Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches
Zur schnelleren Orientierung werden in den Randspalten Piktogramme benutzt, die folgende Bedeutung haben:
Begriffserklärung, Definition | |
(Fall-)Beispiel | |
Literaturempfehlung | |
Multiple-Choice-Fragen im Internet unter testfragen.reinhardt-verlag.de |
Vorwort
Krisen durchziehen unser Leben: Wenn Unvorhergesehenes auf uns einstürmt oder uns zu überwältigen droht, wenn wir Liebgewonnenes verlieren oder uns auf unbekanntes Terrain begeben, wenn unsere bewährten Methoden zur Problemlösung nicht mehr greifen – immer dann kann die Situation nicht nur als Herausforderung, sondern zumindest potenziell auch als beängstigende Krise erlebt werden. In der Regel werden wir mit Verlust-, Übergangs- oder Entwicklungskrisen, auch mit Hilfe unseres sozialen Umfeldes, ganz gut fertig und begreifen sie auch als Chance zur Veränderung und Entwicklung.
Andererseits können Schicksalsschläge, Traumen, biographische Vorbelastungen oder Zusammenbrüche bisheriger Konzepte zur Lösung der Probleme so gewaltig sein, dass es zu einer ernsten Überforderung und Gefahr des Entwicklungsstillstands oder gar des Zusammenbruchs kommt – manchmal auch auf körperlicher, jedenfalls aber auf psychischer und sozialer Ebene. Wir sprechen hier von psychosozialen Krisen, und sie bedürfen in der Regel neben der Unterstützung von Familie und Freunden temporär auch fachlicher Hilfe. Und schließlich können akute Notfälle umschlagen: Suizidalität, Drogenintoxikation oder schwere Erregungszustände wären hier beispielsweise zu nennen.
In vielen Arbeitsfeldern und Aufgabenbereichen von sozialer Arbeit, Pädagogik und Psychologie kann es – gelegentlich – zu Krisen oder sogar Notfällen kommen, die mitunter schnelles und zielgerichtetes Entscheiden und Handeln erfordern.
Andererseits sollte auch die längerfristige psychosoziale Perspektive, also Umstände, die zur Krise geführt haben, und vor allem die psychosoziale Entwicklung nach Überstehen der Krise, im Blick bleiben.
Hier möchte das vorliegende Buch ansetzen. Es thematisiert die – m. E. häufigsten und wichtigsten – Krisen- und Notfallsituationen, mit denen Sozialarbeiterinnen, Pädagogen und Psychologinnen im Laufe ihres Berufslebens mutmaßlich konfrontiert werden, beschreibt zielgerichtete, praxisorientierte Interventionen zur Überwindung der Gefährdungs- und Krisensituation und geht insbesondere auf psychosoziale Aspekte dieses Interventionsprozesses ein.
(Zum Sprachgebrauch: Wenn es um Personenkreise bzw. Berufsbezeichnungen geht, habe ich weibliche und männliche Formen nach dem Zufallsprinzip bunt durcheinander gebraucht und hoffe, dabei einigermaßen paritätisch vorgegangen zu sein.)
Eine kurze Zusammenfassung am Ende eines jeden Kapitels dient der schnellen Orientierung. Dabei greife ich neben klinischen Erfahrungen in (Sozial-)Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und meiner Tätigkeit als systemischer Familientherapeut vor allem die Erfahrungen meiner langjährigen Lehrtätigkeit als Professor für Medizinische Grundlagen der sozialen Arbeit und Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule NRW auf.
Vor allem viele, eindrückliche Begegnungen und Erlebnisse in der Begleitung von Studierenden in der Praxisphase ihres Studiums, in denen sie immer wieder mit Krisensituationen, mitunter auch mit Notfällen, konfrontiert waren, haben mich motiviert, mich vertiefend mit diesem Thema zu befassen und seit einigen Jahren zusätzlich vorbereitende und begleitende Seminare und Übungen zu psychosozialen Interventionen bei Krisen und Notfällen anzubieten. Erasmus-Seminare zu dieser Thematik in der Türkei und in Polen sowie Seminare im Rahmen einer „summer school“ für geflohene Studierende haben mir zudem die Notwendigkeit aufgezeigt, psychosoziale Krisen und Notfälle auch in einem etwas weiteren und die zunehmende Globalisierung berücksichtigenden Rahmen zu sehen.
