Wenn bei der Vollstreckung die Schuldnerwohnung durchsucht oder auch einfach gegen den Willen des Schuldners betreten werden muss, ist Art. 13 I GG betroffen[10]. Dennoch darf der Gerichtsvollzieher nach § 758 ZPO Wohnungen durchsuchen. Allerdings verlangt Art. 13 II GG in der Regel eine richterliche Durchsuchungsanordnung. Darauf nimmt § 758a ZPO Bezug, der die Notwendigkeit und die Voraussetzungen der Durchsuchungsanordnung näher regelt. In Beispiel 2c betritt der Gerichtsvollzieher die Wohnung des S ohne dessen Einwilligung. Er hat keine Durchsuchungsanordnung. Also sind § 758a ZPO, Art. 13 I GG verletzt.
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Viele weitere Grundrechte des Schuldners können durch Akte der Zwangsvollstreckung berührt sein. In Beispiel 2c kommt eine Verletzung der Religionsfreiheit in Betracht, wenn der Schuldner das Kruzifix zur „häuslichen Andacht“ (vgl. den insofern wohl zu engen Wortlaut des § 811 I Nr. 10 ZPO) verwendet. Der Zwang zur Abgabe einer Vermögensauskunft durch Haftanordnung (§§ 802e, 802g ZPO) oder die Erzwingung von Handlungen und Unterlassungen durch Beuge- oder Ordnungshaft führt zu einem Eingriff in das Recht der persönlichen Freiheit nach Art. 2 II 2 GG. Sogar das Leben des Schuldners kann betroffen sein, wenn er durch die Vollstreckungsmaßnahme in Suizidgefahr gerät (dazu Rn. 54).
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch im Rahmen der Zwangsvollstreckung jeder hoheitliche Eingriff in die Rechte und geschützten Rechtsgüter der Verfahrensbeteiligten einer speziellen Ermächtigungsgrundlage bedarf und dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss (Art. 20 III GG). Einfachgesetzlich kommt der Grundrechtsschutz in vielen Normen, z.B. in §§ 803 I 2, II, 777 ZPO (Rn. 366) sowie in den §§ 811, 850 ff ZPO zum Ausdruck (Rn. 320, 369).
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IV. Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO
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Beispiel 3a (Subsidiarität des § 765a ZPO):
Als der Gerichtsvollzieher bei Ehepaar S klingelt, um zu pfänden, taucht Herr S mit ganz zerzausten Haaren auf. Bevor er dem Gerichtsvollzieher noch erklären kann, dass seine Frau im Schlafzimmer gerade ihr erstes Kind bekommt, stürmt dieser schweigend an ihm vorbei, weil er durch den Spalt der offenen Schlafzimmertür eine Geldkassette gesehen hat. Der Gerichtsvollzieher nimmt die Kassette an sich, öffnet noch einige Schubladen und verschwindet dann mit der Kassette und etwas Schmuck beinahe so schnell, wie er gekommen war. Kann das Ehepaar S sich auf § 765a ZPO berufen?
Beispiel 3b (Gefahr für die Gesundheit, nach BGH NJW 2008, 1000):
Schuldnerin S wehrt sich gegen die Räumung ihrer Wohnung durch G. Nach Sachverständigengutachten leidet S an einer durch Insektizide verursachten chronischen neurotoxischen Schädigung sämtlicher Organsysteme sowie allergischen Reaktionen im Sinne eines MCS-Syndroms (Multiple Chemical Sensitivity). Dies führte zum Verlust der Sprechfähigkeit, dem teilweise vollständigen Verlust des Hörvermögens, Polyneuropathien, Dysästhesien, Parästhesien, Trigeminusneuralgie und starken, sehr schmerzhaften Myopathien am gesamten Körper. Die Krankheit ist von einer derartigen Schwere, dass ein Umzug ohne gesundheitlich nachteilige Folgen für S nur aufgrund gründlicher medizinischer Vorbereitung durchführbar ist. Eine solche Vorbereitung sei ihr bei einer Zwangsräumung durch den Gerichtsvollzieher und der damit verbundenen Einweisung in eine Notunterkunft nicht möglich. Kann sie die Räumung abwehren?
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Es kann Fälle geben, in denen die Zwangsvollstreckung gänzlich unverhältnismäßig oder unbillig erscheint, aber kein spezielles Vollstreckungsverbot eingreift. Gerade wegen der soeben besprochenen typischen Grundrechtsrelevanz der Vollstreckungsmaßnahmen muss es zum Schutz des Schuldners eine Auffangregelung für solche Fälle geben. Diese findet sich in § 765a ZPO. Die Standardfälle des § 765a ZPO sind die Fälle, in denen beim Schuldner durch die Räumungsvollstreckung Suizidgefahr ausgelöst wird – oder er eine solche zumindest vorgibt. Für die Klausur darf man nicht übersehen, dass es auch sonstige Fälle unverhältnismäßiger Härten gibt.[11] Immer aber ist zu beachten, dass § 765a ZPO subsidiär gegenüber § 766 ZPO ist, der bei jedem Verstoß gegen eine vollstreckungsrechtliche Vorschrift (also z.B. §§ 803 oder 811 ZPO) eingreift. Diese Subsidiarität führt dazu, dass in Beispiel 3a § 765a ZPO gar nicht eingreift. Vielmehr greift § 766 ZPO, weil der Gerichtsvollzieher ohne Durchsuchungsanordnung und ohne Einwilligung des Schuldners in die Wohnung gestürmt ist und damit einen Verfahrensfehler begangen hat.
Klausurhinweis:
Die Subsidiarität ist Bestandteil der Statthaftigkeit des Antrags auf Vollstreckungsschutz und wird nicht erst beim Rechtsschutzbedürfnis geprüft.
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Zuständig für die Entscheidung ist das Vollstreckungsgericht. Der Antrag folgt den Regeln des § 569 II, III ZPO, kann also auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Er unterliegt folglich selbst dann nicht dem Anwaltszwang, wenn (in der Beschwerdeinstanz) das Landgericht als Vollstreckungsgericht tätig wird (§ 78 III ZPO).
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Die Praxis bis hin zum Bundesverfassungsgericht hat bei § 765a ZPO insgesamt seit Jahren große Schwierigkeiten mit der Abwägung im Einzelfall[12]: Wie groß muss die (Schein-)Gefahr sein, wie lange dauert sie an, ist sie wirklich nachgewiesen oder nur vorgeschoben?
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In Beispiel 3b ist an der ausführlichen Beschreibung der Krankheit (die im originalen Urteil noch länger ist) zunächst zu erkennen, dass es nur um extreme und ganz konkrete gesundheitliche Nachteile gehen kann, wenn Vollstreckungsschutz gewährt werden soll. Dennoch reichen diese nicht ohne weiteres aus, die Vollstreckung zu verhindern. Hier ist es entscheidend, dass die Schuldnerin den Umzug, anders als sie vorträgt, sehr wohl vorbereiten und dann durchführen könnte. Sie kann daher allenfalls verlangen, dass ihr nochmals eine Frist eingeräumt wird, um diese Vorbereitungen zu treffen. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung auf unbestimmte Zeit ist auf absolute Ausnahmefälle zu beschränken[13] und scheint auch hier vermeidbar.
Zur Abwägung im Falle der Suizidgefahr des Schuldners auch BGH NJW 2005, 1859:
„1. Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners eine Suizidgefahr, ist diese bei der Anwendung des § 765a ZPO in gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen.
2. Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der – in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen – Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Auch der Gefährdete selbst ist gehalten, das ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern.“
Sehr problematisch ist in den „Suizidfällen“ schon