§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › III. Begründetheit › 2. Präklusion
a) Normzweck
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Die unter § 767 I ZPO fallenden Einwendungen sind nach § 767 II ZPO nur insoweit „zulässig“, als die Tatsachen, auf denen sie beruhen, nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung entstanden sind.
Diese strengen Präklusionsvorschriften sollen die Rechtskraft des Vollstreckungstitels schützen. Wäre es für den Schuldner möglich, nach Abschluss eines Verfahrens noch alle möglichen Einwendungen gegen die Vollstreckung aus dem Titel vorzubringen, so käme der Gläubiger nie zu seinem Recht. Der Schuldner darf daher nur „neue“ Tatsachen vorbringen. Gemeint sind damit die Tatsachen, die im ersten Verfahren nicht mehr vorgebracht werden konnten. Beim Versäumnisurteil und beim Vollstreckungsbescheid ist das Gesetz besonders streng und stellt für den relevanten Zeitpunkt nicht auf die letzte mündliche Verhandlung, sondern auf das Ende der Einspruchsfrist ab.
Hinweis:
Eine nur vereinzelt vertretene Gegenmeinung meint demgegenüber, dass die Vollstreckungsabwehrklage auf alle Einwendungen gestützt werden könne, die am Schluss der letzten mündlichen Verhandlung über die Vollstreckungsabwehrklage nicht mehr mit Einspruch geltend gemacht werden könnten[22]. Damit wird aber zum einen § 767 II ZPO weitgehend bedeutungslos, zum anderen ist nicht erklärlich, wieso dem Schuldner gerade bei Versäumnisurteilen in erweiterter Art die Vollstreckungsabwehrklage zur Verfügung stehen sollte. Die Mindermeinung hat vor allem den Fall im Auge, dass der Schuldner noch vor Ablauf der Einspruchsfrist bezahlt und der Gläubiger nun trotzdem vollstreckt. Ein solcher Gläubiger würde aber vorsätzlich rechts- und sittenwidrig handeln. Das kommt selten vor und kann mit § 826 BGB abgewehrt werden[23].
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Die Vorschriften über die Präklusion sind insgesamt nur auf rechtskraftfähige Titel anwendbar. Gemäß § 797 IV ZPO gilt § 767 II ZPO daher z.B. nicht für notarielle Urkunden.
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Die Norm gilt auch nicht für Prozessvergleiche, da diese der Rechtskraft nicht fähig sind (§ 797 IV ZPO analog)[24]. Für Kostenfestsetzungsbeschlüsse gilt § 767 II ZPO ebenfalls nicht, und zwar deshalb, weil gegen diese die Einwendung nicht auf anderem Weg vorgebracht werden könnte[25].
b) Einfache Einwendungen
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Bei einfachen Einwendungen, die ohne die Ausübung eines Gestaltungsrechts entstehen, ist der Zeitpunkt der Entstehung eindeutig. Sie sind dann entstanden, wenn sie erstmals geltend gemacht werden können.
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Beispiel 20a (Einfache, schon im Erkenntnisverfahren bestehende Einwendung):
Schuldner S ist im Mai mit Versäumnisurteil zur Zahlung seiner Wohnungsmiete für die Monate Januar bis März verurteilt worden, da er diese nicht gezahlt hatte. Im Vollstreckungsverfahren beruft er sich erstmalig darauf, dass die Heizung nicht funktioniert habe und er die Miete nach § 536 I BGB daher gar nicht schulde.
In Beispiel 20a ist die Einwendung des S eindeutig nicht neu. Die Miete war gleich mit Ausfall der Heizung gemindert, S hätte das im Ausgangsrechtsstreit geltend machen müssen.
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Beispiel 20b (Neue Einwendung):
Schuldner S ist in einem langwierigen streitigen Verfahren zur Herausgabe eines Gemäldes verurteilt worden. Zwei Wochen nach Ende des Rechtsstreits wird das Bild gestohlen. S erhebt Vollstreckungsabwehrklage, weil die Leistung objektiv unmöglich sei.
