bb) Annahmeverzug des Käufers (§ 446 S. 3)
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§ 446 S. 3 verlagert den Moment des Gefahrübergangs noch weiter vor. Scheitert die Übergabe daran, dass sich der Käufer nach den §§ 293 ff. in Annahmeverzug[25] befindet, geht die Gefahr des zufälligen Untergangs der verkauften Sache nach § 446 S. 3 auf den Käufer über.
Hinweis
Beachten Sie bei der Frage der „Zufälligkeit“ in diesem Zusammenhang die Haftungsbeschränkung in § 300 Abs. 1!
Dies rechtfertigt sich damit, dass der Verkäufer hier das seinerseits zur Leistung Erforderliche getan hat und die Erfüllung durch die fehlende Mitwirkung des Käufers vereitelt wurde. Der Verkäufer hat deswegen seinen Kaufpreis bereits in voller Höhe „verdient“.
Kann K im Beispiel noch Lieferung anderer Gläser verlangen?
Beispiel
V hat dem K Fenstergläser aus seiner Produktion verkauft, die er dem K am 20.10. bringen soll. K ist jedoch nicht anwesend, so dass V unverrichteter Dinge abzieht. Auf dem Rückweg werden die Fenstergläser infolge leichter Fahrlässigkeit (vgl. § 300 Abs. 1) des V zerstört. V behält seinen vollen Zahlungsanspruch gegen K.
d) Sonderregel beim Versendungskauf (§ 447)
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Einen noch früheren Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestimmt das Gesetz in § 447 beim Versendungskauf: Hier geht die Gefahr des zufälligen Untergangs/Verschlechterung[26] bereits im Moment der Übergabe an die zur Versendung bestimmten Person durch den Verkäufer auf den Käufer über. Sehen wir uns die Voraussetzungen im Einzelnen an:
aa) Anwendbarkeit
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Beim Verbrauchsgüterkauf i.S.d. § 474 Abs. 1 findet § 447 Abs. 1 gem. § 475 Abs. 2 grundsätzlich keine Anwendung.
Eine Ausnahme besteht nach dieser Vorschrift nur in den seltenen Fällen, dass nicht der verkaufende Unternehmer, sondern der Verbraucher seinerseits die Transportperson ausgesucht und beauftragt hat.
bb) Versendungsverlangen des Käufers
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§ 447 kommt zur Anwendung, wenn der Verkäufer die Kaufsache „auf Verlangen des Käufers“ an einen anderen Ort als den Erfüllungsort versendet.
Das Versendungsverlangen ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung.[27] Es genügt, wenn der Käufer sein Einverständnis mit einer ihm vom Verkäufer angebotenen Versendung erklärt[28] – mit anderen Worten: Eine Versendung erfolgt immer „auf Verlangen des Käufers“, wenn der Verkäufer dazu nach der Vereinbarung verpflichtet ist. Die Formulierung „auf Verlangen des Käufers“ wird daher von der h.M. also so verstanden, dass dadurch (lediglich) ein eigenmächtiges Versenden der Ware durch den Verkäufer ausgenommen werden soll.[29] Versendet der Verkäufer die Ware eigenmächtig, ohne Vereinbarung mit dem Käufer, findet § 447 keine Anwendung. Der Verkäufer trägt hier die Gefahr bis zum Eintritt der in § 446 bestimmten Zeitpunkte.
