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Wenn der Verwender bei einem einzelnen Vertragsschluss tatsächlich die Klausel in erforderlicher Weise zur Disposition gestellt hat und später einen weiteren gleichartigen Vertrag mit dem Kunden schließt, so ist die Klausel in diesem zweiten Vertrag AGB, wenn der Verwender sie nicht erneut zur Disposition stellt; denn der Kunde kann nicht ohne weiteres ermessen, ob die Bereitschaft des Verwenders zur Verhandlung über die Klausel noch fortbesteht. Es ist hier Aufgabe des Verwenders, seine Verhandlungsbereitschaft nochmals ausdrücklich klarzustellen[28]. Und schließlich ist zu beachten, dass der Verwender nicht etwa den gesamten Formularvertrag in eine Individualabrede verwandeln kann, indem er eine einzige Klausel zur Disposition stellt. Vielmehr ist die Frage, ob die Voraussetzungen einer Individualabrede erfüllt sind, für jede einzelne Klausel gesondert zu prüfen. In einem einheitlichen Vertragswerk können also einzelne Klauseln Individualabreden und andere Klauseln wiederum AGB sein[29]. Es genügt folgerichtig auch nicht, wenn der Verwender seinem Vertragspartner das Klauselwerk insgesamt vorlegt und die allgemeine Bereitschaft äußert, Vertragsklauseln auf Anforderungen des Vertragspartners zu ändern[30]; vielmehr muss sich die Verhandlungsbereitschaft auf konkrete Klauseln beziehen. Der BGH hat es für eine Individualabrede nicht einmal ausreichen lassen, dass der Kunde durch einen vorgedruckten Vermerk auf dem Formular aufgefordert wurde, nicht gewollte Klauseln zu streichen[31] bzw. dem Verwender Anmerkungen und Änderungswünsche mitzuteilen[32]. Bleiben einzelne Klauseln nach einem solchen allgemeinen Hinweis des Verwenders unverändert bestehen, mutieren sie auch nicht dadurch zu Individualabreden, dass andere Klauseln tatsächlich geändert wurden[33].
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Im jüngeren Schrifttum findet sich freilich die Tendenz, Paketlösungen, bei denen der Verwender an einigen Stellen auf seinen AGB beharrt, dafür aber an anderen Stellen Kompromisse eingeht, generell als Individualabrede anzusehen[34]. Es wird sogar ins Feld geführt, dass das Merkmal des Aushandelns niemals nur für eine einzige Klausel, sondern immer nur in Bezug auf das gesamte Vertragswerk erfüllt werden könne. Aushandeln bedeute Geben und Nehmen[35]. Diesen Ansichten kann jedoch nur unter der Voraussetzung zugestimmt werden, dass der Verwender bezüglich sämtlicher Klauseln grundsätzlich kompromissbereit war. Es ist nämlich daran zu erinnern, dass die Anwendung der §§ 305 ff. BGB dem Verwender nur schaden kann, soweit er Klauseln verwendet, welche das ausgewogene Gefüge von Rechten und Pflichten im Vertrag in Frage stellen. Beharrt der Verwender auf einer solchen Klausel, nimmt er insoweit einseitig Gestaltungsmacht in Anspruch und verdient es nicht, vor den aus §§ 305 ff. BGB resultierenden Konsequenzen geschützt zu werden. Immerhin mag in Extremfällen das Klauselwerk insgesamt – und auch bezüglich nicht näher besprochener Klauseln – als Individualabrede einzustufen sein; so etwa, wenn über das Vertragswerk 45 Stunden lang verhandelt worden war[36].
