a) Fälligkeit
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Der Richter darf den Beklagten grundsätzlich nur zu fälligen Leistungen verurteilen. Die Zivilprozessordnung (ZPO) erlaubt Ausnahmen nur in engen Grenzen (vgl. §§ 257–259 ZPO). Der Anspruch ist grundsätzlich also erst dann gerichtlich durchsetzbar, wenn er auch fällig ist.
Der Begriff der Fälligkeit meint allgemein den Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger (im Prozess: der Kläger) die aufgrund seines Anspruchs geschuldete Leistung verlangen kann.[33]
Im Zweifel kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen (§ 271 Abs. 1). Abweichende Fälligkeitstermine können vertraglich vereinbart, also durch Rechtsgeschäft geschaffen werden:
„Zahlung in 14 Tagen“, „Zahlung nach Rechnungserhalt“.
Fälligkeitstermine können sich auch aus dem Gesetz ergeben:
§§ 556b Abs. 1, 579, 587, 604, 614, 641, 1361 Abs. 4, 1585 Abs. 1, 1612 Abs. 3.
Schließlich können sich solche Ausnahmen mangels vertraglicher oder gesetzlicher Regeln auch aus „den Umständen“ entnehmen lassen (vgl. § 271 Abs. 1):
Beispiel
Der Vermieter von Wohnräumen muss eine Kaution des Mieters im Zweifel noch nicht bei Beendigung des Mietverhältnisses zurückzahlen, sondern erst dann, wenn feststeht, ob ihm noch Ansprüche gegen den Mieter zustehen. Zur Feststellung seiner Ansprüche stehen dem Vermieter regelmäßig 3–6 Monate zur Verfügung.[34]
b) Einreden
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Der Richter bzw. Rechtsanwalt – in der Klausur sind Sie das – hat bis hierher die Frage beantwortet, ob dem Gläubiger (im Prozess: Kläger) ein fälliger Anspruch zusteht und der Schuldner (im Prozess: Beklagter) – leider – leisten muss, d.h. etwas zahlen, unterlassen, herausgeben muss oder was sonst auch immer Inhalt des Anspruchs sein mag.
Das Gesetz gibt dem Schuldner aber noch eine „Notbremse“ an die Hand, die nur er betätigen darf: ein Leistungsverweigerungsrecht. Der Gesetzgeber begründet über entsprechende Tatbestände solche Leistungsverweigerungsrechte. Dem Schuldner steht es frei, sich auf dieses Recht zu berufen. Der Richter kann ihm diese Entscheidung nicht abnehmen. Man nennt diese Leistungsverweigerungsrechte auch Einreden.[35]
Hinweis
Bei den „Einreden“ muss der Schuldner „reden“, er muss sich auf diese Einrederechte berufen. Hat der Schuldner nicht „geredet“, hat er von seinem Leistungsverweigerungsrecht also keinen Gebrauch gemacht, bleibt dem Richter nichts anderes übrig, als ihn zur Leistung zu verurteilen.
Hat der Schuldner nach dem Ihnen vorliegenden Sachverhalt die Einrede nicht erhoben, prüfen Sie den Einredetatbestand trotzdem durch und weisen ggfs. darauf hin, dass die Einrede noch geltend gemacht werden könnte.[36] Dies kann nämlich auch noch im späteren Prozess geschehen.
Überlegen Sie einmal selbst, wer die Darlegungs- und Beweislast für die wirksame Erhebung einer Einrede trägt: Kläger oder Beklagter?
Die Darlegungs- und Beweislast für Einredetatbestände und für die Tatsache, dass der Schuldner sie erhoben hat (!) trägt – wer?
Je nach Wirkungsweise der Einreden unterscheiden wir zwischen zwei Einredearten.
aa) Peremptorische Einreden
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Einredetatbestände können dem Schuldner ein dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht geben (sog. „peremptorische Einreden“, vgl. auch § 813 Abs. 1 S. 1).[37] Macht der Schuldner von einer solchen Einrede Gebrauch, geht für den Gläubiger nichts mehr. Er hat zwar einen Anspruch, kann ihn aber nicht mehr durchsetzen. Der Anspruch besteht rechtlich zwar noch, ist faktisch aber verloren.[38] Sie erkennen diese Einredetatbestände an der Formulierung
„… kann/ist berechtigt zu verweigern …“
Beispiele
Verjährung (Einredetatbestand: § 214[39]), Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung (Einredetatbestand: § 821), Arglisteinrede (Einredetatbestand: § 853), Einrede der beschränkten Minderjährigen- bzw. Erbenhaftung (Einredetatbestände: §§ 1629a, 1973, 1975, 1990), Anfechtbarkeitseinrede (Einredetatbestand: § 2083).
bb) Dilatorische Einreden
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Andere Einredetatbestände geben dem Schuldner nur ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht (sog. „dilatorische Einreden“).[40] In den entsprechenden gesetzlichen Einredetatbeständen wird diese Einschränkung an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Die Formulierungen lauten dann:
„… kann/ist berechtigt zu verweigern, bis/solange …“
Beispiele
Zurückbehaltungsrechte aus §§ 273, 320, 348, Einreden des Bürgen aus §§ 770, 771.
Hinweis
Bei den Zurückbehaltungsrechten sieht das Gesetz einen besonderen prozessualen Ausgang vor. Der Richter darf die Klage bei Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts nicht abweisen, sondern muss den beklagten Schuldner gleichwohl verurteilen – aber nicht uneingeschränkt. Die Verurteilung erfolgt nur zu einer Leistung Zug-um-Zug gegen Erbringung der Gegenleistung durch den klagenden Gläubiger (vgl. §§ 274 Abs. 1, 322 Abs. 1). Im Ergebnis also nur ein halber Triumph für den Kläger.
Mit der Prüfung der Durchsetzbarkeit haben Sie die Begutachtung des jeweiligen Anspruchs abgeschlossen und stellen Ihr Endergebnis abschließend dar.
Anmerkungen
Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 6.
Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 5.
Zur Vorgehensweise bei Fallfragen, die nicht auf die Prüfung von Ansprüchen abzielen, vgl. Medicus/Petersen Bürgerliches Recht § 2 („Grenzen des Anspruchaufbaus“) Rn. 17 ff.
Siehe dazu Palandt-Ellenberger Einl. v. § 1 Rn. 22.
Eine prägnante Übersicht der Gründe für diese Reihenfolge finden Sie bei Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 8 ff.
Palandt-Ellenberger § 241 Rn. 5.