Die weise Schlange. Petra Wagner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Wagner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783959665964
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weh, das tut mir leid, mein Freund.“ Mitfühlend tätschelte Viviane seinen Arm und zog ihm nebenbei den Nagelschneider aus den Fingern. „Meine Brüder werden dich gern unter ihre Fittiche nehmen. Allerdings befürchte ich, du wirst bald froh sein, keine gehabt zu haben, wenn du so derart ruhig und behütet aufgewachsen bist wie niemand sonst, den ich kenne.“

      „Ach, da fällt mir ein …“ Loranthus druckste verlegen herum. „Wie bist du eigentlich so schnell darauf gekommen, dass ich ein Grieche bin?“

      „Na, das ist doch klar wie ein Gebirgsbach, ich habe dich gehört. Jemand, der in Griechisch mit sich selbst redet, kann ja schlecht ein anderer sein als ein Grieche, oder? Außerdem …“ Viviane hätte nun sagen können, dass sie Loranthus bereits kannte und ihn für einen harmlosen Händler hielt. Doch sie war sich dessen noch nicht ganz sicher. Sie traute den Römern durchaus zu, auf die Mitleidstour einen Spion bei den Hermunduren einzuschleusen; noch dazu einen echten Griechen, der diese Aufgabe – warum auch immer - bewerkstelligte. Im Hinblick auf den zu erwartenden Krieg zwischen Chatten und Hermunduren wäre das schlichtweg eine geniale Idee, die sie persönlich als ‚leicht durchführbar‘ bezeichnet hätte. Immerhin wäre sie selbst der beste Beweis, wenn es sich so verhielte, denn gestern hatte sie Loranthus bedenkenlos unter ihre Fittiche genommen und heute nahm sie ihn mit nach Hause. Womit sie wieder am Anfang ihrer Gedanken war: Sie traute es Loranthus zwar nicht zu, doch sie vertraute ihm auch nicht wirklich. Es war an der Zeit, ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen, daher zeigte sie in weite Ferne gen Westen. „Außerdem erkennt man es an deiner Wortwahl.“

      „An meiner Wortwahl?“

      „Ja, Loranthus. Du sagst ‚Galatai‘ oder ‚Keltoi‘, wie schon die alten Griechen vor langer Zeit. Die Römer sagen mittlerweile ‚Germanen‘ zu unsereins. Die sind nämlich an guter Nachbarschaft interessiert, jedenfalls offiziell. Die würden niemals darauf hinweisen, dass wir den gleichen hellen Teint aufweisen wie die Leute in den besiegten Gebieten links vom Rhein oder wir allgemein höher gewachsen sind als die Römer. Das Wort ‚Nachbarn‘ zieht wie von selbst eine Grenze und es hört sich doch viel kleiner an, als das riesige Gebiet der unbesiegten Sueben in Wirklichkeit ist.“ Sie hob in einer resignierenden Geste die Hände. „Tja, als die großen Imperatoren kommen sie mit dieser Einstellung durch. Wer es nicht besser weiß, glaubt alles, was er erzählt bekommt. Der Name der mächtigen Sueben wird verschwinden, wenn wir nicht aufpassen. Du als Grieche weißt ja: Der Sieger schreibt die Geschichte.“

      Bevor Loranthus einen beleidigten Schmollmund ziehen konnte, packte sie ihn an den Schultern und rüttelte kräftig. „Ist doch egal, mein Freund! Was zählt, ist hier und jetzt! Und nun komm, wir gehen zurück zu Hanibu. Sie macht sich bestimmt große Sorgen.

      Obwohl …“

      Sie schaute zum Bach und schnippte mit den Fingern.

      „Zuerst pflücke ich noch Sauerklee, Wasserminze und Brunnenkresse. Das wächst hier so schön üppig, das kommt mir sehr gelegen. Und du …“ Mit großer Geste zeigte sie auf eine blickdichte Stelle im Birkenhain und befahl: „Du kümmerst dich derweil um deine Wunden. Und zwar hurtig, hurtig.“

      Artig trabte Loranthus in die angegebene Richtung und übersprang den Bach wieder mit Leichtigkeit. Viviane begutachtete seine Rückansicht und fand es sehr aufschlussreich, wie geschickt er auf den Zehen trippelte und mit den Armen die Balance hielt – wahrscheinlich gab es in seiner Schule keine dazu passende Disziplin, sonst hätte er sich doch körperlich betätigt. Grinsend drehte sie sich in die andere Richtung, zog ihr Hemd unter dem Gürtel hervor und nahm es vorne zusammen. Bis Loranthus zurückkam, hatte sie schon alle Kräuter in der Hemdtasche untergebracht. Neugierig warf er einen Blick hinein.

      „Was kann man mit dem Grünzeug machen?“

      „Erstmal Essen.“ Grinsend marschierte Viviane los.

