Mehrsprachigkeit und Bildung in Kitas und Schulen. Elke Montanari. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Montanari
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846351406
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Auf dem Weg zu einer Didaktik der Mehr- und Quersprachigkeit

      Mit dem Titel „Mehrsprachigkeit institutionell sichtbar machen“ vertreten Chilla und Niebuhr-Siebert (2017:98) einen inklusiven und zugleich alltagsintegrierten Ansatz mehrsprachlicher Bildung, den sie wie folgt begründen:

      Mehrsprachige Bildung lebt von den Möglichkeiten, die eine Einrichtung zur Entwicklung aller Sprachen eines Kindes bietet. Mit anderen Worten: So lange mehrsprachige Kommunikation unsichtbar bleibt, kann Mehrsprachigkeit nicht als Bildungsressource genutzt werden.

      (Chilla/Niebuhr-Siebert 2017:98f)

      Insbesondere in der frühen Kindheit und im Vorschulalter kann die „Förderung von Mehrsprachigkeit (…) nicht als Förderung additiver systematischer Kenntnisse verstanden werden“ (List 2007:10). Es geht vielmehr darum, ein „Handeln quer durch die in der Institution vorgefundenen Sprachen hindurch“ zu fördern. Mit der Inklusion aller mitgebrachten Sprachen bzw. unter Berücksichtigung der komplexen Sprachwelten der Kinder wären auch konkrete Ziele zu erreichen wie zum Beispiel:

      Symbolische Dienste unterschiedlicher Sprachen und Register erkennen, zwischen ihnen unterscheiden, sie womöglich selbst mischen oder wechselnd benutzen, sie zum Objekt des Nachdenkens über die Vielgestaltigkeit der Sprachwelten machen.

      (List 2007:10)

      In einer früheren Publikation von Mario Wandruszka aus dem Jahre 1979, die in den letzten Jahren in der deutschsprachigen Literatur wiederholt zitiert und explizit gewürdigt wird (vgl. z.B. Fürstenau/Gomolla 2011:22; Fürstenau 2011:29f.), wird ebenfalls für eine Inklusion aller Sprachen und Sprachvarietäten plädiert. Auch hier wird die gelebte Mehrsprachigkeit der Heranwachsenden als Ausgangspunkt aller didaktischen Überlegungen und Handlungen betrachtet: Die pädagogischen Fachkräfte sind als „Erzieher[innen] zur Mehrsprachigkeit“ zu verstehen (Wandruszka 1979:18), die zunächst alle „von den Kindern mitgebrachten Sprachen, Dialekte, Regiolekte und Soziolekte in ihrem Eigenwert erkennen und anerkennen“ und erst davon ausgehend die Kinder in die Sprache der Schule bzw. in die sogenannte „Bildungssprache einführen“ (ebd.:14f.).

      Im deutschsprachigen Raum wird in den letzten Jahren versucht, den herkömmlichen Grammatikunterricht der Schule durch deskriptiv-analytische Sprachreflexionen zu erweitern oder zumindest die vorrangig normativen Ansätze der Deutschdidaktik auch für nicht standardsprachliche Varietäten der deutschen Sprache zu öffnen (vgl. Reich/Krumm 2013:84). Seit den 1990er-Jahren gibt es darüber hinaus verschiedene mehrsprachigkeitsdidaktisch ausgerichtete Ansätze (von Hans Reich, Ingelore Oomen-Welke, Basil Schader u.a.). Diese konzeptionellen Überlegungen greifen auf gemeinsam geteilte Maximen zurück, die auch für den Elementarbereich relevant sein können. Es wird davon ausgegangen,

       dass Kinder ihr gesamtes Sprachenrepertoire benötigen, um (sprachlich) zu lernen. Daher sollen alle Kinder auch in pädagogischen Feldern die Möglichkeit erhalten, ihre vielfältigen sprachlichen Kompetenzen und Praktiken selbstständig zu implementieren, insbesondere wenn sie damit beginnen, eine weitere, für sie mehr oder weniger neue Sprache oder Sprachvarietät (z.B. ein auf Schriftlichkeit basierendes Register) zu erwerben (siehe Kapitel 2.2 und Kapitel 3),

       dass im pädagogischen Kontext alle (Familien-)Sprachen – unabhängig von ihrem sozialen Prestige und offiziellen Status – als gleichwertig anerkannt werden sollen, da sie auch mit der Identitätsbildung der Kinder zusammenhängen. Aus diesem Grund dürfen sie gerade im Kontext von Bildungseinrichtungen nicht ausgeblendet oder sogar marginalisiert werden.