Ich habe viel von den Studierenden gelernt und bin sehr dankbar für ihre Offenheit, ihr Engagement und ihre beeindruckende Bereitschaft, bereits in jungen Jahren Verantwortung zu übernehmen.
Besonders möchte ich mich bei Frau Anja Middendorf für ihre wertvollen Hinweise und ihre Hilfe beim Erstellen des Textes bedanken.
Frau Ulrike Landersdorfer, Lektorin beim Ernst Reinhardt Verlag, möchte ich – wieder einmal! – für ihre wohlwollende Unterstützung und die Ermutigung zu diesem Buch danken.
Frau Pia Horsthemke und Frau Valerie Titz danke ich für ihre Hilfe bei den Recherchen für die Seminare, die diesem Buch zugrunde liegen.
Ebenso gilt mein Dank meinen Kollegen und Kolleginnen, insbesondere Peter Berker, die mir in zahlreichen, wohlwollend-kritischen Gesprächen wichtige Hinweise und Anregungen gaben. Und schließlich möchte ich Joachim Gardemann danken, dessen persönlicher Einsatz in humanitären Notlagen mich ebenso beeindruckt wie unsere Gespräche.
Münster, im August 2017
Thomas Hülshoff
1 Grundlagen
1.1 Notfälle und Krisen
1.1.1 Einführung
Dieses Buch wendet sich an Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, Pädagogen und Pädagoginnen sowie Psychologen und Psychologinnen – also Menschen, die ihre berufliche Aufgabe darin sehen, Menschen zu begegnen, sie zu begleiten, zu fördern und zu unterstützen. Dabei haben sie, je nach Profession, unterschiedliche Aufgaben und Ziele und bedienen sich auch unterschiedlicher Konzepte und Methoden. Und wenn – von speziellen Arbeitsfeldern, z. B. in Krisenzentren, einmal abgesehen – Notfallversorgung und Krisenintervention auch nicht den Hauptteil ihrer professionellen Tätigkeit ausmachen, so kommt es doch gelegentlich, manchmal auch häufiger, zu Situationen, in denen sie mit akuten Krisen ihrer Klienten oder sogar akuten Notfällen konfrontiert sind. Diese erfordern in der Regel eine schnelle Übersicht über die Gefahrenlage und die Gesamtsituation sowie zielgerichtete, schnelle Entscheidungen. Häufig erfordert eine Krisensituation auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Dabei obliegen Sozialarbeitern und Pädagogen meist nicht akute Notfallmaßnahmen im engeren Sinne. Vielmehr geht es oft darum, eine Notfallsituation als solche zu erkennen, erste – mitunter lebensrettende – oder zumindest deeskalierende Schritte einzuleiten, gezielt adäquate Hilfe zu organisieren und daran anknüpfende Krisenerfahrungen wiederaufzunehmen und nachhaltige Hilfe anzubieten.
Von der Notfallversorgung zur Krisenhilfe
Aber wenn auch in der akuten, mitunter lebensgefährlichen Phase eines erfolgten Suizidversuchs, eines heftigen psychosebedingten Erregungszustandes oder einer Drogenintoxikation medizinische Hilfe im Vordergrund stehen mag – im Vorfeld haben Angehörige pädagogischer und psychosozialer Berufe die Aufgabe, Gefahren abzuwehren und schnellstmöglich Hilfe medizinischer Art zu organisieren. Wenn keine akute, lebensbedrohliche Gefährdung mehr besteht, gilt es, sehr schnell wieder pädagogische und psychosoziale Gegebenhei-ten zu berücksichtigen und auch auf dieser Ebene den Betroffenen zu helfen, die Krisensituation zu überwinden.
Drogenintoxikation
Hierzu ein Beispiel: Eine Heroinintoxikation sollte der Streetworker als solche erkennen (zunehmende Bewusstseinstrübung, stecknadelkopfgroße Pupillen etc.), sich der Gefahr einer tödlichen Atemlähmung bewusst sein, ggf. Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen und schnellstmögliche notfallmedizinische Hilfe holen. In dieser Phase ist die weitere Notfallhilfe – die Entgiftung – also wesentlich eine medizinische Aufgabe. Aber nicht nur: Spätestens nach der akuten lebensbedrohlichen Phase stellt sich