      Loranthus folgte ein wenig zögerlich. Er machte sich keine Sorgen wegen der Wildsau – sie gingen in die andere Richtung – aber dieses teilweise recht nasse Grünzeug machte doch einen fragwürdigen Eindruck auf ihn. Jetzt warf sie auch noch mit wachsender Begeisterung kleine weiße Blümchen hinein und versicherte diesen, wie gut sie schmecken würden. Erst Pferde, jetzt Blumen! Den ganzen Weg überlegte er, was ihr im Kopf herumging und wie er um die Mahlzeit drum herumkommen könnte, ohne Viviane vor selbigen zu stoßen. Zum Glück war der Weg recht lang, weil sie das Revier der Sau meiden mussten und so von der gegenüberliegenden Seite auf die Wiese kamen.

      Und hier, am Waldrand, bot sich ihm ein Anblick, der sämtliche anderen Gedanken in den Schatten stellte: Hanibu stand neben Dina, hatte ihnen den Rücken zugedreht und starrte wie gebannt auf die Stelle am Waldrand, an der er vorhin verschwunden war.

      Viviane tippte Loranthus auf die Schulter und gestikulierte: Heranschleichen wäre ungünstig und durch die Wiese trampeln kaum möglich – so oder so hätte sich Hanibu erschreckt. Darum riefen sie schon von Weitem ihren Namen.

      Mit einem glücklichen Aufschrei ließ Hanibu die Zügel los, breitete die Arme aus und rannte ihnen entgegen. Schluchzend umklammerte sie die beiden und wollte gar nicht mehr loslassen; Viviane musste aufpassen, damit ihr nichts aus der Hemdtasche fiel, während Loranthus zu viel Schwung holte, um Hanibus Kopf zu tätscheln. Er stellte sich recht unbeholfen an, doch er schien ehrlich gerührt. Fürsorglich nahm er seine Sklavin am Arm und führte sie zu den Pferden zurück. Als sie ankamen, hatte Viviane längst ihren Mantel ausgebreitet, ein Tuch darübergeworfen und ein Brot sowie Sauerklee und Gänseblümchen in zwei Haufen darauf drapiert. Gerade zog sie die gut sitzenden Deckel von zwei Holznäpfchen ab.

      „So, da haben wir auch Butter und Salz, alles Geschenke von unserer guten Wirtin. Setzt euch, wir haben uns eine Stärkung verdient.“

      Mit ihrem Messer schnitt sie dicke Scheiben vom Brot herunter, bestrich sie großzügig mit Butter und legte alle der Reihe nach vor sich auf das Tuch. Loranthus wollte schon zugreifen, doch sie hob mahnend den Finger und er zuckte vor ihrem Messer zurück.

      „Keine Bange, Loranthus, mein Freund, du musst dich nur noch ein wenig gedulden. Jetzt kommt doch erst das Wichtigste.“

      Sie nahm ein Bündel Brunnenkresse in die Linke, schnippelte mit dem Messer kleine Stückchen über die Brote und streute Salz aus dem Näpfchen darüber. Nun machte sie eine einladende Handbewegung.

      Misstrauisch beäugten die zwei Auswärtigen ihre Kochkünste, nahmen aber jeder ein Brot. Viviane kaute schon längst genüsslich und strahlte, als beide nach dem ersten Bissen große Augen machten.

      „Das schmeckt ja wunderbar“, lobte Loranthus und sicherte sich gleich noch eine zweite Scheibe.

      „Ich habe gehofft, es würde euch schmecken. Außerdem reinigt es das Blut und gibt neuen Schwung. Probiert ruhig auch den Sauerklee und die Gänseblümchen. Die Wasserminze kann ich euch leider nicht anbieten, die habe ich für andere Zwecke vorgesehen.“

      Nach dem Essen ließ Viviane ihr Trinkhorn herumgehen.

      Hanibu sah verdutzt auf. „Das schmeckt ja ganz anders als vorhin!“

      Viviane feixte. „Loranthus hat eine verwunschene Lichtung entdeckt. Dort fließt ein kleiner Kieselbach. Wasser ist eben nicht gleich Wasser. Dieses hier hat vielleicht eine heilsame Wirkung auf Haut und Nägel.“

      Hanibu wurde ernst. „Wie hast du ihn vor der Wildsau gerettet?“

      Loranthus lachte laut auf und erzählte seine unheimliche Begegnung, als wäre es ein lustiges Abenteuer gewesen. Nebenbei schob er sich alles in den Mund, was seine Finger erwischen konnten.

      Hanibu starrte ihn mit großen Augen an. „Und die Sau ist ganz von allein wieder weggelaufen? Verstehe ich nicht.“

      „Sie hatte wohl keine Lust zu warten, bis ich herunterfalle.“

      Viviane saß etwas versetzt hinter Loranthus und schnitt Grimassen, damit Hanibu nicht weiter fragte. Zur Sicherheit drückte sie die Deckel auf die Näpfchen, schüttelte ein paar Krümel vom Brottuch und sagte: „So, eine milde Gabe für die kleinen Freunde. Wir reiten weiter. Bald sind wir an der nächsten