cc) Auseinanderfallen von Erfüllungsort und Versandadresse
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„Erfüllungsort“ ist in der (unglücklichen) Terminologie des § 447 der Ort, an dem der Schuldner seine Leistungshandlung vorzunehmen hat, also der „Leistungsort“.[30] Mangels abweichender Bestimmung ist dies nach § 269 Abs. 1, Abs. 2 der Wohn- bzw. Niederlassungsort des Schuldners, hier also des Verkäufers. Der Versendungskauf zeichnet sich also dadurch aus, dass Leistungsort und Erfolgsort (Ort des Eigentumsübergangs und der Übergabe = Versandadresse) auseinanderfallen. Also beschreibt § 447 Abs. 1 den Versendungskauf als Vereinbarung einer Schickschuld.[31]
Hinter § 447 steckt folgender Gedanke: Im gesetzlichen Regelfall der Holschuld müsste sich der Käufer die Sache eigentlich beim Verkäufer abholen – denn dort befindet sich der Leistungsort. Wenn der Käufer sich die Sache aus Bequemlichkeit zuschicken lässt, nimmt der Verkäufer ihm die Wegstrecke ab und organisiert den Transport, also das, was der Käufer eigentlich selber hätte tun müssen. Mit dem Transport sind nun typischerweise erhöhte Gefahren für die Unversehrtheit der Sache verbunden. Diese sollen grundsätzlich zu Lasten des (bequemen) Käufers gehen, um den Verkäufer nicht mit unkalkulierbaren Risiken zu belasten. Übernimmt der Verkäufer nicht nur die Absendung, sondern will er den ganzen Transport selber durchführen, trägt er auch die Transportgefahr. § 447 ist auf die Bringschuld nicht anwendbar. Dort fallen Leistungs- und Erfolgsort zusammen, und die Sache wird nicht „nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort“ versendet.
Hinweis
Beim Versendungskauf ist der Verkäufer als Schickschuldner verpflichtet, am Leistungsort die Handlungen vorzunehmen, die den Eintritt des Leistungserfolges (Verschaffung mangelfreien Eigentums und Übergabe) am Ablieferungsort bewirken: Beauftragung und Anweisung eines Transporteurs, Aussonderung der mangelfreien Ware und Übergabe der Ware an die beauftragte Transportperson.
Die Bringschuld ergibt sich indirekt aus § 269 Abs. 3, nämlich als diejenige Schuldart, bei der der Ort, nach welchem die Versendung zu erfolgen hat, auch der Leistungsort sein soll. Leistungs- und Erfolgsort fallen hier zusammen. Das ist beispielsweise beim Kauf mit Montageverpflichtung anzunehmen, wenn die Sache beim Empfänger montiert werden soll.[32]
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Um § 447 anwenden zu können, genügt die Feststellung, dass sich die Parteien darauf verständigt haben, dass der Käufer die Ware nicht abholen muss, sondern geliefert bekommt, noch nicht. Dann ist erst einmal nur entschieden, dass keine Holschuld vorliegen kann. Es kommen aber noch Bringschuld und Schickschuld (= Versendungskauf) in Betracht, die nun voneinander abgegrenzt werden müssen.
Ob eine Schickschuld i.S.d. § 447 oder eine Bringschuld vereinbart wurde, bedarf meistens der Auslegung, da eine ausdrückliche Vereinbarung zum Leistungsort regelmäßig fehlt. Da die Übernahme der Transportkosten durch den Verkäufer nach § 269 Abs. 3 noch kein Indiz für die Vereinbarung einer Bringschuld ist und § 269 Abs. 1 und Abs. 2 den Leistungsort „im Zweifel“ dem Sitz des Schuldners zuweist, ist bei Versendungsfällen im Zweifel von einer Schickschuld auszugehen.[33]
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Die h.M. interpretiert das Merkmal „Ort“ i.S.d. § 447 Abs. 1 als konkrete Lieferadresse und nicht im Sinne „Gebietskörperschaft“, also nach den kommunalen Grenzen. Damit ist § 447 auch bei Versendungen innerhalb einer Gemeinde anwendbar.[34]
Beispiel
V hat seinen Geschäftssitz in Berlin-Friedrichshain. K möchte, dass V ihm die Ware zu sich nach Hause in Berlin-Zehlendorf zusendet.
Die andere Ansicht mag zwar den Wortlaut auch für sich in Anspruch nehmen, führt aber zu unsinnigen Ergebnissen und ist deshalb abzulehnen: Versendet ein Verkäufer einen Gegenstand in ländlicher Gegend, so können die Gemeindegrenzen schon bei einem Transportweg von wenigen Kilometern überschritten werden. Es ist aber nicht einzusehen, warum dieser Verkäufer besser stehen sollte als derjenige, der eine Sache innerhalb einer Großstadt 30 km weit transportieren muss. Das Transportrisiko wird von der Frage, ob die „virtuellen“ Grenzen