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Kenntnisse des neuen Selbstanzeigerechts sind nicht nur für ab dem 1.1.2015 eingereichte Selbstanzeigen essentiell. Das neue Recht ist auch von Bedeutung, um die Wirksamkeit einer vor dem 1.1.2015 eingereichten Selbstanzeige prüfen zu können. In Ermangelung einer Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Neuregelung ist nach § 2 Abs. 3 StGB das im konkreten Einzelfall[9] für den Anzeigenden günstigere Gesetz anzuwenden. Insbesondere im Hinblick auf die wieder eingeführte Wirksamkeit von Teilselbstanzeigen im Zusammenhang mit Lohnsteueranmeldungen und Umsatzsteuervoranmeldungen ist das neue Recht das mildere Gesetz. Gleiches gilt auch für die Fälle einer trotz Prüfungsanordnung eingereichten Selbstanzeige.[10] Nach umstrittener Auffassung sperrte die Prüfungsanordnung die Abgabe einer Selbstanzeige für alle Besteuerungszeiträume im Hinblick auf die geprüften Steuerarten. Die Neuregelung behandelt gleichwohl eingereichte Selbstanzeigen nunmehr als wirksam, soweit sie die nicht von der Prüfungsanordnung umfassten Zeiträume betrifft.
Ganz unstreitig dürfte die Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB auf die Selbstanzeige allerdings nicht sein. Denn immerhin folgt diese Regelung aus dem allgemeinen strafrechtlichen Rückwirkungsverbot.[11] Ob dieses aber bei Regelungen wie § 371 AO berührt ist, die ihren eigentlichen Anwendungsbereich überhaupt erst nach Beendigung der Tat haben, darf zumindest bezweifelt werden. Die Literatur bejaht jedoch die Anwendbarkeit der lex mitior (§ 2 Abs. 3 StGB) mit Hinweis auf den materiell-rechtlichen Charakter des § 371 AO.[12] Für diese Auffassung spricht immerhin, dass die Selbstanzeige ihrer Natur nach zu den persönlichen Strafaufhebungsgründen zählt, für die das Milderungsgebot gelten soll.[13] Auch die Rechtsprechung des BGH bestätigt die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 StGB auf die Selbstanzeige nach § 371 AO.[14] Der Berater muss jedenfalls auf die umstrittene Frage der Geltung des alten oder neuen Rechts hinweisen.
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Hinweis
Dies führt dazu, dass bislang als unwirksam behandelte Selbstanzeigen, solange über sie noch nicht rechtskräftig entschieden ist, auf der Grundlage des neuen Rechts ggf. als wirksam zu behandeln sind. Insofern besteht hier in Einzelfällen (LSt-Anmeldungen, USt-Voranmeldungen, sowie bei Prüfungsanordnungen) Handlungs-, aber sicher auch Argumentationsbedarf.
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Beispiel
Unternehmer U gab für das Jahr 2013 jeweils unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Einen Teil dieser korrigierte er mittels der 2014 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung. Diese wertete das zuständige Finanzamt als Selbstanzeige. Da nicht alle Umsatzsteuervoranmeldungen berichtigt wurden, wurde die Selbstanzeige als unwirksam behandelt und ein Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung für alle eingereichten Voranmeldezeiträume eingeleitet. Ab dem 1.1.2015 ist für den Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen wieder eine Teilselbstanzeige möglich. Unter Berücksichtigung des § 2 Abs. 3 StGB muss daher im laufenden Verfahren das neue Recht zur Anwendung kommen. Das Verfahren wäre hinsichtlich der zutreffend berichtigten Zeiträume einzustellen. Insoweit würde Straffreiheit nach § 371 AO eintreten.
Anmerkungen
Schuster JZ 2015, S. 27 ff., 32.
Einzelheiten hierzu 4. Kap. Rn. 207 ff.
So Schuster JZ 2015, S. 27 ff., 32.
BFH BStBl. II 2007, 364; BFH/NV 2013, 1448; zum Grad an Gewissheit BFH BStBl. II 2013, 526.
BFH/NV 2007, 2057.
Kritisch daher zu der Ausweitung auf 10 Jahre Spatscheck DB 2014, Beilage Standpunkte zu Heft 42, 2, 3 f.
Die Wiedereinführung der Teilselbstanzeige auch für andere Anmeldesteuern hätte nahe gelegen, da sich bei diesen insgesamt die Problematik des ggf. mehrfachen Korrekturbedarfs ergibt, die Anlass war, Sonderregelungen für die Lohnsteueranmeldung und Umsatzsteuervoranmeldung zu schaffen.
Nicht unter diese Norm fallen die „praxisrelevanten“ Länder: Schweiz, Österreich, Liechtenstein und Luxemburg.
BGHSt