E › Entwicklungszusammenarbeit (Maximilian Oehl) › II. Historische Entwicklung
II. Historische Entwicklung
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Die Ursprünge der EU-EZ sind in der Assoziierung der → Überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG) zu finden, welche bereits in den auf 1957 zurückdatierenden Art. 131–136a EWGV vorgesehen worden war. Auf diese sog. konstitutionelle Assoziierung folgte alsbald die vertragliche Assoziierung der Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten (sog. AKP-Staaten; zusammengeschlossen als Internationale Organisation seit dem sog. Georgetown Agreement von 1975), welche in den zwei Yaoundé-Abkommen vom 20.7.1963 und vom 29.7.1969 ihren Ausgangspunkt hatte.
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Beide Abkommen wurden je für eine Laufzeit von fünf Jahren, damals allerdings noch mit einer Gruppe von 18 afrikanischen Staaten (sog. Associated African States and Madagascar; AASM) geschlossen. Sie bereiteten den Boden für die insgesamt vier Lomé-Abkommen mit der Gruppe der AKP-Staaten (Ausnahme: Kuba), die in den Jahren 1975–1989 unterzeichnet wurden und neben klassischen Entwicklungsmaßnahmen im Wesentlichen den präferentiellen Marktzugang für deren Produkte sowie andere handelspolitische Unterstützungsmaßnahmen wie Versicherungen gegen Exporterlösschwankungen beinhalteten. Die Lomé-Abkommen wurden ihrerseits durch das am 23.6.2000 in der Hauptstadt Benins unterzeichnete Cotonou-Abkommen abgelöst (Inkrafttreten: 1.4.2003; Laufzeit: 20 Jahre).
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Wie die AKP-Abkommen zeigen, ist die EU-EZ häufig mit der → Gemeinsamen Handelspolitik bzw. der Assoziierungspolitik der Union verzahnt. So sind die Lomé-Abkommen wie auch das Cotonou-Abkommen grundsätzlich als Form der Entwicklungsassoziierung mit starken Freihandelskomponenten zu qualifizieren, die dem Anwendungsbereich des Art. 217 AEUV (→ Assoziierungsabkommen) unterfällt. Unterhalb der normativen Schwelle dieser Vorschrift gibt es eine Reihe an Kooperations- bzw. Partnerschaftsabkommen der EU mit Drittstaaten, die entwicklungspolitische Elemente beinhalten.
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Dieses Ineinandergreifen der (handels- bzw. entwicklungs-)politischen Ziele und Instrumente wird auch anhand der Tatsache veranschaulicht, dass vor Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht am 1.11.1993 häufig die Art. 113 bzw. 235 EWGV, die die Gemeinsame Handelspolitik betrafen, als Kompetenztitel auch bei Maßnahmen der Union in entwicklungspolitischen Angelegenheiten bemüht wurden. Dies änderte sich erst mit der Einführung der Art. 130 Buchst. u)–y) bzw. 177–181 des EG-Vertrages in der Gestalt, die er anhand des Maastrichter Vertrags gefunden hatte. Sie boten erstmals eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundlage für eine Vielzahl von Maßnahmen der EZ.
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Folglich markierte der Vertrag von Maastricht den Abschluss der Herausbildung der EZ als eigenständig geregeltes unionales Rechtsgebiet, das in den Art. 130 Buchst. u)–y) EGV ausgestaltet wurde. Darüber hinaus wurde dem Art. 3 des EWG-Vertrages in dessen Buchst. r) die Gemeinschaftsaufgabe der „Politik auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit“ hinzugefügt. Dieses Rechtsgebiet ist seit dem Vertrag von Lissabon nunmehr normiert in den Art. 208–211 AEUV, deren systematische Stellung darauf schließen lässt, dass die EZ als Teil der Außenpolitik der Union angesehen wird. Währenddessen bleiben auch heute GHP und EZ noch eng miteinander verknüpft, worauf u.a. Art. 21 Abs. 2 Buchst. e) EUV hinweist, der Handelsliberalisierungen als wesentliche Entwicklungsstrategie definiert.
