Viviane band das sorgsam verschnürte Schwert ab und reichte es ihm sehr langsam.
Ehrfürchtig prüfte er, ob er wirklich zwei ineinandersteckende Schwertscheiden aus Leder in Händen hielt. Er zog ein wenig an der äußeren, unscheinbaren, schob einen Finger in den Spalt, der sich nun auftat, und lugte hinein. Die innere Hülle war tatsächlich aus wesentlich besserem Leder, wie er bereits vermutet hatte, und sicherlich auch hübsch verziert. Usheen nickte zufrieden und vergewisserte sich mit einem raschen Blick zu Viviane hin, ob sie ihre Meinung noch nicht geändert hatte. Dann zog er ganz vorsichtig am Griff, und das Schwert glitt wie von selbst aus der inneren Scheide. Trotzdem hielt er nach dem ersten Stück inne. Er wusste, dass er es nicht weiter herausziehen durfte, denn das galt als Bedrohung eines Kriegers und er wollte Viviane keinesfalls zu einer Gegenhandlung nötigen. Im Gegenteil, er wollte sich des großen Vertrauens, das sie ihm hier offensichtlich entgegenbrachte, würdig erweisen. Das, was er entblößt hatte, reichte völlig, um seine Vermutung zu bestätigen: Zwei Drachen wanden sich um den Baum des Lebens, und es schien fast so, als ob sie Feuer spieen – just in dem Moment, da Sonnenstrahlen das Eisen trafen.
Geblendet riss Loranthus die Hände hoch, doch Usheen flüsterte gebannt: „Ich habe schon viel von diesen Schwertern gehört: Himmelseisen, geschmiedet von kundiger Hand. Es ist einfach wunderbar.“ Er strahlte zu Viviane hinauf. „Noch nie wurde mir eine so große Ehre zuteil wie heute durch dich. Danke, Viviane. Und Danke, dass ich dein Drachenschwert mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Händen berühren durfte.“
Behutsam ließ er die Klinge wieder in die Scheide gleiten und es sah fast so aus, als würde er dabei einem Gesang lauschen, den nicht viele hören durften. Ehrerbietig ging er vor Viviane auf ein Knie und reichte das Schwert mit gesenktem Kopf zurück.
Selbst Angus und Markus gingen auf ein Knie und neigten demütig die Häupter; Hanibu machte es ihnen eilig nach.
Loranthus starrte auf seine Sklavin, starrte auf Angus, Markus, Usheen und verstand nicht, was diese unerwartete Achtungsbezeugung gegenüber Viviane bedeuten sollte. Natürlich war sie schön und klug, und sie konnte meisterhaft kämpfen; gerade eben hatte sie ihren Mut unter Beweis gestellt, um andere zu beschützen, aber zum ‚Auf-die-Knie-Gehen‘ reichte das nicht, jedenfalls nicht bei ihm. Es musste etwas mit dem Schwert zu tun haben.
„Nun ist es aber genug, hört bitte auf damit!“ Energisch zog Viviane Usheen hoch, verstaute das Schwert wieder im Gepäck und sah sich um, um zu sehen, ob jemand die Szene beobachtet hatte. Sie war rot geworden. Das hatte nicht mal der Kampf von vorhin bewirkt.
„Tut mir bitte den Gefallen und erzählt das keinem, besonders nicht dem da hinten, sonst verpassen wir zu Lugnasad die zweite Runde. Ich habe ihm schließlich Revanche versprochen.“ Sie deutete über ihre Schulter auf den Mann, der mittlerweile ohnmächtig im Gras lag. „Nehmt ihn bitte mit auf die Burg, damit sich die alte Wisora um ihn kümmern kann. Sie ist die beste Kräuterfrau hierzulande, glatte Brüche hat sie schon oft geheilt. Und richtet ihr bitte meinen Gruß aus, hab extra präzise zugeschlagen, wusste nämlich nicht genau, ob sie hier einen Arzt haben.“
„Ich bringe ihn zu Wisora. Ich habe noch etwas Platz auf meinem Wagen“, erbot sich Marcus, machte jedoch sogleich ein Gesicht, als ob er diese Zusage lieber wieder rückgängig machen würde.
„Ich danke dir, mein Freund. Er wird dir auch nichts dreckig machen; er blutet nicht und sein Magen ist auch leer. Ach, und sag Wisora noch, sie soll sein Magengeschwür behandeln, ist extrem akut. Am besten gibt sie ihm auch ein paar Tropfen zur Beruhigung, sein Blut muss ruhiger fließen. Und es tut mir leid, dass ich ihn so zurichten musste, aber er war selbst schuld. Nun gut …“ Viviane schaute von Markus zu Angus und hob die Hand zum Abschiedsgruß. „Ich wünsche euch erfolgreiche Geschäfte. Wir sehen uns sicher bald wieder.“
Die beiden nickten eifrig und grüßten zurück, dann machten sie sich an Markus’ Wagen zu schaffen, um die neue Fracht noch mit verstauen zu können.
