In dem Science-Fiction-Roman Sternenflut von David Brin werden Delfine genetisch manipuliert (»geliftet«), um in Koexistenz mit den Menschen spezifische Aufgaben übernehmen zu können. Die Delfine beherrschen drei Sprachen: das Primal, die Ursprache der Delfine, eine einfache Sprache, die die Spezies untereinander und in bestimmten Situationen (Gefahr: Hilferufe) ›spricht‹. Das Trinär ist eine Haiku-artige Sprache, deren Symbolhaftigkeit sich einer sachlichen Logik entzieht und die primär in der Kommunikation mit den Menschen angewandt wird, mit entsprechenden Interpretationsproblemen. Das Anglische als die Englisch-Variante der zukünftigen Menschen ist die dritte Sprache, die von den Delfinen allerdings nur rudimentär ›gesprochen‹ wird.
So weit die Fiktion. Doch auch wenn sich die Spezies der Delfine vom Menschen und an Land lebenden Säugetieren stark unterscheidet und folglich die Kommunikationsformen abweichen – Delfine und andere Walarten verfügen über keinen Gesichtsausdruck und mimische Gesten –, so zeigen Untersuchungen (Lilly 1969), dass Delfine über hochfrequente Signale Informationen austauschen und durch ihre Körpersprache Gemütsverfassungen mitteilen. Delfine haben multimodale Imitationsfähigkeiten. Die akustischen Signale, die vom Menschen als Pfeif-, Grunz- und Quietschlaute wahrgenommen werden, dienen zur Koordinierung der Jagd, der Kommunikation beim Paarungsverhalten, zur Abwehr von Feinden etc. Jeder Delfin verfügt über einen Idiolekt und Delfingruppen entwickeln eigene Dialekte. Und Delfine sind wie Schimpansen in der Lage, eine Zeichensprache zu lernen. Bei Experimenten konnte bewiesen werden, dass Delfine bis zu 60 Einzelzeichen erlernen, die sie zu drei Zeichenverbindungen kombinieren können. Ein Delfin ist in der Lage, die Einzelzeichen ›Ball‹, ›Reifen‹, ›holen‹ in der Zeichenfolge ›Ball – holen – Reifen‹ als Befehl ›Hole den Ball und bringe ihn zum Reifen‹ und die Zeichenfolge ›Reifen – holen – Ball‹ als ›Hole den Reifen und bringe ihm zum Ball‹ zu interpretieren. Offensichtlich werden die Zeichensequenzen als eine Handlungsanweisung des Typs ›Bewege das Objekt X zum Zielpunkt Y‹ verstanden. In einer jüngsten Studie konnte bei einem Weißwal erstmals das Nachahmen menschlicher Stimmen nachgewiesen werden. Die um Oktaven tiefer liegenden menschlichen Lautstrukturen erzeugte der Wal »by varying his nasal tract pressure and making concurrent muscular adjustments of the vibrating phonic lips while over-inflating vestibular sacs« (Ridgway et al. 2012: R861).
Neben den Walen sind Schimpansen kleine Sprachkünstler, die nicht nur durch die Fähigkeit des Nüsseknackens und Termitenangelns beeindrucken, sondern vermutlich gerade wegen des Gebrauchs von Werkzeugen auch Sprachfähigkeiten entwickelt haben. Motorisch sind Schimpansen nicht in der Lage zu sprechen, da die Anatomie des Kehlkopfs, der Zunge und des Gaumens nicht zur Artikulation der Sprache geeignet sind. Wie aber Untersuchungen seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts beweisen, sind Schimpansen kognitiv in der Lage, sprachlich, wenn auch nicht lautsprachlich zu kommunizieren. Berühmt ist die Schimpansin Washoe, die in der ›American sign language (ASL)‹ unterrichtet wurde. Washoe erlernte innerhalb von vier Jahren 132 ASL-Zeichen und konnte diese in neue Kontexte sinnvoll einsetzen.
Eine zweite Berühmtheit ist Sarah, die 130 Wortsymbole unterscheiden und diese auf einer Magnettafel zu sinnvollen Einheiten zusammensetzen konnte. Die Psychologen, die Sarah trainiert hatten, stellen fest: »Verglichen mit einem zweijährigen Kind kann Sarah sich in der Sprachfähigkeit durchaus behaupten« (Premack/Premack 1972: 430). Ein wesentlicher Einwand gegen Schlussfolgerungen dieser Art war jedoch die Tatsache, dass die Schimpansen in Experimenten und über Belohnungssysteme die Sprache antrainiert bekommen hatten, sie waren konditioniert. Dies wäre mit keinem natürlichen Spracherwerb wie bei Kindern vergleichbar. Und diese berechtigte Kritik relativiert die Ergebnisse in der Tat. Doch dann erscheint Anfang der 80er Jahre Kanzi auf der Bildfläche der Primatenforschung.
