Soziale Unterstützung
Zudem befinden wir uns stets in einem sozialen Umfeld, das uns einerseits in kritischen Situationen unterstützen, andererseits die Krisensituation verstärken (oder mitverursachen) kann. Hierauf wird insbesondere in Kapitel 4.2 (Familienbezogene Krisen) eingegangen. Meistens werden Familienangehörige, Peers und Freunde als Unterstützung und Ressource in der Krise gesehen, doch können sie auch krisenhaft in das Krisengeschehen verstrickt sein.
Ressourcen und Resilienzfaktoren
Und schließlich sind eigene Ressourcen von Bedeutung. In Kapitel 1.2 (Stress) wird noch gezielt auf Resilienzfaktoren einzugehen sein – Faktoren also, die dem Individuum Schutz vor und Widerstand gegen stresserzeugende und belastende Situationen geben. Das von Antonovsky beschriebene Kohärenzgefühl ermöglicht beispielsweise, ein (belastendes) Ereignis vorherzusehen, zu handhaben und sinnhaft einzuordnen. Andere Faktoren wie Belastbarkeit oder Widerstandskraft (eine hohe innere Überzeugung, Vieles kontrollieren zu können) oder der von Bandura geprägte Begriff der „self-efficacy“, also der Selbstwirksamkeit, werden als weitere Resilienz-Kräfte gesehen.
Coping
Auch Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) gehören hierzu, beispielsweise die Fähigkeit, Probleme detailliert zu analysieren und durch zielgerichtetes Handeln zu lösen (situationsbezogenes Coping), ebenso wie die Fähigkeit, Dinge, die nicht zu ändern sind, mit Gelassenheit zu tragen und mit den dadurch entstehenden Gefühlen umzugehen (emotionsregulierendes Coping).
Aber auch äußere Gegebenheiten, materielle und soziale Ressourcen spielen eine große Rolle, wenn es um die Chance der Krisenüberwindung geht. Es macht schon einen großen Unterschied, ob jemand mit gutem finanziellen Einkommen, einem stabilen sozialen Netz, in einem funktionierenden Gesundheitssystem und mit ausreichender finanzieller Ausstattung den Belastungen einer plötzlichen Krebserkrankung ausgesetzt ist, oder ob er zusätzlich zu der krankheitsbedingten Krise auch noch mit finanziellen, existenziellen Nöten, einem unzureichenden Gesundheitssystem, mangelnder ärztlicher Versorgung u. a. m. zu tun hat.
1.1.6 Krise als Chance
Krise: Gefahr und Chance
Das Wort „Krise“ besteht im Chinesischen aus zwei Zeichen, wobei das „Wey“ Gefahr und das „Ji“ Chance bedeutet. Die möglichen Gefahren (vom Entwicklungsstillstand bis hin zum lebensbedrohlichen Notfall) sind unmittelbar einsichtig – auf sie wurde bereits ausführlich Bezug genommen. Es gilt aber auch, einen Blick auf die einer Krise möglicherweise innewohnenden Chancen zu werfen. Ein Wendepunkt im Leben kann auch bedeuten, dass die Dinge sich zum Besseren wenden. Eine als krisenhaft empfundene Trennung von einem gewalttäti-gen Ehemann kann möglicherweise neue Lebenskräfte freisetzen und Lebenserfahrung ermöglichen. Die Erfahrung, eine kritische Situation, eine schwere Krankheit oder eine besondere Herausforderung überstanden bzw. gemeistert zu haben, verweist auf innere Stärken und führt zu Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Der Eintritt in eine neue Lebensphase – so kritisch diese möglicherweise erlebt wird – bedeutet in der Regel, auf einem neuen, höheren oder zumindest anderen Niveau zu sein, was oft mit neuen Freiheitsgraden und Handlungsmöglichkeiten einhergeht. Erwachsene können eigenständiger, selbständiger, verantwortungsvoller leben und agieren als beispielsweise Kinder. So liegt „jedem Abschied stets ein neuer Anfang inne“ (so formuliert es Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“), und in jeder Krise liegt auch der Keim für eine weiterführende Entwicklung. So geht es beispielsweise nach einer Krisenbehandlung zum einen darum, zu untersuchen, was sich in der aktuellen, neuen Situation geändert hat – auch zum Positiven. Zum anderen geht es aber auch darum, dem Betroffenen zu verdeutlichen, welchen Anteil er selbst an der Lösung der krisenhaften Situation gehabt hat, und welche neuen Ansätze und Coping-Strategien ihm nun zur Verfügung stehen, und schließlich geht es darum, sich Gedanken darum zu machen, wie man in zukünftigen, möglicherweise ähnlichen Krisen vorgeht.
