Mehrsprachigkeit und Bildung in Kitas und Schulen. Elke Montanari. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Montanari
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846351406
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sie dabei an, „wir verstehen nicht, was du sagst“. Lena erklärt ihm in beruhigendem Ton „ich spreche mit euch Griechisch, damit ihr Griechisch lernt!“ und an mich gewandt mit etwas lauter Stimme: „Ich spreche zwei Sprachen ganz: ‚germanika ke elinika‘ [Deutsch und Griechisch] und Englisch lerne ich noch in der Schule!“ Kurz danach teilt sie der Gruppe mit: „Nein, ich spreche drei Sprachen: Deutsch, Griechisch und Kölsch!

       (Ausschnitte aus Beobachtungen im KiTa-Alltag, aus der Fallstudie ‚Lena‘; Protokoll: Panagiotopoulou)

      2.1 Sprachmischung: zur translingualen Praxis mehrsprachiger Kinder

      Die vorangestellten Beispiele ethnographischer Beobachtungen im Alltag einer Kindertageseinrichtung in Nordrhein-Westfalen sollen exemplarisch verdeutlichen, wie mehrsprachig lebende Kinder mit verschiedenen Sprachen und Varietäten (Regiolekten, Dialekten; siehe dazu auch Kapitel 1) in Berührung kommen und sie parallel, aber auch ineinander bzw. ‚gemischt‘ gebrauchen. In deutschsprachigen Fallstudien der letzten Jahre werden entsprechende Interaktionen zwischen Kindern und Erwachsenen dokumentiert, mit deren Hilfe verdeutlicht werden kann, wie im familialen Alltag sprachenübergreifend kommuniziert wird (vgl. Tracy 2008:102). Insbesondere wenn Eltern systematisch ihre Familiensprachen und die Umgebungssprache(n) gemischt einsetzen, produzieren ihre Kinder logische „Mischäußerungen“ (ebd.:107). Das Phänomen der „Sprachmischung gehört zur Natur der Bilingualität“ (Schneider 2015:36), und zwar sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern:

      Sie [die Sprachmischung] zeichnet erwachsene fließende Sprecher und Sprecherinnen von zwei Sprachen genauso aus wie Kinder, die gerade im Begriff sind, zwei Sprachen zu erwerben. (ebd.:37)

      „Kinder mischen nicht mehr oder schlechter als Erwachsene es tun“ (Müller, Kupisch, Schmitz, Cantone 2011:200) und sind außerdem sehr wohl in der Lage, auf den translingualen Sprachgebrauch zu verzichten, um je nach Situation und Gesprächspartner bzw. Gesprächspartnerin monolingual zu handeln. Dies zeigt, dass Mehrsprachige sehr früh damit beginnen, ihre sprachliche Praxis (inklusive Sprachwahl) bewusst zu gestalten (vgl. auch Riehl 2014:85; Panagiotopoulou 2016:14). Darüber hinaus sind mehrsprachige Kinder mit der Zeit auch in der Lage, ihr komplexes linguistisches Repertoire verschiedenen Sprachen und Sprachvarietäten zuzuordnen.

      Die vorangestellten Protokollausschnitte zeigen exemplarisch, wie Lena im KiTa-Alltag sowie in Interaktion mit Kindern und Erwachsenen mehr- und quersprachig handelt. Dabei verwendet sie nicht nur zwei Sprachen, sondern auch Varietäten (teilweise gemischt). Das erste Beispiel deutet darauf hin, dass die vierjährige Lena über ihre eigene sowie über die Sprachpraxis ihrer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner reflektiert: hier am Beispiel der Aussprache „ich“ und „isch“. Den im KiTa-Alltag verwendeten Regiolekt setzen die Kinder in der Tat hauptsächlich in Interaktion mit ihrer Erzieherin Hanna ein. Das zweite Beispiel deutet darauf hin, dass Lena, wahrscheinlich aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit ihren zweisprachigen Eltern, ihre deutschsprechenden Freundinnen und Freunde bewusst auf Griechisch anspricht, damit diese ebenfalls zweisprachig werden. Dass Lena mit der deutsch-griechischsprechenden Beobachterin nicht nur monolingual deutsch oder griechisch, sondern regelmäßig auch translingual deutsch-griechisch kommuniziert, bestätigt die These, dass Kinder in der jeweiligen Interaktion das linguistische Repertoire ihrer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner berücksichtigen und ihre eigene Sprachpraxis entsprechend anpassen. Mit anderen Worten: Der weit verbreitete Mythos „Children raised bilingual will always mix their languages“ (Grosjean 2010:197) lässt sich in der Praxis nicht bestätigen. Vielmehr hängt der mono- oder translinguale Sprachgebrauch von Kindern mit pragmatischen Bedingungen innerhalb von konkreten Interaktionen und – mit zunehmendem Alter – auch mit bewussten Entscheidungen zusammen: Kinder mischen folglich ihre Sprachen in der Regel nur dann, wenn sie mit Personen interagieren, die über ein vergleichbares Sprachenrepertoire verfügen.

