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Ergebnis: Gewinne aus der Veräußerung von Waren oder Fertigerzeugnissen (Liefergeschäften) gelten zu dem Zeitpunkt als realisiert, zu dem die Preisgefahr auf den Abnehmer übergeht. Gewinne aus Umsatzgeschäften sind auszuweisen, wenn der Vergütungsanspruch des leistenden Unternehmers so gut wie sicher ist.[3] Zu diesem Zeitpunkt hat der leistende Unternehmer die vertraglich vereinbarte Leistung erbracht. Die mit der Erbringung der betrieblichen Hauptleistung zusammenhängenden Beschaffungs–, Produktions- und Absatzrisiken sind entfallen. Offen sind lediglich noch Zahlungsrisiken sowie Risiken aus Garantieverpflichtungen. Diese Risiken werden bilanziell im Zusammenhang mit der Bewertung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen bzw durch die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (Garantierückstellungen) berücksichtigt. Wie die Aktivierung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zeigt, wird nicht auf den unmittelbaren Zufluss an Zahlungsmitteln abgestellt, vielmehr ist es ausreichend, wenn in nächster Zukunft mit dem Zufluss von Zahlungsmitteln fest gerechnet werden kann (unmittelbarer Zahlungsmittelzufluss) oder wenn durch die Entstehung eines Anspruchs, der abgetreten oder beliehen werden kann, ein mittelbarer Zahlungsmittelzufluss vorliegt.
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(3) Realisationszeitpunkt in weiteren Fällen: Der Grundgedanke, dass bei der Lieferung von Waren oder Fertigerzeugnissen der Gewinn zu dem Zeitpunkt als realisiert gilt, zu dem die Preisgefahr auf den Käufer übergeht, lässt sich auf andere Geschäftsvorfälle übertragen:[4]
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(a) Bei (Dienst-)Leistungen ist der Gewinn durch Einbuchung einer Forderung zu dem Zeitpunkt zu realisieren, zu dem die vertraglich geschuldete Leistung erbracht worden ist und die Möglichkeit besteht, die Abrechnung zu erstellen. Bei zeitraumbezogenen Dienstleistungen, die sich aus einzelnen abgrenzbaren Leistungen zusammensetzen, sind die Erträge entsprechend der Erbringung der Leistung zu realisieren.[5]
Beispiel:
Ein Lehrgang zur Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung dauert von November 01 bis September 02. Insgesamt werden 50 Tagesseminare durchgeführt. Von diesen finden im Jahr 01 sechs statt. Die verbleibenden 44 Tagesseminare werden im Jahr 02 angeboten. Den Teilnehmern wird für den gesamten Kurs eine Gesamtvergütung in Rechnung gestellt.
Die Erlöse aus dem Vorbereitungslehrgang sind entsprechend der Anzahl der durchgeführten Seminare erfolgswirksam zu verrechnen. Nach dem Realisationsprinzip sind im Jahr 01 6/50 der Gesamtvergütung als Umsatzerlöse gewinnwirksam zu verbuchen. 44/50 des Kursentgelts werden im Jahr 02 realisiert.
Die erfolgswirksame Aufteilung der Umsatzerlöse entsprechend der erbrachten Leistung des Seminaranbieters ist unabhängig davon, ob die Teilnehmer die Kursgebühr vor Beginn des Lehrgangs vollständig bezahlen, im Verlauf des Lehrgangs Raten entrichten oder die Gesamtvergütung nach Abschluss des Lehrgangs überweisen.
Bei Vermittlungsleistungen ist der Anspruch auf die Abschlussprovision in dem Zeitpunkt zu aktivieren, in dem die Vermittlungsleistung erbracht wurde, dh zu dem der vermittelte Vertrag zustande gekommen ist.[6]
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(b) Bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens gelten Wertsteigerungen dann als realisiert, wenn die Wirtschaftsgüter veräußert worden sind und die wirtschaftliche Verfügungsmacht auf den Käufer übergegangen ist. Beim Verkauf eines Grundstücks ist deshalb nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der notarielle Kaufvertrag abgeschlossen oder zu dem der Eigentumsübergang in das Grundbuch eingetragen wird. Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem die Nutzung des Grundstücks sowie die damit verbundenen Gefahren und Lasten vom Veräußerer auf den Erwerber übergehen.[7] Für Anteile an Kapitalgesellschaften (Aktien, GmbH-Anteile) gilt analog, dass der Veräußerungsgewinn erst realisiert ist, wenn ein Kaufvertrag abgeschlossen wurde, die mit den Anteilen verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf den Erwerber übergegangen sind.[8]
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(c) Ansprüche auf Schadensersatzleistungen (zB Forderungen aus Vertragsverletzungen, unerlaubten Handlungen oder ungerechtfertigten Bereicherungen) sind dann auszuweisen, wenn an der Berechtigung des Anspruchs keine Zweifel mehr bestehen. Aufgrund der häufigen Diskussionen über die Berechtigung von Ansprüchen auf Schadensersatzleistungen dem Grunde und der Höhe nach können sie im Regelfall erst dann als realisiert betrachtet werden, wenn der Anspruch vom Zahlungsverpflichteten anerkannt wird oder wenn über den Anspruch rechtskräftig entschieden wurde.[9] Wird der Anspruch vom Zahlungsverpflichteten zum Teil anerkannt, gilt er hinsichtlich dieses Teilbetrags als realisiert. Zusätzliche Voraussetzung für eine ertragswirksame Vereinnahmung der Schadensersatzleistung ist, dass der Zahlungsverpflichtete voraussichtlich auch in der Lage ist, die anerkannte Verpflichtung zu erfüllen. Er muss also nicht nur zahlungswillig sein, sondern auch zahlungsfähig.
Diese Überlegungen gelten analog für die bilanzrechtliche Behandlung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen.
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(4) Bedeutung des Objektivierungsgedankens: Bei der Interpretation des Realisationsprinzips sind nicht nur formalrechtliche Kriterien heranzuziehen. Für die Realisierung eines Gewinns im bilanzrechtlichen