Diese strengen Präklusionsvorschriften gelten (natürlich) nicht, wenn der Titel, wie z.B. eine notarielle Urkunde, gar keine Rechtskraft entfaltet. Für vollstreckbare Urkunden ist dies auch ausdrücklich in § 797 IV ZPO geregelt.
§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › I. Zielrichtung › 2. Klageziel
a) Allgemeines
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Entsprechend der vorstehenden Ausführungen kann die Klage nicht darauf gerichtet sein, die Rechtskraft des Urteils zu beseitigen. Vielmehr bleibt das Urteil bestehen, nur die Vollstreckung daraus wird (möglicherweise auch nur in bestimmtem Umfang) für unzulässig erklärt.
Grundlegend zur Dogmatik BGH NJW 1995, 3318:
„Ziel der Klage nach § 767 ZPO ist der Ausspruch, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil aufgrund von Einwendungen gegen die festgestellte Forderung fortan ganz, teil- oder zeitweise unzulässig ist, nicht dagegen die Aufhebung des Urteils oder die Feststellung, dass der Anspruch nicht oder nicht mehr bestehe. Das Urteil, das der Vollstreckungsabwehrklage stattgibt, lässt deshalb nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur die materielle Rechtskraft der Verurteilung und die Kostenentscheidung des früheren Urteils unberührt (RGZ 75, 199, 201; BGH, NJW 1975, 539, 540 …).“
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Der Klageantrag ist darauf gerichtet, die Zwangsvollstreckung aus einem genau bestimmten Titel im Urteil für unzulässig (oder für zulässig nur Zug um Zug gegen eine Leistung) zu erklären. Bei Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des stattgebenden Urteils wird die unzulässigerweise aus dem Titel des Beklagten betriebene Zwangsvollstreckung eingestellt (§ 775 Nr. 1 ZPO).
b) Abgrenzung zur Klage auf Titelherausgabe nach § 826 BGB
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Abgrenzen muss man die Vollstreckungsabwehrklage daher gegen die äußerst umstrittene, auf eine Durchbrechung der Rechtskraft gerichtete Klage wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB[3]. Will man diese Klage überhaupt anerkennen, so ist sie im Kern eine Leistungsklage, die nur unter den sehr engen Voraussetzungen des § 826 BGB zulässig ist. Sie ist nicht auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gerichtet, sondern auf Unterlassung der Vollstreckung und Herausgabe des Titels[4]. Die Klage auf Unterlassen der Zwangsvollstreckung aus § 826 BGB kann auch hilfsweise neben der Vollstreckungsabwehrklage erhoben werden[5].
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Sie hat drei wesentliche Voraussetzungen: Das angegriffene Urteil muss unrichtig sein, der Gläubiger muss die Unrichtigkeit kennen und es müssen besondere, die Sittenwidrigkeit begründende Umstände vorliegen. Vielfach wird die Existenz einer solchen Klage abgelehnt, obwohl sie letztlich der Durchsetzung eines Anspruchs auf Naturalrestitution dient (der „erschlichene“ Titel wird herausgegeben). Denn man kann sich auch auf den Standpunkt stellen, dass die Restitutionsgründe in § 580 ZPO als lex specialis ein Eingreifen des § 826 BGB ausschließen[6].
c) Abgrenzung zur Berufung
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Beispiel 14 (Verhältnis zur Berufung):
Schuldner S ist verurteilt worden, an Gläubiger G für den Guss eines großen Fundaments 100 000 Euro zu bezahlen. Eine Woche nach der letzten mündlichen Verhandlung bilden sich in dem Fundament große Risse, weil es aus ungeeignetem Beton gegossen wurde.
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Die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) und die Berufung (§§ 511 ff ZPO) sind meist beide statthaft und zulässig, wenn der Schuldner nach dem Ende der letzten mündlichen Verhandlung, aber noch innerhalb der Berufungsfrist eine Einwendung gegen den Titel erhält. Der Schuldner wird dann das für ihn günstigere Rechtsmittel auswählen. Will und kann er sich gegen den Anspruch insgesamt zur Wehr setzen, so wird er Berufung einlegen[7]. Er gewinnt dann nämlich den Ausgangsrechtsstreit, braucht keinerlei Kosten zu tragen und das Rechtsverhältnis ist rechtskräftig zu seinen Gunsten geklärt. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn eine Einwendung nicht neu entstanden ist, sondern dem Schuldner neu bekannt geworden ist. In Beispiel 14 wird S also Berufung einlegen.
Dagegen wird der Schuldner anstelle einer Berufung Vollstreckungsabwehrklage erheben, wenn ein neues Ereignis ihm eine Einwendung beschert hat, die aber das erstinstanzliche Urteil nicht erschüttert. Dann würde er nämlich mit der Berufung gar nicht zum Erfolg gelangen. So ist es im folgenden Beispiel.
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Beispiel 15 (Verhältnis zur Berufung):
Schuldner S wurde verurteilt, 12 000 Euro an Gläubiger G zu bezahlen. Kurz nach Prozessende entsteht ihm eine Gegenforderung in Höhe von 15 000 Euro und er rechnet auf.
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In Beispiel 15 erlangt S zwar den Erlöschenseinwand (§§ 387, 389 BGB). Jedoch bleibt es dabei, dass der Anspruch des G zur Zeit der Klageerhebung begründet war. G würde im Falle einer Berufung durch S die Klage in Höhe der Gegenforderung für erledigt erklären und insoweit erfolgreich einen Kostenantrag stellen können[8] (vgl. auch Rn. 234 ff). Hier ist dem S deshalb zu raten, eine Vollstreckungsabwehrklage zu erheben, um allein die Zwangsvollstreckung des G abzuwenden.
Aufbau: Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO)
I. | Zulässigkeit 1. Statthaftigkeit: Kläger muss behaupten, eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch zu haben. 2. Zuständigkeit: Gericht des ersten Rechtszugs (§ 767 I ZPO); Sonderregelungen in §§ 796 III, 797 V ZPO für Vollstreckungsbescheid und notarielle Urkunde 3. Antrag und Form: Es gelten die allgemeinen Regeln für Klagen, also insbesondere § 253 ZPO. Beantragt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für unzulässig zu erklären (§ 775 Nr. 1 ZPO ermöglicht dann die sofortige Umsetzung der Einstellung im Vollstreckungsverfahren). 4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis: Besteht sobald die Vollstreckung droht, also wenn ein Titel vorliegt, bis zur endgültigen Beendigung der Zwangsvollstreckung. |
II. | Begründetheit 1. Bestehen einer Einwendung: Hier erfolgt die Prüfung des materiellen Zivilrechts (z.B. Aufrechnung, Rücktritt, Minderung, Anfechtung, Kündigung, Widerruf). 2. Keine Präklusion nach § 767 II ZPO 3. Keine Präklusion nach § 767 III ZPO |
§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › II. Zulässigkeit