Der europäische Raum ist indoeuropäisch, wenn wir von Zuwanderersprachen wie Türkisch etc. absehen, doch eine Sprache hat der indoeuropäischen Invasion getrotzt: das Baskische. Auf der Basis von Genom-Untersuchungen kommt der Humangenetiker Cavalli-Sforza zu dem Schluss: »Die baskische Region erstreckte sich vormals (im Paläolithikum) fast auf das ganze Gebiet, in dem man die großen Felsmalereien und -skulpturen gefunden hat. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß die baskische Sprache von den Sprachen abstammt, die die modernen Cro-Magnon-Menschen (vor fünfunddreißig- bis vierzigtausend Jahren) bei ihrem ersten Eindringen in Südfrankreich und Nordostspanien gesprochen haben, und daß die großen Künstler der Grotten in der Region eine von den ersten Europäern herkommende Sprache redeten, aus der sich das moderne Baskisch ableitet« (Cavalli-Sforza 2001: 135 f.). Das Baskische, das sich in seiner linguistischen Struktur von den anderen indoeuropäischen Sprachen deutlich unterscheidet (z.B. kein Genussystem), ist das Überbleibsel einer vor-indoeuropäischen Sprachfamilie, dem Vaskonischen, das seine sprachlichen Spuren in topografischen Bezeichnungen (Flüsse, Berge, Täler und Siedlungen) hinterlassen hat. Ein heiß diskutierter Fall ist die Städtebezeichnung München, die üblicherweise von lat. monachus ›Mönch‹ bzw. ital. monaco, mhd. munich abgeleitet und, da in der ersten urkundlichen Erwähnung apud Munichen steht, mit ›bei den Mönchen‹ interpretiert wird; im Stadtwappen von München ist schließlich auch ein Mönch abgebildet. Der Sprachwissenschaftler Theo Vennemann ist jedoch anderer Meinung, was in der Münchner Presse für große Aufregung sorgte: mun- bedeutet im heutigen Baskisch ›Ufer, Böschung, Bodenerhebung‹, -ic- ›Örtlichkeit‹ und -a drückt den bestimmten Artikel aus. Die Zusammensetzung ergäbe deshalb die Lesart ›der Ort auf der Uferterrasse‹, und das ursprüngliche München befand sich auf einer Uferterrasse (vgl. Vennemann 1997).
Das Baskische ist eine im indoeuropäischen Sprachengebiet isolierte Sprache, aber sie ist heute nicht isoliert von romanischen Sprachen, im Baskenland herrscht Mehrsprachigkeit. Das Spanische und Französische als Kontaktsprachen haben das moderne Baskisch erheblich beeinflusst, sodass Interferenzen, Entlehnungen, bestimmte Reduktionen usw. zu beobachten sind. Sprachkontakt ist eine zentrale Konstante in der Entwicklung der Sprachen (s. auch Kap. 70).
16 Was haben Sprachen gemeinsam?
Worin sind Sprachen typischerweise gleich und worin unterscheiden sie sich? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt der so genannten Sprachtypologie. Der Begriff ›Sprachtypologie‹ geht zurück auf den Sprachwissenschaftler Georg von der Gabelentz (1840–1893), der mit seinem 1891 erschienenen Buch Die Sprachwissenschaft. Ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse wesentliche Grundlagen der allgemeinen und vergleichenden Sprachwissenschaft gelegt hat. In seinem Buch heißt es: »welcher Gewinn wäre es auch, wenn wir einer Sprache auf den Kopf zusagen dürften: Du hast das und das Einzelmerkmal, folglich hast du die und die weiteren Eigenschaften und den und den Gesamtcharakter! – wenn wir, wie es kühne Botaniker wohl versucht haben, aus dem Lindenblatte den Lindenbaum construiren könnten. Dürfte man ein ungeborenes Kind taufen, ich würde den Namen Typologie wählen« (Gabelentz 1984: 481). Was Gabelentz hier skizziert, ist ein Erkenntnisprinzip, demnach Eigenschaften einer Sprache so aufeinander bezogen sind, dass aus der einen Eigenschaft einer Sprache auf andere Eigenschaften derselben und dass aus einer Summe von Eigenschaften auf den Typ einer Sprache rückgeschlossen werden kann. Dahinter steckt die Idee, über Gemeinsamkeiten allgemeine Strukturen von Sprachen feststellen zu können. Solche allgemeinen Strukturen werden als sprachliche Universalien bezeichnet.
