Der hier Fall des vorzeitigen Gefahrübergangs aufgrund kaufrechtlicher Gefahrtragungsregeln ist als Fallgruppe für die „Drittschadensliquidation“ anerkannt.[51]
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Da der Inhaber des Schadensersatzanspruches den Schaden des Dritten ersetzt verlangt, stellt sich die Frage, auf wessen Umstände bei der Berechnung abzustellen ist: die Person des Anspruchsinhabers oder die Person des Geschädigten? Die h.M. bejaht Letzteres: Der Anspruch wird der Höhe nach nicht auf den fiktiven Schaden begrenzt, den der Anspruchsinhaber ohne die besondere Gefahrtragungsregel gehabt hätte.[52] Hätte im vorgehenden Beispiel der Käufer das Porzellanservice mit Gewinn weiterveräußert, gehört somit auch der Gewinnanteil zum ersatzfähigen Schaden. Die Schadensberechnung und die Art der Restitution (§§ 249 ff.) richten sich – bezogen auf die Person des tatsächlich Geschädigten – nach den allgemeinen Regeln. Beim Mitverschulden (§ 254) ist allerdings aus Billigkeitsgründen sowohl auf die Person des Geschädigten als auch auf die Person des Anspruchsinhabers abzustellen.[53]
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Der Anspruchsinhaber kann die Ersatzleistung in Bezug auf den fremden Schaden wahlweise an sich oder an den tatsächlich Geschädigten verlangen.[54] Er darf den fremden Schaden nicht geltend machen, wenn der tatsächlich Geschädigte dem widerspricht.[55]
cc) Fälle ohne Anwendung der Drittschadensliquidation
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Bedenken Sie, dass sich das Problem mit dem beschriebenen Lösungsansatz nur stellt, wenn
• | § 446 bzw. § 447 Anwendung findet und der Käufer deshalb zur Zahlung des vollen Kaufpreises verpflichtet ist, |
• | der Käufer keinen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger hat. |
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Wird der Schaden beim Versendungskauf während des von einem mit dem Transport beauftragten Frachtführer bzw. Spediteur i.S.d. § 407 HGB bzw. § 453 HGB verursacht, stellt sich das Problem auch außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs[56] nicht: Dem Käufer steht dann nach § 421 Abs. 1 S. 2 HGB (ggf. i.V.m. § 458 HGB) selber der sich aus den §§ 425 ff. HGB ergebende Schadensersatzanspruch zu. Wie sich aus § 421 Abs. 1 S. 3 HGB explizit ergibt, kann der Käufer über diesen Anspruch auch sein eigenes Interesse geltend machen. Eine Anwendung der Regeln zur Drittschadensliquidation scheidet in diesen Fällen aus.[57]
Die Haftung des Frachtführers ist für den Geschädigten einerseits deutlich günstiger, da sie verschuldensunabhängig ausgestaltet ist. Andererseits wird sie dem Grund nach durch Ausschlusstatbestände (vgl. §§ 426 ff. HGB) und vor allem der Höhe nach deutlich beschränkt, vgl. §§ 431 ff. HGB. Diese Beschränkungen lassen sich aber durch die Konstruktion eines Anspruches auf Basis allgemeiner Anspruchsgrundlagen und Anwendung der Regeln zur Drittschadensliquidation nicht umgehen. Das folgt aus der „Sperrwirkung“ des § 434 Abs. 1 HGB.
f) Allgemeine Ausnahme nach § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1
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Neben den – als lex specialis vorrangig zu prüfenden – Ausnahmen nach §§ 446, 447 bleibt noch die Ausnahme nach § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1. Mit ihr sowie dem Sonderfall der beiderseits zu vertretenden Unmöglichkeit unterhalb der für diese Variante erforderlichen Schwelle haben wir uns bereits an anderer Stelle beschäftigt.[58]
Die Selbstständigkeit des Ausnahmetatbestandes in § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 ergibt sich daraus, dass die erforderliche alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des Gläubigers (= Käufers) für die Unmöglichkeit der Sachleistung einen „Zufall“ i.S.d. §§ 446, 447 ausschließt.
Hinweis
Der 2. Variante des § 326 Abs. 2 S. 1 kommt neben § 446 S. 3 hingegen keine eigenständige Bedeutung zu, da der Verkäufer den Untergang/bzw. die Verschlechterung in beiden Fällen nicht zu vertreten haben darf.
3. Leistungsbefreiung des Käufers nach § 300 Abs. 2
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Außerdem kommt noch eine Leistungsbefreiung des Käufers nach § 300 Abs. 2 in Betracht.
Beispiel
K will dem V zur Tilgung seiner Kaufpreiszahlungspflicht den Geldbetrag bei Fälligkeit und nach einer entsprechenden Ankündigung seines Besuchs bar vorbeibringen. V ist trotz der Verabredung nicht da und befindet sich deshalb nach §§ 293, 294, 299 Hs. 2 im Annahmeverzug. Wird dem K das Geld nun ohne sein Verschulden gestohlen, wird er von seiner Zahlungspflicht gem. § 300 Abs. 2 (analog, da die Geldschuld keine Gattungsschuld ist!) frei. Da hier wegen § 270 Abs. 1 eine Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 ausgeschlossen ist, scheidet § 275 Abs. 1 trotz Aussonderung ausreichender Barmittel aus.[59]
Hinweis
Beachte: Die Leistungsbefreiung des Schuldners von seiner Primärleistungspflicht nach § 275 ist verschuldensunabhängig. Anders verhält es sich beim Übergang der Leistungsgefahr nach § 300 Abs. 2. Hier wird der Schuldner nur dann frei, wenn er die Leistungsstörung auf seiner Seite nicht zu vertreten hat.[60] Dies folgt im Gegenschluss aus § 300 Abs. 1, wonach der Schuldner ab Eintritt des Gläubigerverzugs nur noch Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten hat.
4. Sonstiges
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Wie bei der Primärleistungspflicht des Verkäufers ist schließlich an die Einwendung des Eintritts einer auflösenden Bedingung oder die Ausübung rechtsvernichtender Gestaltungsrechte wie Widerruf, Rücktritt oder Minderung sowie die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung (§ 281 Abs. 4) zu denken.
Hinweis
Die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 bzw. 282 schließt nach § 281 Abs. 4 nicht nur den Primäranspruch auf die verletzte Leistung, sondern wegen des synallagmatischen Zusammenhangs auch den Anspruch auf die Gegenleistung aus.[61] Macht also der Käufer – etwa wegen Leistungsverzögerung des Verkäufers – nach fruchtlosem Fristablauf seinen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung geltend, erlischt damit nicht nur der verzögerte Primäranspruch des Käufers, sondern auch der Zahlungsanspruch des Verkäufers. Die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung hat damit rücktrittsähnliche Wirkung (vgl. auch § 281 Abs. 5). Verlangt der Käufer im Falle einer Teilleistung den „kleinen Schadensersatz“,[62] erlöschen die Primäransprüche nur in Bezug auf den „gestörten Teil“.
1. Teil Der Kaufvertrag › C. Der Anspruch auf den Kaufpreis (§ 433 Abs. 2) › III. Durchsetzbarkeit
1. Fälligkeit
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Auf der Ebene der Durchsetzbarkeit prüfen wir zunächst die Fälligkeit des Anspruchs, die nach der Vermutungsregel des § 271 Abs. 1 im Zweifel sofort eintritt.
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