5
»Guten Morgen, ich fange heute mit der Wäsche an.« Frau Moosleitners glockenhelle Stimme erfüllte das Haus. Sie zog den Haustürschlüssel ab, nahm ihre Gesundheitslatschen aus der Tasche, schlüpfte hinein, hängte dann die Tasche an die Garderobe und machte sich ans Werk. Ein so großes Haus in Schuss zu halten, erforderte Konzentration und Fleiß. Sie lauschte, das Auto von Frau Herzberg stand noch in der Auffahrt. Normalerweise wurde sie von ihr immer freundlich begrüßt, wenn sie zu Hause war. Aber es war mucksmäuschenstill. Wahrscheinlich war sie mit ihrem Mann weggefahren, denn sein Auto war nicht da. Frau Moosleitner trabte in den Keller und sortierte die Wäsche.
Eine Stunde später – sie hatte bereits Wäsche gewaschen, einen großen Korb Hemden gebügelt und Schmutziges vorsortiert – kam sie mit einem großen Stapel die Kellertreppe herauf, als plötzlich Dirk Herzberg vor ihr stand. Da sie glaubte, sie wäre im Haus alleine, erschrak sie dermaßen, dass ihr fast die Wäsche aus den Händen fiel. »Ja, um Gottes willen, was machen Sie hier?« Frau Moosleitner sah Dirk Herzberg mit großen Augen an.
»Entschuldigung, ich wohne hier«, entgegnete dieser ohne jeglichen Humor, drehte sich um und schlurfte in Richtung Küche.
Augenblicklich bereute sie, was sie gesagt hatte, und schob eine Erklärung hinterher: »Ich dachte, es wäre niemand im Haus. Ihr Auto ist nicht da, und auf mein Guten Morgen hat niemand geantwortet, da dachte ich …« Elli Moosleitner war das Ganze sehr unangenehm, sie spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg.
»Ach, schon gut. Ich habe gestern Abend einen über den Durst getrunken und das Auto stehenlassen. Lieber ein Taxi bezahlen, als den Führerschein zu verlieren. Deshalb ist mein Auto nicht da. Es tut mir leid, dass ich Sie so erschreckt habe.« Er stand an der Espressomaschine und sah aus dem Fenster. »Meine Frau muss aber noch da sein, ihr Auto steht in der Auffahrt.«
»Das ist ja das Komische. Sie ist nicht da, und der Hund auch nicht.« Frau Moosleitner war in die Küche gekommen und sah nun gemeinsam mit Dirk Herzberg aus dem Küchenfenster.
6
Reflexartig hielt er ihr mit der Hand den Mund zu und zischte: »Keinen Mucks, sonst mache ich dich kalt.« Der Lappen mit Chloroform lag neben ihr im Kofferraum, er angelte ihn sich und drückte ihn ihr auf Mund und Nase. Es dauerte etwas länger, aber nach einiger Zeit verlor sie wieder das Bewusstsein. Er verklebte ihr Augen und Mund, dann schulterte er sie und brachte sie in die Waldhütte. Der Schlüssel war dieses Mal gut zu finden, er befand sich in einem Astloch, genau wie beschrieben. In der Hütte war es stockfinster, nur durch die Tür drang ein wenig Licht herein. Die Fensterläden waren geschlossen, elektrisches Licht gab es sowieso keines. An der Decke fand er zwei Eisenringe, wie vom Auftraggeber beschrieben, gerade in der Höhe, dass er ihre Hände daran mit Kabelbindern befestigen konnte. Da hing sie nun wie Jesus am Kreuz. Ihr Kopf vornüber gebeugt, ihr dünnes Sommerkleid am Saum zerrissen. Ein jämmerlicher Anblick. Nun konnte er mit ihr machen, was er wollte.
Eine Welle des Hasses durchströmte mit einem Mal seinen Körper. Seine Fäuste ballten sich, er musste diese unbändige Wut loswerden. Diese Scheißweiber, erst machen sie einen geil und dann … Ab da ergriff etwas von ihm Besitz, er war nicht mehr er selbst. Sie musste sterben. Erst wenn sie tot war, würde er zufrieden sein. Er legte ein Seil, das er am Boden fand, um ihren Hals und wartete, bis sie aufwachte. Das Handy hatte er in der linken Hand, in der rechten Hand das Ende des Seils. Die Klebestreifen hatte er abgerissen, sie würde ihn ohnehin nicht beschreiben können, weil sie gleich sterben würde. Nach einigen Minuten kam sie zu sich. Sie öffnete langsam die Augen und sah ihn an. Dann versuchte sie, sich auf ihre wackeligen Beine zu stellen. Das war der Moment, als er auf Aufnahme drückte. Er drehte ganz langsam am Ende des Seils, sodass es sich eng um ihren Hals zog. Er drehte es immer fester, sie wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Ungläubig sah sie ihn an. Sie konnte nicht glauben, dass sie jetzt sterben würde.
