Letztere hatte durch den Einsatz einfacher Technologie wie Mikrophon, Kopfhörer und Tonübertragung bereits sehr früh das professionelle Konferenzdolmetschen ermöglicht. Das ortsunabhängige Remote Interpreting (RI), durch Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglichte Dolmetschleistungen, definiert als „interpreter mediated communication delivered by means of information and communication technology“ (Fantinuoli 2018:4), begann mit Hilfe des TelefonsTelefondolmetschen als ‚Over-the-Phone Interpreting (OPI)‘. In einer Studie zum US-amerikanischen Markt verwendeten 68 % der befragten Dolmetschunternehmen solche Systeme (CSA 2018). Eine etwas geringere Verbreitung verzeichnete in derselben Studie das Video Remote Interpreting (VRI), das 58 % der Befragten benutzten. Technologischer Fortschritt in der Video- und Tonübertragung über das Web nach der Jahrtausendwende führte dazu, dass eine neue Qualität des RI erreicht werden konnte, das Remote Simultaneous InterpretingRemote Simultaneous Interpreting (RSI). Darunter versteht man eine virtuelle Dolmetschkabine mit geographisch unabhängigen Dolmetscher:innen, die Gespräche und Konferenzen in Echtzeit dolmetschen können. Ermöglicht werden dadurch virtuelle Konferenzen, bei denen sich neben Dolmetscher:innen Vortragende und Teilnehmer:innen räumlich unabhängig voneinander zu Konferenzen und Diskussionen zusammenfinden können. In der bereits zitierten US-Umfrage verwendeten 2018 lediglich 23 % diese Form der Unterstützung. Bis vor kurzem wurde noch darüber gestritten, ob diese Form des RI überhaupt zugelassen werden darf. Heute hingegen diskutieren Berufsverbände (zum Beispiel AIIC 2019) darüber, welche Standards dabei eingefordert bzw. wieweit bestehende Standards angepasst werden müssen (vgl. Fantinuoli 2018:5).
Auch in diesem Bereich sind die Innovator:innen bzw. die frühen Anwender:innen unter den großen Technologiekonzernen aus Kalifornien zu finden. So wurden RSI-Plattformen an Entwicklerkonferenzen dieser Unternehmen zum ersten Mal mediengerecht zur Anwendung gebracht: 2018 vom Dienstleistungsanbieter Interprefy.com, 2019 durch das Unternehmen KUDO an der Facebook Entwicklerkonferenz F8.
3 Automatisierung
Nach diesem ersten Schritt der Unterstützung des Menschen durch Technologie scheint nun die nächste Stufe der Entwicklung vor der Tür zu stehen: Die Maschine nicht mehr als Hilfsmittel, sondern als vollständiger Ersatz des Menschen in zentralen Aufgabenfeldern. Das als technologische Singularität bezeichnete Phänomen markiert den Zeitpunkt, an dem die Maschine die Intelligenz des Menschen erreicht und in der Folge übertrifft (vgl. Kurzweil 2001; TAUS 2016).
Erste Versuche, den Menschen in der Sprachmittlung zu ersetzen, gehen zurück auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges und der darauffolgenden Ära des Kalten Krieges, einer Zeit des Misstrauens zwischen den großen Mächten, das man u.a. auch durch maschinelle ÜbersetzungssystemeDigitalisierungMaschinelles Übersetzen zu überbrücken versuchte. Die ersten Systeme, die auf einfachen lexikalischen und syntaktischen Regeln beruhten, erfüllten aber nicht die hohen Erwartungen. Auch die stetige Weiterentwicklung brachte nicht den erhofften Durchbruch, bis Anfang der 1990er-Jahre IBM einen grundlegenden Wandel von linguistischen Regeln hin zu datenbasierten statistischen Grundlagen wagte und damit den Weg für eine breitenwirksame webbasierte Maschinenübersetzung bereitete (1997 Altavista, 2006 Google Translate).
Für Lai:innen und für berufliche Übersetzer:innen unterscheidet sich die Zeitkurve der Anwendung maschineller Übersetzungssysteme erheblich: Lai:innen haben sich rasch an die Leichtigkeit von Google Translate und Microsoft Translator gewöhnt, da diese kostenlosen Online-Systeme sehr schnell mühelos große Mengen an Text übersetzen können, auch wenn die Qualität nur zum groben Verständnis reichte. Frühe Anwender:innen dieser Form von MÜ lassen sich etwa gegen Ende des zweiten Jahrtausends ansiedeln, eine allgemeine und breite Durchsetzung fand ungefähr zehn Jahre später statt. So wurde für das Jahr 2010 angenommen, dass ab diesem Zeitpunkt ein größeres Volumen an Text durch die Maschine übersetzt wurde als durch menschliche Übersetzer (TAUS 2016:18).
