Plattformen, die online die Herstellung sozialer Strukturen und Interaktionen ermöglichen, werden auch unter dem Sammelbegriff »Social Web« gefasst. Präziser definiert besteht das Social Web aus:
• »[…] webbasierten Anwendungen,
• die für Menschen
• den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und deren Pflege, die Kommunikation und kollaborative Zusammenarbeit
• in einem gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Kontext unterstützen sowie
• den Daten, die dabei entstehen und
• den Beziehungen zwischen Menschen, die diese Anwendungen nutzen« (Ebersbach et al. 2008, S. 31; vgl. auch Hippner 2006).
Es finden sich Prinzipien, die alle Social-Web-Services mehr oder weniger einen (vgl. Ebersbach et al. 2008, S. 31; Hippner 2006):
• Der Fokus liegt auf den Nutzern und ihrer interaktiven Kommunikation: Während Programme oder Webseiten der Generation Web 1.0 weitgehend produktivitätsorientiert und anonym genutzt wurden, zeichnen sich Angebote im Social Web durch hohes interaktives Potenzial und Personalisierung aus; Nutzungsmuster werden nachvollziehbar.
• Möglichst ausgiebige Vernetzung (von Informationen oder Personen): Nicht die einzelnen Informationen, sondern die Struktur, die aus ihrer Verknüpfung entsteht, steht im Zentrum. Durch das In-Beziehung-Setzen von Inhalten wird kollektives Wissen aufgebaut.
• Transparenz von Handlungen, Daten und Zusammenhängen: Sichtbarkeit der Teilnehmer, ihrer Beziehungen untereinander und der Bewertungen von Inhalten wird hergestellt, um das menschliche Orientierungsbedürfnis zu befriedigen – zugleich kann der einzelne Nutzer so sein Wissen der Gemeinschaft verfügbar machen.
• Selbstorganisation: Anbieter stellen zunächst nur die Plattformen bereit, der Inhalt wird erst durch die Teilnehmer geliefert. Nutzer machen sich auf diese Weise die Plattform zu eigen und konstituieren eine Community, die Verhaltensregeln selbst aushandelt, weil viele Plattformen im Web 2.0 nichtkommerziellen Charakter haben und die Benutzung daher weitgehend unreguliert erfolgen kann (Bottom-up-Gestaltung).
• Rückkopplung in Form von »Social Ratings«: Inhalte können bewertet (oder auch kommentiert) werden. Dadurch zeigen die Teilnehmer an, welche Beiträge sie als wertvoll erachten. Durch positive Rückkopplungen erwirbt sich der Produzent digitale Reputation, zugleich wirkt die Gratifikation des positiven Feedbacks verhaltensregulierend.
• Die Bedeutung von Integration in die Gemeinschaft: Weil jeder einzelne Teilnehmer in den Aufbau einer Community viel Energie und kostenlose Arbeit steckt, sind Einzelkämpfer und Abweichler [97]unerwünscht und werden von der Gemeinschaft selten toleriert; als unerwünschte Verhaltensweise gilt z. B. One-to-One-Kommunikation, stattdessen sollen One-to-Many- (Weblogs) oder Many-to-Many-Kommunikationsmodi (Wikipedia) vorherrschen.
Zum Management von Informationen und Beziehungen existieren im Social Web verschiedene ›Werkzeuge‹ (vgl. Hartmann 2008, S. 105ff; Schmidt 2011, S. 29ff):
• Content-Syndication: Bereits produzierte Inhalte können in ein anderes Webangebot übernommen und damit mehrfachverwertet werden (z. B. die Einbindung von Kartendiensten in einen Reiseblog).
• Mashup: Durch die Rekombination und Mischung bereits produzierter Inhalte (Fotos, Videos, Landkarten etc.) entstehen multimediale Kollagen und damit neue Inhalte. Sucht man z. B. über Google nach einem Produkt oder einer Dienstleistung, bekommt man als Suchergebnis häufig eine Karte mit Markierungen von Standorten eingeblendet, an denen diese Produkte oder Dienstleistungen erhältlich sind – meist inklusive (durch andere Internetnutzer abgegebene) Kundenbewertungen.
• Newsfeed: Feed Reader bzw. Aggregatoren informieren über Aktualisierungen von Webseiten, ohne dass man diese aufrufen muss. Die Textnachrichten können in unterschiedlichen technischen Umsetzungen (RSS, RDF, Atom) automatisch bezogen (abonniert) werden.
• Tagging/Social Bookmarking: Nutzer können einen Datenbestand durch Zusatzinformationen etikettieren (englisch: to tag) oder ver-/beschlagworten. Die Aggregation der individuell vergebenen Schlagworte lässt eigene Ordnungsmuster entstehen (Folksonomies).
