Wie geht man mit einer hohen negativen Emotionalität, einem negativen Erlebnis um?
Warum aber „das Erlebnis“ als Kategorie der Erlebnispädagogik nicht verschwunden ist, liegt eben in seiner großen Intensität und dem damit verbundenen erhofften „Wirkpotential“. Dahinter steht die Hoffnung, diese „Energien“ für den pädagogischen Prozess nutzbar machen zu können und dadurch viel mehr „Wirkung“ erzielen zu können. Manchmal kann man fast von einer Hoffnung auf ein „Erweckungserlebnis“ sprechen (dies schwingt ja bei der Bezeichnung „finaler Rettungsanker“ in der Erziehungshilfe mit). Aber Schott hat meiner Meinung nach sehr gut herausgearbeitet, dass Erlebnisse keinesfalls „pädagogische Erfindungen“, sondern sehr wohl auch begrifflich fassbar sind. Neben dieser wissenschaftlichen Aufarbeitung kommt eine Unzahl von biographischen „Beweisen“ solcher „wirkmächtiger Erlebnisse“. Aus meiner Sicht ist es vor allem die Diskrepanz zwischen der subjektiven Wirkung und der (wissenschaftlichen) Beweisbarkeit bzw. der methodischen Planbarkeit, die sich hier zeigt. Im Rahmen eines professionellen Konzeptes ist es schwierig, mit einer derartig „sperrigen Kategorie“ zu argumentieren. Diese Diskussion wird in der modernen (professionalisierten) Erlebnispädagogik vor allem über Begriffe wie „Wirksamkeit“, „Nachhaltigkeit“, „Transfer“ und „Wirkungsnachweis“ geführt. Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Begriffe „Erleben“ und „Erlebnis“ auch auf zwei unterschiedliche, in der aktuellen Diskussion oft vermischte „Ansätze“ verweisen. Wie erwähnt stehen beim Begriff des Erlebens die Prozesshaftigkeit und die Reflexion im Vordergrund. Somit verweist der Begriff des Erlebens auf den handlungsorientierten Ansatz. Beim Begriff des Erlebnisses steht die hohe „Intensität“ und die damit verbundene „Wirkmächtigkeit“ im Vordergrund und verweist daher auf die (Hahnsche) Erlebnispädagogik mit ihren wirkmächtigen Erlebnissen (siehe 2.1.) Wie gesagt sind beide Begriffe noch immer in der modernen Erlebnispädagogik anzutreffen, wenn auch in der wissenschaftlichen Diskussion der erste zur Zeit überwiegt. Dies aus meiner Sicht deshalb, weil ersterer konzeptionell planbar und methodisch-didaktisch umsetzbar und auch empirisch leichter erfassbar ist. Dadurch sind solche Programme auch Geldgebern / -innen gegenüber leichter argumentierbar. Aber in letzter Zeit ist, vor allem in den rituell-kreativen Ansätzen, der Ansatz des „wirkmächtigen Erlebnisses“ wieder zu erkennen. Manchmal werden diese Ansätze auch als „europäischer Sonderweg“ im Gegensatz zu den „behavioristisch-amerikanischen“ Projektkonzepten gedeutet.92
2.2 Ansatz II: Die Handlungs-Pädagogik (John Dewey)
Handlung: Handlung ist eine menschliche Tätigkeit, bei der als wesentliche Momente das Subjekt und Objekt der Handlung, der Vollzug und die Intention unterschieden werden. Die Handlungstheorie als philosophische Forschungseinrichtung sucht u.a. durch die Aufnahme der aristotelischen Unterscheidung von „praxis“ und „poisis“ und durch die Methoden der Sprachanalyse Strukturen und Voraussetzungen von Handlungen zu klären. Die Handlungstheorie kann so Pädagogik als handlungsorientierte und -orientierende Wissenschaft über die Bedingungen pädagogischen Handelns aufklären, unter denen sich weiterhin ein Erziehungs- als spezielles Handlungsziel anstreben lässt; von Bedeutung ist dabei die handlungstheoretische Frage nach Freiheit, d.h. nach der Begründung von Handeln durch die selbstbestimmte Intention der Person, die erst Erziehung zur Mündigkeit und Handlungskompetenz erlaubt.93
Es zeigt sich, dass die inhaltlich divergierenden Unterscheidungen von Handeln und Verhalten, Praxis und Poisis, Interaktion und Arbeit, Kommunikation und Diskurs weniger Themen als vielmehr wie auch immer wichtige Nebenprodukte eines Klärungsversuchs der primär normativen Frage sind: „Was ist (rationales, richtiges, vernünftiges…) Handeln? Insofern gilt: „Der Handlungsbegriff ist selbst in einem ursprünglichen Sinn ein Wertbegriff“, Pädagogik als Handlungsreflexion daher eine „praktische“ Disziplin.94
Neben der Bezeichnung „Erlebnispädagogik“ wird für die moderne Erlebnispädagogik auch oft die Bezeichnung „handlungsorientierter Ansatz“ verwendet. Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht einmal annähernd möglich den Begriff des „Handelns“ zu klären. Wie allerdings schon bei der Generierung des Wortschatzes zu erkennen ist, steht der Begriff der „Handlung“ (fast) gleichberechtigt neben dem Begriff „Erlebnis“. In der erlebnispädagogischen Literatur wird mit diesem Ansatz besonders eine Person in Verbindung gebracht und rezipiert: John Dewey. Dieser gilt in den USA und Kanada als Vater des „handlungs- und erfahrungsorientierten Lernens“95 und ihm wird auch das in der erlebnispädagogischen Literatur oft rezipierte Theorem: „Learning by doing“96 zugeschrieben.