7
Senior: Hat es geklappt?
Bursche: Ich denke schon.
Senior: Kann man die Spur auch ganz sicher nicht zu uns verfolgen?
Bursche: Nein. Kontakt geht nur über das Darknet. Und Prepaidhandy. Keine Sorge.
Das Telefonat wurde beendet und Senior lehnte sich in seinem Ohrensessel zurück. Er nahm die Fernbedienung seiner Bang&Olufsen-Stereoanlage in die Hand und drehte den Ton lauter. Beethovens Klavierkonzerte hatten immer wieder ihren Reiz.
»Liebling, bist du da?« Er hörte die Stimme seiner Frau.
»Nein, die Putzfrau hört heute Beethoven.« Manchmal konnte er die Dummheit seiner Ehefrau kaum noch ertragen.
8
Nachdem Dirk eine kalte Dusche genommen und drei Tassen Espresso getrunken hatte, fühlte er sich etwas besser. Er sah auf die Uhr, es war 12.30 Uhr. Mit schweren Schritten ging er zu seinem Laptop, ihm graute vor den E-Mails. Rechnungen, Mahnungen, Erinnerungen, nichts, was man gerne las. Der eine oder andere Gläubiger wurde bereits unangenehm. Die Schweizer hatten ihm eine Lösung angeboten. Er musste darauf eingehen.
Frau Moosleitner, die nach stundenlangem Saugen nun, mit Wischmopp und Eimer bewaffnet, die Treppe herunterkam, sprach ihn vorsichtig an:
»Herr Herzberg, ich mache mir langsam Sorgen um Ihre Frau. Sie ist schon mindestens drei Stunden weg. Bei der Hitze ist man froh, wenn man im Haus ist. Sie läuft ja auch immer alleine in den Wald. Ich habe ihr schon so oft gesagt, dass das gefährlich ist. Soll ich einmal in den Wald gehen und sie suchen?«
»Nein, um Gottes willen, vielleicht möchte sie ein wenig alleine sein. Machen Sie sich mal nicht allzu viele Sorgen. Ich bin sicher, sie taucht bald auf.« Dirk hatte nicht den Mut, seinen Laptop zu öffnen. Er steckte ihn in seine Tasche, stellte ihn in den Flur und wählte die Telefonnummer der Taxizentrale.
Wenige Minuten später hörte Frau Moosleitner nur noch die Tür ins Schloss fallen. Bei einem Blick aus dem Fenster sah sie Dirk Herzberg in ein Taxi steigen. Kopfschüttelnd putzte sie weiter. Die Art und Weise, wie er ihr geantwortet hatte, bedeutete: »Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram.«
9
Er stellte sich vor, wie er als freier Mann in ein paar Jahren die Welt bereiste. Dokumentationen im Fernsehen über fremde Länder hatten ihn schon immer fasziniert. In Darmstadt angekommen, stand Tommy bereits vor der Buchhandlung. Er sandte ihm ein schiefes Lächeln, er wollte sein Geld haben.
»Mann, Tommy, so pünktlich? Was ist los? Brauchste Geld?« Hattinger lief mit finsterer Miene auf Tommy zu.
»Was soll los sein? Ich will meine Kohle, so wie ausgemacht. Du siehst aber scheiße aus, ist was passiert?« Er sah Hattinger durchdringend an. »Du siehst aus, als hättest du ’nen Geist gesehen. Egal – die Schule wird langsam anstrengend, wie wollen wir weitermachen? Soll ich für dich auch noch die Prüfung schreiben, oder was? Das kostet dann aber ’ne Stange.«
Hattingers Gesichtszüge wurden hart. Er näherte sich Tommy bedrohlich und blickte ihm tief in die Augen.
»Jetzt können wir ja kaum was anderes machen. Ich gebe dir 2.000 Euro, wenn du für mich die Prüfung schreibst.«
»Mann, Frank, so war das aber nicht geplant. Du hast gesagt, ich soll ein paar Mal für dich zur Schule gehen. Nun sprichst du davon, dass ich für dich die Prüfung schreiben soll. Aber spätestens dann muss ich einen Ausweis vorlegen, und dann bin ich nicht Frank Hattinger.«
»Blödsinn, ich lasse dir einen falschen Ausweis machen, und damit gehst du zur Prüfung.« Hattinger grinste.
»Also gut, leg noch ’ne Schippe drauf, 3.000, und du bekommst einen guten Abschluss.«
»2.500, mein letztes Wort.« Hattinger hielt Tommy seine rechte Hand hin, und der schlug ein.
Hattinger zahlte die letzten Schultage an Tommy, ging aus dem Bahnhofsgebäude