• Blogging: bezeichnet das Führen eines Blogs durch einen oder mehrere Autoren. Blogs sind relativ regelmäßig aktualisierte Webseiten, auf denen in umgekehrt chronologischer Reihenfolge (Text-, Bild- oder Audio-)Beiträge veröffentlicht werden, die i. d. R. von anderen Nutzern kommentierbar sind. Es gibt mittlerweile eine große Bandbreite an Blogs: Tagebüchern ähnliche private Blogs, kommerziell betriebene Unternehmensblogs (corporate blogs), Bürgerjournalismus-Blogs oder Watchblogs, die häufig mit Hilfe ihrer Leserschaft kritische Firmen- oder Medienbeobachtung betreiben, sowie professionelle journalistische Blogs wie die ›Huffington Post‹, die in Konkurrenz zu traditionellen Massenmedien treten.
• Podcasting (Audio-/Videoblogging): bezeichnet die Produktion von Audio- oder Videodateien, die kostenlos zum Download bereitgestellt werden.
• Wikis: Das sind Software-Implementierungen zur kollaborativen Erstellung von Webinhalten.
Das aus Perspektive der Kommunikationswissenschaft Neue an Services im Web 2.0 ist v. a., dass es öffentlich-interaktive Kommunikation (Weblogs, Wikis) ermöglicht, die aufgrund ihrer Reichweite massenmedialen Charakter annimmt (vgl. Neuberger 2007, S. 45; Schweiger/Quiring 2007; Haas/Brosius 2011). Dafür müssen Internetnutzer heutzutage nicht einmal mehr programmieren oder die technischen Prozesse hinter einzelnen Anwendungen verstehen können – die Zugangsbarrieren sind extrem gesunken und der Rollenwechsel vom Empfänger zum Sender massenmedialer Kommunikation ist wesentlich einfacher zu vollziehen (vgl. Hartmann 2008, S. 98). Die Vielfalt der soeben beschriebenen Werkzeuge zeugt davon. Inhalte, die mit der Hilfe von Nutzern erstellt werden, werden unter den Begriff User-generated Content subsummiert.
Die Kommunikationsmöglichkeiten im Web 2.0 ebnen die bisher in der Kommunikationswissenschaft mitgedachte Trennung von Individual- und massenmedial vermittelter Kommunikation zunehmend ein (vgl. Neuberger 2007, S. 43). Wie in diesem Abschnitt gezeigt wurde, kann Netzkommunikation sogar beides zugleich sein: In diesem Fall spricht man von interpersonal-öffentlicher Kommunikation – z. B. dann, wenn Nutzer von Onlinenachrichten die Berichterstattung kommentieren [98]und sich dabei für andere öffentlich sichtbar streiten (vgl. Brosius/Haas 2011; Springer 2012). »Interaktivität« unterscheidet folglich die Netzkommunikation von der klassischen Massenkommunikation: In der Netzkommunikation ist es möglich, neben die einseitig gerichtete Einer-an-Viele-Kommunikation (One-to-Many) andere Kommunikation treten zu lassen, nämlich eine One-to-One-, One-to-Few-, Many-to-Many- oder Many-to-One-Kommunikation. Da Interaktivität (ganz gleich in welcher Form) jedoch immer nur Kommunikationspotenzial ist, hängt die Realisation dieses Potenzials natürlich von den jeweiligen Nutzern ab. Auch wenn die Habitualisierung der Web2.0-Services und Plattformen voranschreitet, verbleiben Internetnutzer bislang doch fast ausschließlich im passiv-rezeptiven Nutzungsmodus (vgl. Busemann/Gscheidle 2012).
3.3.5 Virtuelle Vergemeinschaftung
Auf Onlineangeboten, die das Bereitstellen von User-generated Content ermöglichen, interagieren Nutzer teilweise wiederholt und dauerhaft, auch ohne einander ›offline‹ zu kennen. Solche virtuellen Gemeinschaften werden auch als Onlinecommunitys bezeichnet (vgl. Taddicken/Bund 2010, S. 167). Beziehungen zwischen den Community-Mitgliedern können von unterschiedlicher Intensität und die Bindung an die Community daher von unterschiedlicher Bedeutung sein. Nicht selten eröffnen virtuelle Gemeinschaften neue, öffentliche Kommunikationsforen, sodass man für sie auch die Bezeichnung »elektronische Cafés«, oder »elektronische Agora« findet (vgl. Höflich 1995, S. 523). Der Onlineableger der Süddeutschen Zeitung z. B. offeriert den Lesern die Netzwerk-Plattform ›suedcafe‹ zur virtuellen