrer Schuhe höre ich bereits von weitem. Ich setze mich vor ihre Haustür und warte. Sie geht nie ohne innige Begrüßung ins Haus. Vielmehr kniet sie sich hin und streichelt mich dann so, wie ich es besonders mag. Langsam über den Rücken bis zum Schwanz. Das geht durch und durch. Es ist geradezu katzlich. Dann küsst sie mich auf die Nase. Aber ganz vorsichtig mit Blickkontakt zur Haustür. Ihr Vater mag das nicht. Er hat nämlich gelesen, dass Katzen den Fuchswurm oder so was in der Art übertragen. Wie das funktionieren soll, ist mir schleierhaft. Ich pflege mich sehr gut und lege größten Wert auf Sauberkeit. Einen Fuchswurm habe ich noch nie an mir entdeckt. Aber sei es drum.
Anschließend laufe ich hinter das Haus zur Terrasse. Dort ist mein Speisezimmer. Es ist ebenfalls mein Kommunikatzionszentrum, weil katze hier im Sommer die meisten Gespräche der Familie mithören kann. Im Sommer findet das Leben der Familie fast ausschließlich auf der Terrasse statt. Ich warte, bis Sophia die Kellertür öffnet, die zum Garten führt, und mir mein Futter ins Speisezimmer bringt. Sie kommt wie die Familie, die mich Katze nennt, mit einem Aluschälchen. Jedoch füllt sie es in meinen eigenen Fressnapf um. Das ist natürlich niveauvoller und schmeckt auch besser. Das Auge frisst eben mit. Das gilt für Katzen ebenso wie für Menschen. Es ist den meisten Menschen nur leider nicht bewusst.
Danach streune ich durch die Gärten, damit ich nicht zu viel Fett ansetze. Dabei mache ich immer wieder Sprungübungen: rauf auf die Bäume und Dächer der Gartenhäuser und runter, hinauf auf Gartentische, Stühle sowie Bänke und wieder ab in die Beete. Das ist wichtig, weil ich manchmal vor den Hunden fliehen muss, wenn diese abends von ihren Herrchen einfach in den Garten geschickt werden, um ihr Geschäft zu verrichten, anstatt mit ihnen Gassi zu gehen, wie es sich gehört. Fit sein ist einfach überlebenswichtig für jede Katze, die sich nicht nur in den Wohnungen der Menschen aufhält. Vor Menschen muss ich ebenfalls ab und an flüchten. Sie wollen nämlich verhindern, dass ich mein großes Geschäft in ihren Gärten verrichte. Genauso mögen sie es nicht, wenn ich mein Revier markiere. Aber letzteres bemerkte ich bereits. Sie können dann regelrecht furienhafte Züge annehmen. Ein lautes „Schsch“ und verscheuchendes Klatschen mit den Händen ist noch total harmlos in diesem Zusammenhang. Es ist zwar furchtbar unangenehm, wer lässt sich wohl gerne bei der Verrichtung seines Geschäfts stören. Einfach würdelos. Schlimmer ist es jedoch, wenn die Menschen dann mit Gegenständen nach mir werfen. Einmal hätte mich fast ein Gartenschuh erwischt. Aber Großkatze sei Dank habe ich flink das Weite gesucht, bevor mich der Schuh erwischen konnte. Fitness ist folglich, wie bereits gesagt, für Straßenkatzen geradezu überlebenswichtig.
Wie man sieht bzw. liest, bin ich körperlich sowie intellektuell auf der Höhe, insbesondere was meinen Terminplan einschließlich der Aktiv- und Ruhephasen angeht.
Aber auch ansonsten stehe ich meine Katze, wie katze so schön sagt. Letzteres konnte ich letztens mit Bravour als Kommissarin Minou unter Beweis stellen. Diesen Ehrentitel hat mir Sophia verliehen, weil ich sie und ihren Freund gerettet habe. Und das kam so, wie ich nachfolgend berichte.
Erster Teil oder die Welt ist fast noch in Ordnung
Urlaubszeit, der Schrecken aller Katzen
Der Sommer ist für mich mitunter eine karge Zeit. Dann ist nämlich Urlaubszeit. Das bedeutet, dass meine Verpflegung nicht im gewünschten Umfang sichergestellt ist. So auch im Juli des letzten Jahres. Da ereignete sich der Fall, von dem ich erzählen werde. Noch heute sträuben sich meine Katzenhaare, wenn ich daran zurückdenke.
Die Familie, die mich Katze nennt, war für zwei Wochen auf und davon. Das Haus wurde in ihrer Abwesenheit ab und zu von deren Kindern gehütet, die schon lange in anderen Regionen Deutschlands wohnten. Aber wie in den Jahren zuvor, vergaßen sie meistens, mir das Aluschälchen morgens vor die Tür zu stellen. Das lag sicher daran, dass sie morgens lange schliefen und dann für die mitgebrachten Freunde sorgen mussten. Da dachten sie nicht an die Verpflegung der Katze. Das hat nichts mit mir persönlich zu tun. Sie waren einfach nicht so pflichtbewusst wie ihre Eltern. Ich war mir sicher, dass sich das wohl auch nicht