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Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung[37] besteht auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr kein Anlass, an das „Aushandeln“ von Vertragsbedingungen i.S.d. § 305 I 3 BGB weniger strenge Anforderungen zu stellen. Namentlich erscheint es unhaltbar, allein schon aus dem Vertragsschluss in Kenntnis der AGB zu folgern, der Kunde habe diese in seinen rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen aufgenommen[38]. Der Vertragsschluss in Kenntnis der AGB besagt zunächst nichts weiter, als dass der Kunde mit der Geltung der AGB einverstanden ist; dies ist selbst unter Kaufleuten zwingende Voraussetzung der Einbeziehung von AGB in den Vertrag (unten Teil 2 Rn. 108). Würde dies allein schon für ein „Aushandeln“ ausreichen, so hätte die Inhaltskontrolle von AGB im kaufmännischen Geschäftsverkehr praktisch keine Bedeutung mehr – ganz gegen den Willen des Gesetzgebers, die Kontrolle nach § 307 BGB auch in diesem Bereich aufrechtzuerhalten (vgl. § 310 I 1 BGB), und ganz gegen den Schutzzweck der §§ 307 ff. BGB, der nicht nach einer typischen Unterlegenheit des Klauselgegners fragt[39], sondern ganz allgemein Missbrauch im Gewande der Rationalisierung des Geschäftsverkehrs verhüten will. Eher schon diskussionswürdig erscheint die These, im unternehmerischen Geschäftsverkehr das Merkmal des „Stellens“ von AGB bei Paketlösungen etwas liberaler zu handhaben[40]. Denn wenn „Profis“ am Werk sind, mag man eher als im Geschäftsverkehr mit und zwischen Verbrauchern davon ausgehen, dass die Bereitschaft des Verwenders, eine Klausel zur Disposition zu stellen, die gleiche Bereitschaft auch in Bezug auf die anderen Klauseln indiziert. Es ist aber davor zu warnen, eine verallgemeinernde Aussage in diese Richtung zu treffen. Denn auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr ist der Grad der Professionalisierung unterschiedlich stark ausgeprägt. In jedem Fall werden vom Verwender gestellte AGB nicht schon dadurch zu individuell ausgehandelten Klauseln, dass der andere Vertragsteil rechtlich vorgebildet ist[41].
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Allerdings hat die hier vertretene Auffassung, wonach das „Aushandeln“ von Vertragsbedingungen sich zwischen Unternehmern an den gleichen Maßstäben ausrichtet wie im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern, die Konsequenz, dass den beteiligten Parteien Spielräume für taktische Verhandlungsführung eröffnet werden: Erkennt der andere Vertragsteil die AGB des Verwenders als unwirksam, wird er auf ein „Aushandeln“ keinen Wert legen, sondern den Vertrag in dem Bewusstsein abschließen, sich später jederzeit auf die Unwirksamkeit berufen zu können[42]. Der andere Vertragsteil mag sogar versuchen, die Verhandlungen so geschickt an den als unwirksam erkannten Klauseln vorbei zu führen, dass er den Verwender aktiv von dem möglichen Gedanken ablenkt, jene Klausel zur Disposition zu stellen; insoweit ist von einer „AGB-Falle“ die Rede[43]. Indes gibt dies alles keinen Anlass, die Voraussetzungen für das „Aushandeln“ von Vertragsbedingungen im unternehmerischen Geschäftsverkehr abzusenken. Der Verwender kann der „Falle“ jederzeit entgehen, indem er sich bei der Formulierung seiner Geschäftsbedingungen um ein ausgewogenes Gefüge von Rechten und Pflichten bemüht. Und auch die Art und Weise des Verhandlungsverlaufs lässt sich beeinflussen: Die Historie der Veränderung einer Klausel lässt sich dokumentieren, indem Vertragsentwürfe mit einem Textverarbeitungsprogramm abgefasst werden, das den Modus „Änderungen nachverfolgen“ kennt, und dann mit der jeweiligen Version (Datum und Uhrzeit) abgespeichert werden[44]. Und das Begleitschreiben, das der Verwender dem ersten Vertragsentwurf beilegt, lässt sich so formulieren, dass für den anderen Vertragsteil – glaubhaft! – die Bereitschaft erkennen lässt, sich auf Änderungswünsche des anderen Vertragsteils einzulassen[45].
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Besonderheiten sind zu beachten, wenn der Inhalt des geschlossenen Vertrags weitreichenden und in erheblichem Umfang zwingenden gesetzlichen Determinanten unterliegt. So liegt es namentlich in Berufsfeldern, in denen bestimmte Gebührensätze gesetzlich vorgegeben sind. Nach § 5 II 4 GOZ sind zahnärztliche Gebühren, welche den 2,3-fachen Gebührensatz überschreiten, nur zulässig, wenn Schwierigkeit und Zeitaufwand der konkreten Behandlung diese Überschreitung rechtfertigen. Daraus ist zu schließen, dass eine Überschreitung des Gebührensatzes durch AGB nicht zulässig ist. Nach § 2 II 3 GOZ darf eine Honorarvereinbarung aber auch keine Erklärungen enthalten, welche nicht in § 2 II GOZ vorgesehen sind; es darf daher insbesondere nicht dokumentiert werden, dass über den Gebührensatz Verhandlungen stattgefunden haben. Vor diesem Hintergrund hat es das BVerfG für mit Art. 12 I GG unvereinbar erklärt, wenn einem Zahnarzt, der dem Abschluss der Honorarvereinbarung ein vorgefertigtes,