Zunächst aber waren im Bereich des professionellen Übersetzens die Vorbehalte gegenüber der Qualität der ersten regelbasierten maschinellen ÜbersetzungssystemeDigitalisierungMaschinelles Übersetzen sehr groß, was zu einer allgemeinen Ablehnung und Abgrenzung führte. Erst nach der breiten Einführung und Durchsetzung der statistischen maschinellen Übersetzungssysteme – Google Translate stellte sein Online-System 2007 um – und der Verfügbarkeit entsprechender Software, die sich auf der Basis eines umfangreichen Korpus an Textmaterial relativ einfach zu maßgeschneiderten maschinellen Übersetzungssystemen trainieren ließen (zum Beispiel Moses), sowie einer Steigerung der Qualität wurden diese für bestimmte Zwecke auch von Übersetzungsunternehmen eingesetzt. Rund 30 % der Unternehmen sehen 2019 in einer Umfrage zu den Erwartungen und Sorgen der europäischen Sprachdienstleister:innen Maschinenübersetzung als positiv, 2018 waren es noch 15 %, während 20 % gegenüber 22 % 2018 sie als negativ einschätzen (ELIA 2019:37). Wesentlich negativer werden in dieser Studie die Auswirkungen der Maschinenübersetzung von Einzelübersetzer:innen eingeschätzt, 28 % beurteilen diese negativ und nur 8 % positiv.
Eine deutliche Steigerung der Anwendungskurve kann im professionellen Umfeld nach der Optimierung der maschinellen Übersetzung durch das Einbinden Künstlicher IntelligenzDigitalisierungKünstliche Intelligenz in neuronalen maschinellen Übersetzungssystemen (zum Beispiel 2016 DeepL) beobachtet werden. Die dadurch erreichte Qualitätssteigerung ermöglichte den erfolgreichen Einsatz neuronaler Systeme in immer zahlreicheren Kontexten und brachte mit sich, dass sich kaum jemand mehr diesen Werkzeugen entziehen kann. Beigetragen hat dazu vor allem eine verringerte Erwartungshaltung gegenüber dem Output maschineller Übersetzung im Allgemeinen. Im berühmten ALPAC (American Language Processing Advisory Comitee) Bericht des Jahres 1966, der ein ernüchterndes Fazit zu den ersten maschinellen Übersetzungssystemen gezogen hatte, war noch die Rede vom erstrebenswerten Ziel der vollautomatischen hochqualitativen Übersetzung („fully automated high quality translation“, FAHQT), während dies in den letzten Jahren relativiert wurde und TAUS (2016) heute von der vollautomatischen verwendbaren Übersetzung („fully automated usable translation“, FAUT) spricht.
Neuronale MaschinenübersetzungDigitalisierungNeuronale Maschinenübersetzung bindet Künstliche Intelligenz durch das maschinelle Lernen aus zweisprachigen Textkorpora ein, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lesbarkeit des Zieltextes führte. Je höher die Qualität der vorliegenden Übersetzungen, je konsistenter Terminologie und Übersetzungen, desto besser wird auch das Produkt solcher Systeme sein.
MT language is all retrospective, based on past language production, whereas human language use is creative and adaptable dependent on entirely different rules to those used in the algorithms that re-create past language. (Griffin-Mason 2018:76)
Die Übersetzung ist jedoch fehleranfällig, wenn ein Ausgangstext nicht durch entsprechende Beispiele im Trainingskorpus abgedeckt wird oder gegensätzliche Übersetzungen bzw. Fehler im Dateninput vorkommen.
Der Einsatz der Maschine beim Dolmetschen erweist sich als komplexer Vorgang, da in Echtzeit zuerst gesprochene Sprache anhand von Spracherkennungsalgorithmen in Text umgewandelt, dieser dann von der Maschine übersetzt und schließlich durch automatische Sprachsynthese wieder in gesprochene Sprache umgewandelt werden muss. Trotz einiger einfacher Anwendungsbeispiele konnte für den professionellen Dolmetscheinsatz bisher noch keine zufriedenstellende Anwendung entwickelt werden.
Bisher gibt es noch keine Technik, die menschliche Dolmetscher ersetzen kann, von Apps, mit denen sich Touristen und Geschäftsleute kurze Sätze übersetzen lassen können, einmal abgesehen. (Gätjens et al. 2019:363)
Neuere Forschungsanstrengungen versuchen mit Hilfe Künstlicher IntelligenzDigitalisierungKünstliche Intelligenz und neuronaler Übersetzungssysteme das maschinelle Übersetzen gesprochener Sprache („speech to speech translation“, S2ST) zu verbesseren und damit die Automatisierung des Dolmetschens voranzutreiben. Innovatoren sind dabei auch hier die großen Technologiekonzerne (Google Translate Conversation Mode, Microsoft