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Die Schwäche dieses Ansatzes hatte schon Walter Eucken kritisiert: Ohne Institutionen wie individuelle Eigentumsrechte oder die Möglichkeit, derartige Rechte zu erwerben oder zu übertragen oder sich durch Versprechen zu binden, kann ein Markt unmöglich funktionieren. In einer kulturell verfassten Menschheit sind Eigentum und Vermögen Potentiale oder Möglichkeiten, die einem Einzelnen oder einer Personenmehrheit zugeordnet sind[611]. Solche Potentiale, als Recht verstanden, bilden wesentliche Grundlagen einer Gesellschaft. Die Anerkennung von Vermögen ist einer der zentralen Faktoren einer Gesellschaft und einer Wirtschaft überhaupt. Dies bedeutet nicht, dass das Vermögen nicht vom Einzelnen gelöst werden kann. Es ist dann verselbstständigt als Sondervermögen[612].
bb) Auswirkungen einer liberalen Eigentumsordnung im Einzelnen
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Eine Weiterentwicklung der Gedanken Euckens wird in den modernen Wirtschaftswissenschaften teilweise in der von Coase begründeten Theorie der Verfügungsrechte (property rights) gesehen[613]. Coase hat gezeigt, dass die Allokation und Nutzung der Wirtschaftsgüter entgegen der Auffassung der klassischen Nationalökonomie maßgeblich von der Ausgestaltung der sog. Verfügungsrechte abhängt. Verfügungsrechte sind diejenigen Rechte, die die Art der Nutzung eines Gutes, die formale und materielle Veränderung eines Gutes, die Aneignung von Gewinnen und Verlusten, die durch die Nutzung eines Gutes entstehen, sowie Veräußerung des Gutes betreffen[614]. Der wirtschaftliche Wert eines Gutes hängt also maßgeblich von dem Bündel der Verfügungsrechte ab, das bei einer Transaktion übertragen wird[615].
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Juristisch werden mithilfe der Verfügungsrechte die innerhalb einer Gesellschaft im Umgang mit einem Gegenstand erlaubten Handlungen von unerlaubten abgegrenzt. Mit der Ausgrenzung der unerlaubten Handlungen beschreibt der Begriff der Verfügungsrechte ganz grundlegend den potentiellen Bereich der strafrechtlich relevanten Nutzung eines Gutes.
Der Begriff des Verfügungsrechts weist weiter darauf hin, dass das wirtschaftlich entscheidende Moment nicht die Eigentümerstellung, sondern die faktische Wahrnehmung und Verfügungsmacht der entsprechenden Rechte ist. Im Normalfall treffen die juristische Zuordnung des Eigentums und die faktische Wahrnehmung dieser Rechte in einer Person zusammen, zwingend ist dies allerdings nicht. Gerade im Bereich der Wirtschaft werden häufig Rechte, die einem Subjekt A zugeordnet werden, von einem Subjekt B ausgeübt. Die Verteilung dieser Rechte auf verschiedene Personen hat Konsequenzen: Da die die Rechte ausübenden Personen von den ökonomischen Folgen ihres Handelns nicht in vollem Umfang betroffen werden, treffen sie möglicherweise Entscheidungen, die zwar für sie selbst günstig sind, aus der Sicht des Rechteinhabers und möglicherweise auch aus der Sicht der Allgemeinheit aber zu einem ineffizienten Einsatz der Verfügungsrechte führen. Wenn solches Verhalten seinerseits durch einen Tatbestand der Untreue hoheitlich sanktioniert wird, werden Anreize zum Missbrauch fremder Verfügungsmacht genommen.
Der Anwendungsbereich der Theorie der Verfügungsrechte ist freilich noch sehr viel weiter[616]: Die zentralen Aussagen der Theorie der Verfügungsrechte (sog. Coase-Theorem) sind unter der Voraussetzung vollkommener Märkte erstens, dass die ex-ante Verteilung (Allokation) von Verfügungsrechten für deren spätere faktische Verteilung belanglos ist, da letztere stets effizient ist, und zweitens, dass sich durch eine geeignete Umverteilung von Verfügungsrechten externe Effekte stets internalisieren lassen[617]. Praktisch bedeutsam ist diese Aussage insofern, als sie nachweist, dass die ex-ante Allokation von Verfügungsrechten dann von Bedeutung ist, wenn eine effiziente faktische Allokation über den Markt zu scheitern droht, wenn der Markt also in erheblichem Maß unvollkommen ist. Als Analyseinstrument für eine angemessene Verantwortungszuschreibung ist die Theorie der Verfügungsrechte insofern von Bedeutung, als sie konsequent die Perspektive des methodologischen Individualismus aufnimmt[618]. Gerade komplexe Organisationen können daher bis auf die Funktion ihrer einzelnen Mitglieder analysiert werden[619]. Das Entstehen und der Fortbestand von Unternehmen sind dabei das Ergebnis des individuellen Nutzenstrebens der einzelnen Beteiligten.