Kanzi, Sohn eines sprachtrainierten Bonoboweibchens namens Matata, kam im Alter von sechs Monaten mit graphischen Symbolen, Gesten und gesprochener Sprache in Kontakt. Anders als in den Vorgängerstudien wurde er jedoch nicht konditioniert, sondern es blieb bei Angeboten und Ermunterungen. Das Ergebnis war überraschend. Kanzi erwarb die Kompetenz, Einwort- und Mehrwortsätze zu produzieren, und ein Vergleich mit den rezeptiven sprachlichen Fähigkeiten eines zweijährigen Mädchens ergab Ähnlichkeiten (Savage-Rumbaugh et al. 1993). Savage-Rumbaugh, die Primatologin, die mit Kanzi arbeitete, zog daraus die Schlussfolgerung, dass wir unsere Sichtweise auf das »Lebewesen Affe revidieren müssen. Wenn Affen Sprache auf die gleiche Art wie Menschen – das heißt ohne besonderen Unterricht – erwerben können, dann bedeutete das, daß der Mensch keine einzigartige Form von Intelligenz besitzt, die sich grundlegend von der aller Tiere unterscheidet. Vielleicht war es für den Homo sapiens ein besonderes Geschehen, daß er sprachähnliche Laute hervorbringen oder Werkzeuge herstellen konnte, aber das bedeutet nicht, daß er die Dinge auf einer ganz anderen Ebene verstand als die übrigen Lebewesen« (Savage-Rumbaugh/Lewin 1995: 159).
Trotz Kanzis Sprachfähigkeiten besteht zwischen diesen und der menschlichen Sprachfähigkeit nicht nur ein gradueller, sondern ein qualitativer, kategorialer Unterschied. Aber dennoch: Das sprachliche Potenzial bei Affen lässt den Schluss zu, dass subhumane Primaten über protosprachliche Fähigkeiten verfügen. Diese können als ein wichtiger Aspekt der Sprachevolution und als Ausgangspunkt der Phylogenese der menschlichen Sprache gesehen werden.
13 Über den Ursprung der Sprache
Dass Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen habe, dies nachzuweisen war der Versuch des deutschen Pfarrers Johannes Peter Süßmilch (1707-1767) in seiner 1766 publizierten Schrift Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe, in der academischen Versammlung vorgelesen und zum Druck übergeben. Ausgangspunkt seiner Argumentation bildet die Überlegung, dass die Sprache so vollkommen sei, dass nur der Schöpfer dieses Wunderwerk habe vollbringen können. Mit und seit der natur- und sprachwissenschaftlichen Betrachtung von Sprache wird nicht Gott als Schöpfer, sondern die Evolution als zentraler Entwicklungsfaktor von Sprachfähigkeit gesehen. In einer modernen Fassung lautet die evolutionstheoretische Hypothese wie folgt: »Social communication has been around for as long as animals have interacted and reproduced sexually. Vocal communication has been around at least as long as frogs have croaked out their mating calls in the night air. Linguistic communication was an afterthought, so to speak, a very recent and very idiosyncratic deviation from an ancient and well-established mode of communicating« (Deacon 1997: 52). Sprachentwicklung wird als ein Adaptions- und Selektionsprozess begriffen: »Instead of approximating an imaginary ideal of communicative power and efficiency, or following formulae derived from an alleged set of innate mental principles, language structures may simply reflect the selection pressures that have shaped their reproduction« (ebd. S. 111).
Es sind besondere Entwicklungsschritte, die in Zusammenhang mit der Sprachentwicklung, der Phylogenese von Sprache gesehen werden:
1. Die Vergrößerung des Gehirns auf 700 bis 1300 Kubikzentimeter beim Homo erectus gegenüber dem Homo habilis. Eine Hypothese lautet, dass die Sprachentwicklung die Ursache für das Gehirnwachstum sei, eine andere, dass das Gehirnwachstum Sprachentwicklung bedingt (vgl. Kap. 74), eine dritte, dass Gehirnwachstum und Sprachentwicklung interdependent verliefen.
2. Der Nachweis des motorischen Sprachzentrums (Broca-Zentrum) durch Endocraniumabdruck eines Homo-erectus-(Sinanthropus-)Schädels (Zhoukoudian).
3. Die Veränderung des Stimmtrakts, nämlich eines tief liegenden Kehlkopfs. Der Stimmtrakt des Steinheim-Menschen (vor 300 000 Jahren), so zeigt die Rekonstruktion, ist unserem heutigen sehr ähnlich. Damit sind gegenüber anderen Primaten alle Voraussetzungen für artikulierte Sprache gegeben.
4. Die Rückbildung der Kiefermuskulatur hat dazu beigetragen, dass »die für das Sprechen erforderlichen Bewegungen des Unterkiefers im Laufe der Evolution immer besser kontrolliert werden konnten« (Carroll 2008: 262).
5. Die Schimpansenforschung zeigt, dass auch andere Primaten über Sprachfähigkeit verfügen (s.u. und Kap. 12). Dieser Punkt ist