Usheen trat an Viviane heran und sah treuherzig zu ihr auf, die Worte schienen ihm im Hals stecken geblieben zu sein. Sie nahm ihn einfach in die Arme. „Viel Glück wünsche ich euch und einen schönen Geburtstag.“
„Den werden wir haben!“, jubelte Usheen und rannte, hüpfte, sprang davon; das Gewicht stets nur auf das gesunde rechte Bein verlagernd und den rechten Arm fest gegen den Bauch gepresst.
Viviane schaute nachdenklich zu, wie er mit seinen dürren Beinen im weiten Satz auf der Fähre landete, ihr noch einmal winkte und mit seinen noch viel dünneren Armen den Sitz der Halteleinen überprüfte. Unvermittelt begann sie zu strahlen. „Er soll bald die schlimme Zeit verwunden haben“, murmelte sie vor sich hin. „Dafür werde ich sorgen.“ Ihr Blick glitt über die Wiese, wo Angus und Markus den Bewusstlosen mit sich schleppten, als wären sie drei Saufkumpane auf dem Heimweg. Schnaufend und schwankend holten die beiden Schwung und hievten den Mann in ihrer Mitte über den Wagenverschlag, wobei er mit dem Kopf gegen ein Weinfass stieß und blöde grinste. Angus und Markus schauten auf ihn herab, als überlegten sie, noch ein paar Fässer obendrauf zu stellen.
Viviane konnte nur hoffen, dass sie ihre Fracht ordnungsgemäß abliefern würden.
„Heute nimmst du die Zügel, Hanibu. Dina freut sich schon, von dir geführt zu werden. Nicht wahr, mein Mädchen?“
Dina nickte übermütig und Viviane machte mit.
Wie konnte Hanibu bei derart viel Überzeugungskraft Nein sagen? Zaghaft ergriff sie die Zügel. Viviane war ja bei ihr, es konnte also gar nichts schiefgehen. Sie war jedoch nicht nur aufgeregt, sondern auch sehr glücklich, weil Viviane ihr so viel Vertrauen entgegenbrachte.
„Sag mal, du schwarze Perle, wie hast du es eigentlich geschafft, dass die Männer das Anlegen der Fähre verpassen?“, fragte Viviane, nachdem sie ein Stück geritten waren und sie Hanibu nichts mehr erklären musste. Sie konnte das breite Grinsen zwar nicht sehen, aber sie hörte es aus Hanibus Antwort heraus.
„Das war einfach. Erst habe ich Markus gefragt, ob er ein Weib habe. Er meinte, ja, er wäre seit Kurzem verheiratet. Da habe ich gefragt, ob es bei ihnen in der Hochzeitsnacht auch so zugeht wie bei uns. Prompt wollten alle von mir wissen, was eine Äthiopierin in der Hochzeitsnacht mit ihrem Mann macht. Weil ich nicht alles auf Griechisch ausdrücken konnte, habe ich noch mit Gestik und Mimik dargestellt.“
„Oh, sehr schlau. Das hat sie bestimmt in deinen Bann gezogen.“
Hanibu nickte übermütig. „Besonders Markus war ganz fasziniert.“
„Kann ich mir vorstellen, du scheinst ihm zu gefallen. Aber was macht denn nun eine Äthiopierin in ihrer Hochzeitsnacht?“
Hanibu kicherte. „Erst tanzt sie und dann lässt sie die Sterne tanzen.“
„Sehr aufschlussreich.“ Viviane zog die Augenbrauen hoch. „Danke für die gute Ablenkung.“
„Gern geschehen.“
„Tut dein Arm heute mehr weh als gestern?“
„Ein bisschen mehr, ja.“
„Und deine anderen Blessuren?“
Statt eine Antwort zu geben, seufzte Hanibu und wiegte den Kopf.
„Man sollte rechtzeitig vorbeugen.“ Viviane streckte sich zu einem Weidenbaum, an dem sie gerade vorbeiritten, schnitt ein Ästchen ab und reichte es Hanibu. „Salix. Einfach drauf herumkauen, dann wird es mit der Zeit besser.“
Schweigend ritten sie an vielen Feldern entlang, die rechts und links vom Weg lagen, alle durch dichte Haselnusshecken voneinander abgegrenzt. Auf manchen wuchs Gras und Kühe, Ziegen oder Schafe weideten darauf, andere waren sauber bestellt, und auf einigen wurde noch die Saat ausgebracht.