Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 93; Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 733.
1. Teil „Ein Rundflug“ › C. Wie schreibe ich es auf?
C. Wie schreibe ich es auf?
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Ihre Klausuren müssen – wie Urteile und anwaltliche Gutachten auch! – nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch überzeugen. Um den richtigen Stil zu finden, hilft wirklich nur eines: üben, üben, üben! Das ist so und einfach nicht zu ändern.
Am Anfang mag das nerven – zugegeben. Das liegt aber meistens an einer falsch verstandenen Auffassung vom sog. „Gutachtenstil“. Dieser ist keinesfalls stur bei jedem Tatbestandsmerkmal durchzuhalten. Ansonsten kann dies zu seitenweisen Ausführungen führen, die erkenntnisarm und an Ödnis nicht zu überbieten sind:
Hier ist doch einiges überflüssig – oder? Zur besseren Variante kommen wir unter Rn. 52.
Beispiel
„Dem A könnte ein Anspruch gegen B auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 zustehen. Dann müsste der B vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht des A durch ein zurechenbares Verhalten widerrechtlich verletzt haben.
Im vorliegenden Fall wurde der Kotflügel des Autos infolge eines Fußtritts von B eingedrückt.
Als Rechtsgutsverletzung kommt deshalb die Verletzung des Eigentums von A in Betracht. Eine Eigentumsverletzung liegt vor, wenn auf eine im fremden Eigentum stehende Sache derart eingewirkt wird, dass sie in ihrer Substanz beeinträchtigt, ihr Besitz entzogen oder ihr bestimmungsgemäßer Gebrauch nicht nur kurzfristig vereitelt wird.
Das Auto müsste zunächst eine Sache sein. Sachen sind nach § 90 im Unterschied zu Rechten körperliche Gegenstände. Körperlich ist ein Gegenstand dann, wenn er im Raum abgrenzbar ist, entweder durch eigene körperliche Begrenzung, durch Fassung in einem Behältnis oder durch sonstige künstliche Mittel wie zum Beispiel Grenzsteine. Ein Auto ist ein durch seine Karosserie im Raum abgegrenzter Gegenstand. Es könnte im Übrigen auch in ein großes Behältnis (z.B. Container) gefasst werden. Ein Auto stellt deshalb eine Sache i.S.d. § 90 dar.
Durch Eindrücken des Kotflügels infolge des Fußtritts des B könnte die Substanz des Autos beeinträchtigt worden sein. Eine Substanzbeeinträchtigung liegt dann vor, wenn (. . .)“
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Die richtige Gewichtung ist für einen guten Stil unerlässlich. Sie werden feststellen, dass die Anfertigung juristischer Gutachten Spaß machen kann. Sie müssen sich immer fragen: Wie argumentiere ich geschickt, wo lege ich meine Schwerpunkte, was stelle ich kurz und knapp dar und was kann ich ganz weglassen?
Folgende Grundregeln sollten Sie dabei unbedingt beherzigen:
1. Teil „Ein Rundflug“ › C. Wie schreibe ich es auf? › I. Gesetz ernst nehmen
I. Gesetz ernst nehmen
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Halten Sie sich bei der Begutachtung zunächst streng an das Gesetz, und zwar an jedes einzelne Wort. Schließlich ist der Richter nach Art. 20 Abs. 3 GG an „Gesetz und Recht“ gebunden. Die meisten Fehler entstehen durch Übersehen einzelner Tatbestandsmerkmale. Sie müssen das Gesetz immer wieder durchlesen, auch wenn es sicher spannendere Lektüre gibt. Es hilft nichts. Die spezielle Norm genießt im Ausgangspunkt den Vorrang vor allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen. Das Normargument kann selbstverständlich keine Exklusivität für sich in Anspruch nehmen, da Generalklauseln (z.B. §§ 138, 242) und methodische Instrumente existieren, um Ergebnisse des positiven Rechts mit einzelfallbezogenen Gerechtigkeitserwägungen korrigieren zu können (siehe dazu IX.: „Nagelprobe“, Rn. 54). Einer solchen Korrektur sind jedoch Grenzen gesetzt, da stets die Gewaltenteilung zu beachten ist. Sie dürfen das Gesetz also nicht voreilig allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen opfern. Der BGH hat dies im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG so formuliert – es ging um den Anspruch des Verkäufers auf Nutzungsentschädigung aus § 346 Abs. 1 Hs. 2 Var. 2, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 439 Abs. 5:[1]
„Eine einschränkende Auslegung des § 439 Abs. 4 [Anm.: jetzt § 439 Abs. 5] dahin, dass die Verweisung auf die Rücktrittsvorschriften nicht auch einen Anspruch des Verkäufers auf Nutzungsvergütung begründet, widerspräche somit dem Wortlaut und dem eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers. Eine solche Auslegung ist unter Berücksichtigung der Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zulässig (BVerfGE 71, 81, 105; 95, 64, 93). Die Möglichkeit der Auslegung endet dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfGE 18, 97, 111; 98, 17, 45; 101, 312, 319).“
1. Teil „Ein Rundflug“ › C. Wie schreibe ich es auf? › II. System abbilden
II. System abbilden
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Durch Ihre Sprache sollten Sie immer das System der Anspruchsgrundlagen, Einwendungen und Einreden abbilden.
Rechtshindernde und rechtsvernichtende Einwendungstatbestände sowie Einreden führen Sie am besten immer mit der jeweiligen Rechtsfolgenformulierung des Gesetzes in das Gutachten ein. Jedes neue Thema im Gutachten wird also mit der Rechtsfolge des einschlägigen Einwendungs- oder Einredetatbestandes vorgestellt. Das macht in zweierlei Weise Sinn: Der Leser weiß sofort, warum Sie das Thema jetzt ansprechen. Er erkennt auf Anhieb die Bedeutung dieses Prüfungspunktes. Außerdem bekommt Ihr Gutachten durch eine Übernahme der Gesetzessprache die gewünschte Gesetzestreue (Regel I) und Präzision (Regel III).
Formulierungsbeispiel
„(…) Ein Vertrag wurde somit zwischen A und B geschlossen. Möglicherweise ist der Vertrag aber wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 nichtig. Dafür spricht hier, dass (…) Dem steht allerdings entgegen, dass (…) Eine Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 Abs. 1 scheidet damit im Ergebnis aus. Sonstige rechtshindernde Einwendungen sind nicht ersichtlich. Der Anspruch ist damit entstanden.
Der Anspruch könnte aber durch Aufrechnung des B nach § 389 erloschen sein. Dies erfordert zunächst, dass …“ oder
„Der Anspruch könnte aber gem. § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 wegen Leistungsbefreiung des A wieder entfallen sein. Dies setzt voraus, dass …“
Wenn Sie die Tatbestandsvoraussetzungen einer Anspruchsgrundlage oder eines Einwendungstatbestandes prüfen, wird der Obersatz eingeleitet mit Formulierungen wie zum Beispiel
„Dies setzt voraus, dass …“
„Erforderlich ist dafür, dass …“
„Das ist nur dann der Fall, wenn …“
Besteht ein Tatbestand aus verschiedenen Merkmalen, von denen einige sorgfältiger geprüft werden müssen, empfiehlt es sich, je einen Obersatz für die einzelnen erörterungsbedürftigen Teilmerkmale zu bilden. Sie müssen dann bei jedem Obersatz deutlich machen,