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In Beispiel 20b beruft sich S auf die Unmöglichkeit der Erfüllung der titulierten Herausgabepflicht (§ 275 I BGB). Diese Einwendung greift durch, da er bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung zur Herausgabe des Bildes objektiv nicht im Stande ist. Diese Einwendung ist auch neu, denn sie ist nach der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten. Dass S noch Berufung einlegen könnte, ist für § 767 II ZPO unerheblich.
Der BGH hatte zuletzt einen Fall zu entscheiden, in dem die Vollstreckungsabwehrklage auf eine dolo-agit Einrede gestützt wurde, die erst nach dem Ende des ersten Prozesses entstanden war. Der Schuldner, der zunächst zur Leistung verurteilt wurde, hatte nämlich später einen Anspruch auf Rückzahlung erhalten (durch das zwischenzeitlich eingetretene endgültige Scheitern eines geplanten Bauprojekts). Dieses Vorbringen war ohne weiteres zulässig. Spannend war an dem sehr komplizierten Fall, dass der Schuldner auch eine weitere Forderung geltend machte. Nur hatte er in einem früheren Verfahren im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage bereits einmal versucht, die Aufrechnung mit genau dieser Forderung (als Gegenforderung) geltend zu machen. Damit war er damals aus prozessualen Gründen (verspätetes Vorbringen) gescheitert. Der BGH entschied überzeugend, dass in einem solchen Fall zwar grundsätzlich § 322 II ZPO eingreift. Die Abweisung der Vollstreckungsabwehrklage, die auf die Aufrechnung gestützt wird, bedeutet also, dass das Nichtbestehen der Gegenforderung rechtskräftig festgestellt ist. Aber in dem vorliegenden Fall war es dann doch anders: Wegen des verspäteten Vorbringens war ja über die Gegenforderung gar nicht inhaltlich entschieden worden. Der Gläubiger konnte sie also noch geltend machen.[26]
aa) Relevanter Zeitpunkt
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Bei den Gestaltungsrechten könnte auf zwei denkbare Zeitpunkte abgestellt werden. Zum einen ließe sich auf die Ausübung des Gestaltungsrechts abstellen, denn erst durch die Ausübung entsteht die Einwendung. Zum anderen aber ließe sich auch auf den Zeitpunkt abstellen, ab dem das Gestaltungsrecht frühestens ausgeübt werden konnte.
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Beispiel 21 (Relevanter Zeitpunkt bei Gestaltungsrechten):
Schuldner S hat eine Eigentumswohnung gekauft. Da diese in erheblichem Maße mit Mängeln behaftet ist, mindert S und zahlt den Kaufpreis nicht in voller Höhe. Er wird jedoch zur Bezahlung verurteilt, weil ein wirksamer Haftungsausschluss vorliegt und er die Voraussetzungen des § 444 BGB nicht beweisen kann. Einige Wochen später erfährt er von einem Zeugen, dass der Verkäufer G das Sachverständigengutachten über den Zustand der Wohnung, welches er dem S beim Verkauf vorgelegt hatte, eigenhändig verändert hatte, um die Mängel zu vertuschen. Als G vollstreckt, erklärt S den Rücktritt. Kann er sich gegen die Vollstreckung wehren?
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S könnte in Beispiel 21 Vollstreckungsabwehrklage mit dem Einwand erheben, dass der Kaufvertrag sich durch den Rücktritt nach § 349 BGB in ein Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 346 ff BGB umgewandelt hat und damit der Anspruch des Verkäufers auf Zahlung des Kaufpreises erloschen sei.
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Da S nach den §§ 444, 437 Nr. 2, 323 II Nr. 3 BGB wirklich ein Rücktrittsrecht hatte, steht ihm eine Einwendung zu. Problematisch ist allein, ob S mit diesem Einwand nicht bereits präkludiert ist, da die Möglichkeit des Rücktritts bereits vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung des Erkenntnisverfahrens bestanden hatte. Man könnte es also so sehen, dass „die Einwendung“ schon damals bestand.