Psychose
Dies ist beispielsweise bei psychosebelasteten Menschen ein besonders wichtiger Punkt: Sie müssen leider damit rechnen, von Zeit zu Zeit einen psychotischen Schub zu erleiden, der im Erleben des Betroffenen und in seiner konkreten Auswirkung oft sehr krisenhaft verläuft. Es ist wichtig, sich beizeiten auf künftige Krisen vorzubereiten und beispielsweise festzulegen, welche Hilfen man von Angehörigen, Ärzten und Psychotherapeuten in einer Zeit braucht, in der man diese Bedürfnisse psychosebedingt nicht mehr klar äußern kann.
Erweiterung von Kompetenzen
Selbst unter so schwierigen Bedingungen wie den wiederkehrenden kritischen Situationen im Rahmen einer Psychose kann es also zur Erweiterung von Kompetenzen und Coping-Strategien, die sich in einem solchen Antizipieren zukünftiger Krisen äußern, kommen, womit sich den Betroffenen mehr Handlungsspielräume eröffnen. Analoges ließe sich für den Umgang mit Rückfällen bei Alkoholkrankheit, Flashbacks bei posttraumatischer Belastung und vielen anderen Gegebenheiten zeigen.
1.1.7 Ausblick
Schnelles, zielgerichtetes Handeln
In vielen Arbeitsfeldern und Aufgabenbereichen von sozialer Arbeit, Pädagogik und Psychologie kann es – gelegentlich – zu Notfällen oder akuten Krisen sehr unterschiedlicher Art kommen: Entwicklungskrisen, wie z. B. akuten Pubertätskrisen, Verlustkrisen, wie beispielsweise in Scheidungssituationen oder bei schwerer Erkrankung, akuten oder chronischen Traumatisierungen (z. B. nach Flucht, Kindesmisshandlung oder sexuellem Missbrauch), akuten lebensgefährlichen Situationen, wie beispielsweise Suizidalität usw., die mitunter schnelles und zielgerichtetes Entscheiden und Handeln erfordern. Dabei gilt es, weiterführende, meist interdisziplinäre Hilfe nicht aus den Augen zu verlieren – was im Falle einer unmittelbaren bedrohlichen Gefährdung des Kindeswohls oder akuter Suizidgefährdung eines depressiven Menschen nach schweren Verlusterlebnissen unmittelbar einsichtig ist.
Thematik und Aufbau des Buches
Hier möchte das vorliegende Buch ansetzen. Es thematisiert die – m. E. häufigsten und wichtigsten – Krisen- und Notfallsituationen, mit denen Sozialarbeiterinnen, Pädagogen und Psychologinnen im Laufe ihres Berufslebens mutmaßlich konfrontiert werden, wie z. B. traumatische Belastungen, Suizidalität, Gewaltsituationen in Familie und Schule, drogenbezogene Krisen (Vergiftung, Entzug, Rückfall) u. a. m. Jedes dieser Themen wird systematisch wie folgt behandelt:
Zunächst wird kurz auf den Kontext und den Bezug zur Sozialarbeit, Pädagogik und Psychologie bzw. Psychotherapie eingegangen: Wann und wo hat man mit dieser Form von Krisen zu tun?
Allgemeine Grundlagen (beispielsweise über Alkoholkrankheit oder Suizidalität) sollen das Verstehen der Situation ermöglichen, werden aber relativ kurzgehalten. Gezielter und ausführlicher wird sodann auf spezifische Notfall- und Krisensituationen eingegangen, im Fall von drogenbezogenen Krisen beispielsweise auf Vergiftung, Entzugskrisen, Rückfallsituationen oder Erregungszustände.
Ein Kernstück der Ausführungen ist jeweils ein Überblick über Notfallmaßnahmen und Kriseninterventionen in diesen spezifischen Situationen. Dieser Teil ist sehr pragmatisch gehalten und reicht vom Abschätzen der akuten Gefährdung (drohender Atemstillstand) über schutzgebende Kontaktaufnahme, Erfassen des Kontextes und der Problematik bis zur Setzung von Prioritäten und einem Krisenplan zur Lösung der – aus Klientensicht – dringendsten Probleme.
Dieser Teil soll Sozialarbeiterinnen, Pädagogen und Psychologinnen helfen, sich eine schnelle Übersicht zu verschaffen, Prioritäten zu setzen und begründbare Entscheidungen, auch unter Zeitdruck, zu fällen. Danach werden weiterführende, nachhaltigere Maßnahmen pädagogischer, sozialer und psychotherapeutischer Art in Folgeabschnitten kurz skizziert.
Belastung, Stress, Krise und Traumatisierung
Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte dient der schnellen Orientierung und beendet das jeweilige Kapitel.
Um die Zusammenhänge zwischen Belastung,