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Die strategische Ausrichtung der Entwicklungspolitik der Union wird maßgeblich durch die → Europäische Kommission gewährleistet, welche ihre Zielsetzung regelmäßig bzw. grundsätzlich alle zehn Jahre in sog. Memoranden festhält. Erstmals im Dezember 2005 formulierten Rat, Kommission und Mitgliedstaaten eine gemeinsame Vision für die EZ, der in dem sog. Konsens über die Entwicklungspolitik festgehalten wurde. Er baut auf der Erklärung von Paris aus demselben Jahr auf, welche zum Zwecke der Erhöhung der Wirksamkeit der EZ fünf konkrete Partnerschaftsverpflichtungen vorsah. So soll den Entwicklungsländern in der EU-EZ eine stärkere Eigenverantwortung zukommen, u.a. sollen sie die gemeinsam verfolgten Entwicklungsstrategien maßgeblich selbst bestimmen. Dies geht einher mit dem Grundsatz der Partnerausrichtung der EU. Ferner bekennt sich die EU zur Harmonisierung ihrer Maßnahmen, einem ergebnisorientierten Management sowie gemeinsam mit den Entwicklungsländern zu verstärkten Rechenschaftspflichten.
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Ebenfalls Teil des Konsenses war die Zielsetzung, verstärkt auf Budgethilfe als Instrument der EZ zurückzugreifen. Jene wurde maßgeblich anhand eines Grünbuchs der Kommission aus dem Jahre 2010 (COM[2010],629 final) einer Reform unterzogen und sodann in ihrer modifizierten Form in einem nächsten Grundsatzdokument der EU-EZ, der sog. Agenda für den Wandel (COM[2011],637 final) verankert.
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Die Agenda für den Wandel benennt zwei zentrale Zielsetzungen der EU-EZ: zum einen die Förderung der „Menschenrechte, Demokratie und andere Schlüsselelemente verantwortungsvoller Staatsführung“, zum anderen „breitenwirksames und nachhaltiges Wachstum für die menschliche Entwicklung“. Zur Steigerung von Effektivität und Effizienz der EU-EZ soll diese Prioritätensetzung einhergehen mit „differenzierte[n] Entwicklungspartnerschaften, [der] Koordination der EU-Maßnahmen und [einer] Erhöhung der Kohärenz zwischen den EU-Politiken“. Die Anstrengungen sind hierbei insbesondere auf die „bedürftigsten Länder“, einschließlich „fragiler Staaten“, zu konzentrieren. Die Agenda hat die Hilfsprogramme der EU im Zeitraum 2014–2020 maßgeblich mitgeprägt.
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Jenseits dieser unionsinternen Prioritäten ist die EU-EZ im Kontext mit der im September 2015 von den Vereinten Nationen beschlossenen Agenda „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“, welche die SDGs enthält sowie der Addis Ababa Action Agenda (AAAA; beschlossen: 27.7.2015), welche die hierzu erforderlichen Finanzierungsstrategien festhält, zu begreifen. Die anhand von SDGs sowie AAAA erfolgte aktuelle Ausrichtung der EU-EZ wurde im New European Consensus on Development festgehalten, der im Juni 2017 unterzeichnet wurde. Der New Consensus legt die ganzheitlichen Lösungsansätze dar, die zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung mitsamt ihrer wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Komponenten erforderlich sind.
E › Entwicklungszusammenarbeit (Maximilian Oehl) › III. Ziele und Grundprinzipien der EZ
1. Ziele
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Die EU-EZ verfolgt eine große Bandbreite an Entwicklungszielen, die zudem von sog. Querschnittsthemen wie bspw. Jugendförderung, Gleichstellung der Geschlechter, Mobilität und Migration, nachhaltiger Energieerzeugung und Bekämpfung des Klimawandels (vgl. insbesondere New European Consensus on Development) ergänzt werden. Im Folgenden werden die zentralen Zielsetzungen der EU-EZ dargestellt.
a) Armutsbeseitigung
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