Sisis schöne Leichen. Thomas Brezina. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Brezina
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990015438
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Alfred Oberland vor sich stehen, das Päckchen in der Hand. Er hatte von großer Dringlichkeit gesprochen und davon, der Kaiserin eine vertrauliche Mitteilung machen zu müssen.

      Der Vorfall war Ida seltsam erschienen, doch die Beschaffung schöner Leichen hatte sie darauf vergessen lassen.

      Alfred Oberland war tot.

      Vor wenigen Tagen war er ihr noch gesund erschienen, wenn auch ausgesprochen nervös.

      »Woran ist der Mann gestorben?« Sie sah Peter auf eine strenge Art an, die ihn dazu bringen sollte, seine Erinnerung etwas anzustrengen.

      »Weiß ich nicht.«

      »Haben Sie nichts von den Verwandten erfahren?«

      Peter zuckte mit der Schulter. Doch dann erhellte sich sein Gesicht. »Da war etwas. Sein Bruder wollte, dass wir ein Foto machen, für die Gattin des Verstorbenen. Er sagte etwas von einer Biene, die ihn gestochen hat. Imker wäre er gewesen. Amalie hat ihm den Mund aufgemacht.«

      »Wieso hat sie so etwas getan?« Ida spürte, wie bei der Vorstellung ihre Beine schwächer wurden.

      »Das müssen Sie Amalie selbst fragen. Sie hat gemeint, irgendetwas sei eigenartig. Aber ich habe nicht nachgefragt. Bin froh, wenn ich die Toten nicht zu lange sehen muss.«

      Ida schaffte es gerade noch, dem Burschen das Geld in die Hand zu drücken. Mit den Fotos eilte sie zum Schloss.

      Was sollte sie der Kaiserin sagen?

      Ida hätte den Mann unter keinen Umständen vorlassen dürfen. Aber wenn sie gewusst hätte, dass er so kurze Zeit später tot sein würde…

      Was hatte das Päckchen enthalten?

      Alfred Oberland war ein Lehrer des Kronprinzen. Sie wollte Latour nach ihm fragen. Er musste mehr wissen. Vielleicht konnte er ihr auch einen Rat geben, wie sie ihre seltsame Begegnung mit Alfred Oberland der Kaiserin erklären sollte.

      Ida bekreuzigte sich im Gehen. Friede der Seele des armen Mannes.

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      »Wie kommt diese Photographie ins Schloss? Wieso bringen Sie sie in die Gemächer des Kronprinzen?« Latour bemerkte, dass er fast schrie. Ida starrte ihn überrascht an.

      Latour bewohnte die Landschaftszimmer neben Rudolfs Appartement. Sie waren vom Boden bis zur Decke von einem Künstler gestaltet und bemalt worden. Die Wandbilder gaben den Eindruck, über eine Insel zu blicken, auf der sich schmale Pfade zwischen Bäumen dahinzogen, die große Früchte trugen. In der Ferne schimmerte das Blau des Meeres. Normalerweise hatten die Malereien eine beruhigende Wirkung auf Latour. Diesmal aber konnten die sanften Farben seine Aufregung nicht mäßigen.

      Ida wich seinem Blick aus. Sie sah über seine Schulter und fixierte etwas an der Wand. Er drehte sich um. Es handelte sich um ein Stillleben aus aufgeschnittenen Melonen, das Teil des Landschaftsbildes war.

      Latour sprang auf.

      »Das Foto darf unter keinen Umständen in die Hände der kaiserlichen Hoheiten fallen. Sie sind über den Schock noch immer nicht hinweg.«

      »Was für ein Schock?«

      Latour schilderte mit wenigen Worten den Tod des Imkers. »Wie kommen Sie an das Bild und weshalb bringen Sie es zu mir?«

      Ida erzählte ihm von der neuen Leidenschaft der Kaiserin, schöne Leichen zu sammeln. Latour ging, während sie sprach, im Raum auf und ab. Als sie fertig war, ließ er sich auf das Sofa niedersinken und faltete die Hände vor dem Gesicht zu einem Dach. Er lehnte die Stirn dagegen und überlegte.