      Insbesondere unter den Bedingungen der Migration greifen bereits junge Kinder in der Regel gleichzeitig auf mehrere (Landes-)Sprachen und deren Varietäten zurück. Der Sprachgebrauch migrationsbedingt mehrsprachig lebender Kinder wird allerdings im öffentlichen Diskurs problematisiert, als Halbsprachigkeit abgewertet, oder im Hinblick auf die Sprachpraxis einer konkreten Minderheit in Deutschland zum Beispiel als „Türkendeutsch“ oder als „Kanak Sprak“ karikiert1. Während die translinguale Praxis Erwachsener sogar als besondere Kompetenz anerkannt wird, wird „die Sprachmischung in der frühkindlichen Zweisprachigkeit“ (Schneider 2015:37) eher negativ betrachtet:

      Das vermeintlich unsystematische und gegen alle Regeln verstoßende Mischen der Kinder wird als nachteilige Auswirkung des bilingualen Erstspracherwerbs interpretiert. In der neueren linguistischen Forschung wird Sprachmischung hingegen als nützliche Strategie gesehen, mit deren Hilfe sich bilinguale Kinder und Erwachsene effektiver ausdrücken können.

      (Schneider 2015: ebd.)

      Kinder, die beispielsweise in deutsch-türkischsprechenden Familien in Deutschland aufwachsen, würden mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Kindertageseinrichtung mit deutsch-türkischsprechenden Kindern und Erzieherinnen und Erziehern deutsch und/oder türkisch, aber auch ‚gemischt‘ kommunizieren. Am Frühstückstisch würden die Kinder in Interaktion mit der gesamten Gruppe wahrscheinlich den gemeinsamen deutschen Regiolekt verwenden, aber in einer Vorlesesituation die geschriebene Variante des Deutschen (oder einer weiteren Sprache) wahrnehmen, um anschließend das Geschriebene auch sprachenübergreifend zu kommentieren. Diese fließenden Sprachverwendungspraktiken werden aus einer einsprachigen Perspektive als Herausforderung gedeutet, in mehrsprachigen Bildungseinrichtungen sind sie aber Normalität, wie Beobachtungen im KiTa-Alltag zeigen (zur „Sprachenmischung“ im Kindergartenalltag in der deutschsprachigen Schweiz vgl. Kassis-Filippakou/Panagiotopoulou 2015).

      Im deutschsprachigen (Fach-)Diskurs gelten auch im Hinblick auf den kindlichen Spracherwerb und Sprachgebrauch nur „Fähigkeiten im Deutschen“ als „sprachlicher Fortschritt“, während „die erst- oder gemischtsprachlichen Fähigkeiten des mehrsprachigen Individuums in den Hintergrund treten“ (Chilla, Rothweiler, Babur 2013:72). Hingegen befassen sich in den letzten Jahren sprachwissenschaftlich fundierte erziehungswissenschaftliche Studien mit der allgegenwärtig beobachtbaren translingualen Praxis. Bereits vor über zehn Jahren wurden beispielsweise interessante Forschungsergebnisse über den Sprachgebrauch von in Hamburg lebenden Kindern und Jugendlichen mit dem Titel „Türkisch sprechen nicht nur die Türken“ publiziert (vgl. Dirim/Auer 2004). Das Projekt zeigte u.a. auf, dass durch die zahlreichen Möglichkeiten, die verwendeten Sprachen „miteinander zu kombinieren und zu verschmelzen […] neue Sprechweisen [entstehen]“ (Krehut/Dirim 2008:413). Damit hängt auch die Erkenntnis zusammen, dass Kinder, die im Kontext von Migration mit mehreren Sprachen und Sprachvarietäten aufwachsen, zwar sprachenübergreifend handeln, aber trotzdem keine ‚halben‘ Sprachen dabei erwerben oder von der sogenannten „doppelten Halbsprachigkeit“ betroffen seien (zur grundlegenden Kritik dieser Pseudodiagnose vgl. Dirim 1999; Panagiotopoulou 2002, 2017a; Wiese 2011; Chilla, Rothweiler, Babur 2013). Das allgegenwärtige Phänomen der Sprachmischung weist also nicht auf eine Sprachstörung zwei- und mehrsprachiger Kinder hin, sondern betrifft eine legitime und sinnvolle Sprachpraxis neben anderen. Diese wichtige Erkenntnis lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen:

      There is no evidence that bilingual children2 differ from monolingual children except for the fact that they produce mixed utterances in addition to monolingual ones; that is, they translanguage from an early age.

      (García 2009a:64)

      Laut Meisel deutet die spezifische Praxis der „Sprachmischung“ auf besondere sprachliche Fähigkeiten hin (Meisel 2013:122). Sie findet sich nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Jugendlichen und Erwachsenen, „und dort genau bei denen, die in beiden Sprachen besonders kompetent sind“ (ebd.). Die sogenannte „balancierte“ Zwei- oder Mehrsprachigkeit von Jugendlichen und Erwachsenen schließt nicht aus, dass diese bereits als Kinder quersprachig handeln. Anders ausgedrückt: Mehrere Sprachen gut zu beherrschen, setzt nicht voraus, diese getrennt