John Dewey ist also neben Kurt Hahn sicher eine wichtige Persönlichkeit in der Geschichte der Erlebnispädagogik. Seine „Projektmethode“97 wird in Form des „Projekts“, wenn auch wahrscheinlich im Umweg über Kerschensteiner, zu einem konstitutiven Element der Hahnschen Erlebnistherapie:
Im Projekt-Lernen geht es (Hahn) um geistige, handwerkliche oder technische, wissenschaftliche, kunsthandwerkliche, musische und soziale Aufgaben und Felder der Bearbeitung (und Bewährung); (…). Die einschlägigen Vorbilder für Hahn, die (amerikanische) Projektmethode und der Arbeitsunterricht Kerschensteiners haben dabei vor allem die Selbständigkeit der Ausführung und die Selbstprüfung der Lernenden an der Sache betont. Nicht das Projektergebnis, sondern vielmehr die Fähigkeiten, die auf dem Weg zum Ziel erworben werden können, sind zentral.98
Dewey übte und übt einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Pädagogik in den USA aus. Seine Ideen bzw. sein pragmatischer Ansatz hatten darüber hinaus auch maßgeblichen Einfluss auf die Ausformung der Erlebnispädagogik in Nordamerika. Wie später noch gezeigt wird, ist der Beginn der Kurzschulen bzw. der Outward Bound Schulen und damit der Beginn der „modernen Erlebnispädagogik“ in Großbritannien zu verorten. Von dort ausgehend expandierte vor allem die „Outward Bound Bewegung“ in die USA und verband sich mit der „amerikanischen Pädagogik“. Eine Vielzahl der heutigen Bezeichnungen und Methoden haben hier ihren Ursprung und wurden schließlich über die intensive Rezeption dieser „amerikanischen“, von Dewey stark beeinflussten Erlebnispädagogik, in den 80er und 90er Jahren nach Deutschland „reimportiert“ bzw. bestand schon ab den 70er Jahren ein weltweites Netzwerk von „Outward Bound“, in dem natürlich auch inhaltlich diskutiert wurde. Deweys Ansätze übten damit zeitversetzt einen weiteren großen Einfluss auf die europäische moderne Erlebnispädagogik aus. Dies bedeutet, viele Begriffe der modernen Erlebnispädagogik gelangten über die Vereinigten Staaten (wieder) in die in den 90er Jahren einsetzende wissenschaftliche Diskussion. Die pädagogische Praxis, und damit die Begrifflichkeit, in der nordamerikanischen Erlebnispädagogik ist aber oft von einer behavioristischen Tradition geprägt. Als Beispiel sei hier auf den Begriff des „Outdoortrainings“ hingewiesen (siehe Abschnitt 7.5 und Abschnitt 9.2.3).
Die „moderne Erlebnispädagogik“ ist sehr massiv von Deweys Ansatz beeinflusst, worauf der Terminus „Handlungsorientierter Ansatz“ hinweist. Mit dieser Bezeichnung erfolgt eine begriffliche und inhaltliche Ausweitung: während die Begriffe Erlebnistherapie und Erlebnispädagogik definitorisch durch den Leitbegriff „Erlebnis“ eingeschränkt sind oder zumindest begrifflich determiniert sind, eröffnet der Handlungsbegriff ein ungleich größeres Handlungsfeld. Sarkastisch kann man sagen, schon allein das TUN im pädagogischen Feld reicht, um dieses Tun als pädagogisch zu bezeichnen. Noch größer ist diese Ausweitung mit dem Zusatz „orientiert“. Es muss also nicht