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Aus den zentralen Aussagen der Theorie der Verfügungsrechte lassen sich wiederum verschiedene Prinzipien ableiten, die der Staat bei der Aufgabenwahrnehmung zu beachten hat: Als erstes wichtiges Prinzip wird zunächst die Durchsetzbarkeit der Verfügungsrechte betont. Dazu gehören etwa im Prozess eine angemessene Ausgestaltung des Beweisrechts[620], die Verfügbarkeit staatlicher Hilfe[621] oder der Schutz von Verfügungsrechten durch die Androhung von Strafen[622]. Als zweites wesentliches Prinzip für eine effiziente Verteilung von Verfügungsrechten ist sodann die Zurechnung der Handlungsfolgen zum Verfügenden, um so einen Gleichlauf von Verfügung und Haftung herzustellen[623]. Strafrechtstheoretisch lässt sich so allgemein und systemimmanent nochmals die grundlegende Bedeutung der Zurechnungslehre im Wirtschaftsstrafrecht begründen[624]. Wirtschaftsstrafrechtliche Haftung gründet demnach nicht im zurechenbaren Herbeiführen eines Erfolges, sondern ganz elementar in einer von der Rechtsordnung so nicht für zulässig erklärten Nutzung eines Gutes bzw. im Missbrauch von Verfügungsrechten.
d) Gewährleistung größtmöglicher Privatautonomie im Sinne der Lehre von den Transaktionskosten und indirekte Gewährleistung dieser Institution durch spezifische Einzelnormen
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Entscheidendes Mittel zur Gewährleistung des richtigen Einsatzes von Arbeit und Eigentum ist nach den Vorgaben des Grundgesetzes die individuelle Handlungsfreiheit in Form einer freien Entscheidungsfindung[625]. Diese freie Entscheidungsfindung in ihren wesentlichen Grundzügen gewährleistet der Staat durch das Institut der Privatautonomie.
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Der Theorienstrang innerhalb des neuen Institutionalismus, der die nähere Ausgestaltung der Voraussetzungen für die Ausübung des autonom gebildeten Willens zum Gegenstand hat, ist die sog. Transaktionskostentheorie. Sie untersucht die Kosten für die Anbahnung oder den Abschluss von Verträgen und ist damit das wirtschaftswissenschaftliche Pendant der allgemeinen Lehre von der Privatautonomie: Zwar hat jeder das Recht, Verträge abzuschließen; mit jedem Vertragsschluss sind aus ökonomischer Sicht aber Kosten verbunden. Die Transaktionskosten bestehen aus den Kosten der Definition, Übertragung und Messung wirtschaftlicher Ressourcen oder Rechtstitel sowie den Kosten der Ausübung und Durchsetzung dieser Rechte[626]. Bei der Übertragung von Verfügungsrechten bestehen die Transaktionskosten in der Information, Verhandlung und Rechtsdurchsetzung[627]. Im Extremfall können Transaktionskosten so hoch sein, dass sie jeden Tausch verhindern[628].
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Die Art. 2, 12, 9 GG garantieren dem Einzelnen die Grundvoraussetzungen für Markttransaktionen und jenseits der Individualebene ein grundsätzlich freies Wirtschaftssystem[629]. Diese Freiheiten wurden nie absolut, sondern immer in einem auf Ausgleich bedachten System konfligierender Individualinteressen gedacht. So wurden etwa dem Postulat einer absoluten Vertragsfreiheit schon relativ früh Einschränkungen durch die Gewerbefreiheit entgegen gehalten. Konkurrenzklauseln in Verträgen wurde demnach die Anwendung versagt, sofern sie in einem unzulässigen Maß den Wettbewerb beeinträchtigten[630].
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Solche Verbote können dann wirksam durchgesetzt werden, wenn sie mit Transaktionskosten verbunden werden. Die Kosten der regelverletzenden Handlung halten sich in Grenzen, wenn die Sanktion lediglich in einer zivilrechtlichen, durch den Schaden der Handlung in der Höhe begrenzten Ausgleichspflicht nach dem Recht der unerlaubten Handlung besteht. Die Kosten sind höher, wenn eine durch einen Bußgeldtatbestand belegte wichtige Ordnungsregel verletzt wird – z. B. Bußgelder in Millionenhöhe bei Verstößen gegen die Wettbewerbsordnung. Noch höhere Kosten – nämlich Freiheitsstrafen – müssen einkalkuliert werden, wenn die Handlung konkrete, individuelle Rechtsgüter verletzt und etwa die Tatbestände der §§ 240, 263 StGB erfüllt.
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Wird ein Verhalten mit Sanktionen belegt, steigen also die Transaktionskosten