      »Soll ich die Kaiserin vom Auftauchen des Lehrers unterrichten?«, wollte Ida von Latour wissen. »Haben tatsächlich Sie Herr Oberland bei der Kaiserin angekündigt, wie er behauptet hat?«

      »Er hat sich vor einer Woche an mich gewandt und inständig gebeten, dass ich für ihn bei der Kaiserin vorspreche. Ich hatte aber keine Gelegenheit dazu und wollte es gleich nach dem Besuch des Kronprinzen und seiner Schwester bei Oberland tun. Die Hoheiten hätten ihrer Mutter sicherlich begeistert vom Besuch beim Imker erzählt. In diesem Zusammenhang sah ich eine gute Gelegenheit, Ihre Majestät um Audienz für den Lehrer zu bitten.«

      »Hat er Ihnen gegenüber das Päckchen erwähnt?«

      Latour verneinte. »Er sprach von einer wissenschaftlichen Entdeckung, bei der er …« Latour versuchte sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. »Oberland redete von einer wissenschaftlichen Entdeckung, die den Schutz einer Kaiserin benötigt.«

      »Verstehen Sie, was er damit gemeint hat?«

      »Nein«, sagte Latour. »Oberland war ein guter Lehrer und bei den Hoheiten sehr beliebt«, fuhr er fort. »Er verstand es, lebendig über Musik und Komponisten zu erzählen. Er spielte den beiden auch gerne auf seiner Geige vor. Gleichzeitig aber war Oberland auch ein seltsamer Zeitgenosse, sehr in sich gekehrt, sehr in seine Studien vertieft. Und oft mit seinem Steckenpferd, der Imkerei, beschäftigt.«

      »Was raten Sie mir?«, wollte Ida wissen. »Was soll ich der Kaiserin sagen?«

      »Die Wahrheit. Sie haben die Pflicht, der Kaiserin die Begegnung mit Oberland zu schildern.«

      »Würden Sie mich begleiten? Ich nehme an, die Kaiserin wird Fragen stellen. Wahrscheinlich können Sie einige eher beantworten als ich.«

      Latour war bereit.

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      Die Unterredung fand im Gartenzimmer statt. Elisabeth saß auf dem Sofa, Houseguard lag neben ihr. Seine Pfoten hingen über die Kante. Er machte einen sehr majestätischen Eindruck. Während sie ihm den Kopf streichelte, hörte sich Elisabeth an, was ihr Ida und Latour zu sagen hatten.

      »Was kann er damit gemeint haben: eine Entdeckung, die meinen Schutz benötigt?«, fragte Elisabeth, als die beiden fertig erzählt hatten.

      »Ich habe leider keine Erklärung, Majestät«, sagte Latour.

      »Ich hätte den Mann ernst nehmen sollen«, sagte Ida betroffen. »Jetzt ist es zu spät.«

      Die Kaiserin machte den beiden keine Vorwürfe. »Es ist Ihre Pflicht, mich vor zudringlichen Menschen zu bewahren.«

      Oberlands Annahme, sie könnte eine wissenschaftliche Erkenntnis schützen, berührte Elisabeth. Sie wurde manchmal um finanzielle Unterstützung gebeten, aber nie zuvor hatte ihr jemand eine solche Aufgabe zugetraut.

      »Der Mann war mutig genug, zu mir vorzudringen«, überlegte Elisabeth laut. »Er wollte mir etwas geben, von dem wir nicht wissen, was es sein könnte.«

      »Ein Buch vielleicht. Das Päckchen hätte eines enthalten können«, warf Ida ein.

      Elisabeth strich mit einem Finger über das Foto des Toten.

      »Vor den Augen meiner Kinder stirbt der Mann ganz plötzlich«, setzte sie fort. Sie sah ihre beiden Vertrauten an. »Eine Anhäufung recht eigenartiger Ereignisse, finden Sie nicht auch?«

      Ida und Latour gaben ihr recht.

      »Ich weiß nicht, ob es sich schickt, davon zu erzählen…« Ida zögerte.

      Elisabeth deutete ihr, weiterzureden.

      »Die Photographin hat dem Toten den Mund geöffnet.«

      »Aus welchem Grund?« Die Vorstellung war Elisabeth unangenehm. »Ist so etwas überhaupt gestattet?«

      Ida sah von Latour zur Kaiserin. »Die Photographin fand an der Leiche etwas