      Diese konzeptionelle Wende zur Mehrsprachigkeit wird im englischsprachigen Raum als „multilingual turn“ (Conteh/Meier 2014) bezeichnet und ist allmählich auch im deutschsprachigen Raum beobachtbar: In Österreich wurden entsprechende Prinzipien und Ziele einer „Mehrsprachigkeitsdidaktik“ (Reich/Krumm 2013) und in der Schweiz konzeptionelle Überlegungen zur Förderung von „Mehrsprachigkeitskompetenz“ (Berthele 2010) formuliert. In Deutschland wurde bereits vor einigen Jahren eine interkulturelle mehrsprachige Deutschdidaktik für die Schule konzipiert (vgl. Oomen-Welke 2003) und für eine „Didaktik der Quersprachigkeit“ in Kindertageseinrichtungen (List 2004) plädiert. Die sogenannten „dynamic plurilingual pedagogies“ (García/Flores 2012:244), worunter auch das Konzept „translanguaging pedagogy“ (García 2009a; García/Li Wei 2014) einzuordnen ist, sind konzeptionell vergleichbare Ansätze. Auch sie zielen allerdings hauptsächlich auf eine Neuorientierung des schulischen Unterrichts und beziehen sich seltener auch auf die frühpädagogische Praxis. Aus einer sprachdidaktischen Perspektive lässt sich hier die kritische These aufstellen, dass paradoxerweise insbesondere jüngere Kinder nicht dort abgeholt werden, wo sie gerade stehen, nämlich mitten im dynamischen Mehrspracherwerb, der ohnehin translingual verläuft (siehe Kapitel 2.2). Und so dominieren in der frühpädagogischen Praxis additive und sprachtrennende Vorgehensweisen, obwohl neuere Ergebnisse psycholinguistischer Erwerbsforschung belegen, wie Hopp, Thoma und Tracy (2010:611) zusammenfassend feststellen, dass im frühen Kindesalter „implizite Sprachlernprozesse“ verfügbar sind, die „möglicherweise sogar auf für Sprache spezialisierte Lernmechanismen aufbauen“ und einen zügigen und erfolgreichen Spracherwerb von weiteren Zielsprache(n) innerhalb von wenigen Jahren gewährleisten. Nicht die üblichen Fördermaßnahmen, sondern der „kindliche Spracherwerb“ hat sich also „als ein überaus effizientes Modell für Sprachförderung“ erwiesen (ebd.). Kinder benötigen vergleichbare authentische Situationen und Interaktionen auch im KiTa-Alltag, um ihr sprachliches Repertoire zu erweitern.

      So kann die natürliche, mehr- und quersprachige Alltagspraxis in (neu) zugewanderten Familien nicht (und keinesfalls pauschal) als nicht lernförderlich betrachtet werden. In der Regel erwerben Kinder im Kontext mehrsprachiger Familien ein umfassendes linguistisches Repertoire. Sie wachsen mit Eltern und Geschwistern auf, die (auch) die Sprache der Mehrheitsgesellschaft in ihrem Alltag, im Beruf, in der Schule etc. verwenden und darüber hinaus auch mehr- und quersprachig kommunizieren, um ihre translokalen Beziehungen mit weiteren Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden etc. aufrechtzuerhalten. Sobald die Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen bzw. „sobald sich das Umfeld über die Familie hinaus erweitert“, kann die „Didaktik einer Quersprachigkeit“ ansetzen (List 2004:133). Aus diesem Grund sollen Kindertageseinrichtungen „respektvoll mit den familialen Sprachwelten“ der Kinder umgehen und zwar unabhängig davon, ob diese aus „hochsprachlichen“, „dialektalen“ oder „durchmischten“ Registern bestehen. Die „erste Sprachwelt“, aus der „ein Kind zur Kindertageseinrichtung kommt“, bildet nämlich „eine Plattform“ für die Entwicklung einer „in der modernen Welt“ lebenswichtigen, quersprachigen Kompetenz (ebd.).

      Ähnlich argumentiert ein paar Jahre später García, indem sie für eine für die Belange des 21. Jahrhunderts geeignete(re), mehrsprachige Pädagogik plädiert (García 2009b), in der alle Sprachen bzw. „all the language practices“ der beteiligten Kinder berücksichtigt werden (García/Kano 2014, zit. n. García/ Li Wei 2014:225). Denn durch die Inklusion ihrer Sprachen soll der Gebrauch und Erwerb der weiteren Zielsprache(n) nicht behindert, sondern im Gegenteil unterstützt werden.

      Ausgehend vom erziehungswissenschaftlichen Inklusionsdiskurs im deutschsprachigen Raum gilt es, eine pädagogische Praxis zu überwinden, die ausschließlich eine Varietät des Deutschen fördert und elaboriert und so die Lebenswirklichkeit mehrsprachiger Kinder aus Bildungseinrichtungen systematisch exkludiert (vgl. Panagiotopoulou/Rosen 2015b). Die immer noch verbreiteten sprachseparierenden Maßnahmen vorschulischer Förderung (zu einer kritischen Betrachtung vgl. Christmann/Panagiotopoulou 2012, Neumann 2015) gilt es ebenfalls zu überwinden, wenn es darum gehen soll, mehrsprachige Konzepte nicht nur für die Schule, sondern auch für die KiTa zu entwerfen.

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