Unter den aus dem systematischen Vergleich von Sprachen ermittelten Universalien gibt es solche, die ausnahmslos und uneingeschränkt gelten, und solche, die nur partiell gelten. Man spricht von absoluten und relativen Universalien. Die Universalie ›Eine Sprache hat mindestens drei Vokale‹ gilt absolut. Für alle Sprachen gilt auch, dass sie den Silbentyp Konsonant-Vokal (z.B. dt. Vo-ka-le oder jap. na-ka-ma = Freund, Kamerad) aufweisen.
Ein anderes Beispiel ist die Wort- und Satzgliedstellung. Betrachtet man den einfachen Aussagesatz und prüft die Stellung von Subjekt (S) und Objekt (O) in Bezug zum Verb (V), so lassen sich zwei zentrale Stellungstypen finden, nämlich SVO und SOV:
1 | Englisch (SVO) | ||
The man hit the ball. | |||
2 | Japanisch (SOV) | ||
Taro-ga | tegami-o | kakimasu | |
Name-Subj | Brief-dO | schreiben | |
Taro schreibt einen Brief / Briefe. |
Nach verschiedenen Untersuchungen zeigt sich, dass die Sprachen der Welt zwischen 85 % und 90 % SOV oder SVO aufweisen, der erste Typ tritt dabei ein wenig häufiger auf. Die Stellungstypen VSO, VOS kommen demgegenüber selten, OVS und OSV extrem selten vor.
Eine kleine Nebenbemerkung zu den exzeptionellen Mustern OVS und OSV: In der Star-Wars-Saga weist der Jedi-Meister Yoda in seiner Sprache eine besondere Wortstellungsvariante auf. Yoda gehört zu einer nicht weiter bezeichneten Spezies, ist 66 cm groß und mehrere Jahrhunderte alt und hat zahlreiche Schüler im Gebrauch der ›Macht‹ ausgebildet. Seine Sprache ist durch eine stark markierte Wortstellung gekennzeichnet, nämlich OSV, z.B.: ›Ein seltsames Gesicht du machst.‹ Es ist der Stellungstyp, der in den Sprachen der Welt am seltensten vorkommt. Die Macher der Saga haben also (bewusst oder intuitiv) jene Stellungsvariante gewählt, die am stärksten vom Normalen abweicht. Dadurch wird das Fremde auch sprachlich markiert. Auch das Klingonische, eine voll ausgearbeitete fiktionale Sprache (Star Trek), hat eine stark markierte Wortstellung, nämlich OVS (3a, b).
3 | Klingonisch (OVS) | |||
(a) | puq | legh | yaS | |
Kind | 3s.sieht.3s | Offizier | ||
Der Offizier sieht das Kind. | ||||
(b) | yaS legh puq | |||
Das Kind sieht den Offizier. |
Das Deutsche stellt einen Mischtyp von SVO und SOV dar, genauer: Es gibt beide Muster in Abhängigkeit von der Satzstruktur. Zunächst ist zwischen Hauptsatz und Nebensatzstellung zu unterscheiden. Im Hauptsatz liegt SVO vor, z.B. Er betritt das Haus, im Nebensatz hingegen SOV Ich beobachte ihn, während er das Haus betritt. Ändert sich der Satzmodus, kann das Verb in Spitzenposition stehen, z.B. Betritt er das Haus? Das Subjekt steht aber in allen Fällen vor dem Objekt (wie bei 99 % aller Sprachen). Zudem kompliziert sich das Stellungsverhalten dadurch, dass das Deutsche die sog. Satzklammer bildet (s. hierzu Kap. 48).
Joseph Harold Greenberg (*28.5.1915 in New York; † 7.5.2001 in Stanford) Joseph Greenberg wurde am 28. Mai 1915 in Brooklyn geboren. Über