Hinweis:
Soweit beide Rechtsbehelfe parallel greifen, gilt: Wenn der Schuldner zuerst Erinnerung einlegt, darf er danach nach herrschender Ansicht noch klagen – auch wenn die Erinnerung abgewiesen worden ist. Wenn der Schuldner allerdings geklagt hat, darf er danach nicht noch Erinnerung einlegen[23].
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bb) Nun kann es aber auch sein, dass der Schuldner eine Einwendung hat, die dem materiellen Bereich zuzuordnen ist, für die aber § 768 ZPO nicht statthaft ist. Der Schuldner wendet also nicht ein, dass eine Voraussetzung für die Erteilung einer qualifizierten Klausel nach den §§ 726 ff ZPO fehlt, sondern er möchte sich beispielsweise darauf berufen, dass schon der Titel nichtig sei. Das kann besonders bei der notariellen Unterwerfungserklärung vorkommen. Vielleicht möchte der Schuldner vorbringen, dass diese nach den §§ 307 ff BGB unwirksam sei. Hier ist problematisch, dass es im Gesetz keinen einzigen Rechtsbehelf gibt, der für diese Fälle wirklich passt. Es liegt insofern nahe, doch auf § 732 ZPO zurückzugreifen, obwohl eine materiell-rechtliche Frage betroffen ist.
Früher wurde daher tatsächlich häufiger vertreten, dass § 732 ZPO insbesondere dann anwendbar sein sollte, wenn das Gesetz keinen anderen Rechtsbehelf vorsehe[24]. Die inzwischen ganz herrschende Auffassung lehnt dies aber ab. Danach passt § 732 ZPO für solche materiellen Einwendungen nicht, da die Erinnerung (auch wenn der Richter entscheidet) eben immer nur auf eine formelle Kontrolle ausgerichtet ist[25].
BGH NJW 2009, 1887:
„… im Verfahren nach § 732 ZPO kann der Schuldner in begründeter Weise grundsätzlich nur Einwendungen gegen eine dem Gläubiger erteilte Klausel erheben, die Fehler formeller Art zum Gegenstand haben. Die Einwendung, die Unterwerfungserklärung sei nach § 307 I 1 BGB unwirksam, ist keine derartige Einwendung.“
Die Rechtsschutzlücke, die das Gesetz in Hinblick auf solche schon im Bereich des Titels angesiedelten Fehler aufweist, wurde inzwischen auf andere Art geschlossen. Heute ist nämlich allgemein anerkannt, dass der Schuldner sich bei materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den Titel mit einer Klage analog § 767 ZPO zur Wehr setzen kann (sog. Titelgegenklage, Rn. 258 ff).
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Beispiel 13 (Abgrenzung von materiellen und formellen Fehlern):
Schuldner S hat durch notariellen Vertrag eine Immobilie gekauft. In dem notariellen Vertrag hat sich S der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen. S bezahlt nicht. Gläubiger G hat von Notar N eine Klausel erhalten und beantragt die Zwangsvollstreckung gegen S. S will sich gegen die Erteilung der Klausel wehren.
a) | S hat den Vertrag nie unterschrieben. |
b) | S hat den Vertrag nicht unterschrieben, aber seine Unterschrift wurde gut gefälscht. |
c) | Laut Vertrag darf die Vollstreckung nur erfolgen, wenn der Gläubiger (G) die Fälligkeit nachgewiesen hat. G erhält irrtümlich eine qualifizierte Klausel, obwohl noch keine Fälligkeit vorliegt. |
Wie kann S sich jeweils gegen die Erteilung einer Klausel wehren?
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In Beispiel 13a liegt kein wirksamer Titel nach § 794 I Nr. 5 ZPO vor, da die notarielle Unterwerfungserklärung in dem Vertrag mangels Unterschrift nicht wirksam abgegeben worden ist. Das Fehlen des Titels ist hier offensichtlich und wird daher vom Klauselerteilungsorgan – hier also nach § 797 II ZPO vom Notar – überprüft. Wenn das Organ dies nicht überprüft oder wenn es trotz Prüfung eine Klausel erteilt, macht es einen Fehler. Gegen die Erteilung der Klausel ist daher die Erinnerung nach § 732 ZPO statthaft. Ein ähnlicher Fall ist gegeben, wenn die Unterwerfungserklärung zwar eine Unterschrift trägt, diese aber von einer offensichtlich nicht bevollmächtigten Person geleistet wurde (näher auch noch Rn. 271, 272, 274).
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In Beispiel 13b hingegen liegt zwar mangels eigener Unterschrift ebenfalls kein Titel vor. Jedoch ist das nunmehr nicht offensichtlich. Der Notar kann die Fälschung nicht oder nur nach eingehender Prüfung erkennen. Nach herrschender Ansicht darf eine detaillierte Prüfung bei der Erteilung einer einfachen Klausel nicht vorgenommen werden (Formalisierungsgedanke). Die Klausel muss erteilt werden, wenn der Titel wirksam scheint – eine nähere rechtliche Prüfung durch den Notar ist nicht zulässig[26]. Hier hat also der Notar bei der Klauselerteilung keinen Fehler gemacht. S wird mit einer Erinnerung nach § 732 ZPO daher jedenfalls keinen Erfolg haben.
Auch § 768 ZPO kann nicht eingreifen. Es handelt sich hier um eine einfache Klausel, für die § 768 ZPO ohnehin nie passt. Es wurde außerdem keiner der dort genannten Fehler gemacht. Keiner der kodifizierten Rechtsbehelfe passt also, wenn S die (versteckte) Unwirksamkeit des Titels geltend machen will (zur passenden Klage analog § 767 ZPO unten § 6).
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In Beispiel 13c ist dagegen alles ganz einfach. Laut Sachverhalt liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der qualifizierten Klausel nicht vor. Daher ist die Klauselgegenklage aus § 768 ZPO statthaft. Aber es muss hier offenbar auch ein „einfacher“ Fehler bei der Erteilung der Klausel gemacht worden sein, denn der Rechtspfleger hätte einen Nachweis für die Fälligkeit von G verlangen müssen. Also greift auch § 732 ZPO ein. S kann wählen, welchen Rechtsbehelf er einlegt.
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Klausurhinweis:
Es handelt sich bei diesen Abgrenzungsfragen um hoch aktuelle Probleme, deren Kenntnis in der Klausurbearbeitung unentbehrlich ist. Zuletzt hat der BGH auch mehrmals zur Abgrenzung zwischen Klauselerinnerung (§ 732 ZPO) und Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) entschieden[27]. Dabei handelt es sich um eine für Klausuren besonders gut geeignete Konstellation. Während die Klauselerinnerung bei einem Fehler des „Klauselorgans“ passt, greift die Vollstreckungserinnerung bei einem Fehler des Vollstreckungsorgans (Rn. 484). Bei der Prüfung der Statthaftigkeit muss also genau geprüft werden, in wessen Aufgabenbereich der gerügte Fehler gehört. Der BGH meinte dazu insbesondere, das Vorliegen einer Vollmacht zur Erklärung der Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung sei nur im Klauselerteilungsverfahren, nicht aber im Zwangsvollstreckungsverfahren zu prüfen (näher dazu Beispiel 30 Rn. 272). Offengelassen hat der BGH nur, wie zu entscheiden wäre, wenn der Fehler bei der Erteilung der Klausel so erheblich ist, dass dies auch dem Vollstreckungsorgan gleich hätte auffallen müssen.
c)