Forschungen zu mehrsprachigem Erleben haben sich in den letzten Jahren mit den von Sprecher:innen erlebten Wechselwirkungen zwischen Sprachen und Gesellschaft beschäftigt1: Ziel dabei war/ist, zu verstehen, wie sich Sprecher:innen mit ihren Sprachen fühlen, welche ihnen als Ressource dienen, aber auch welche Erlebnisse von Ausgrenzung oder Konflikten sie damit verbinden. In meiner eigenen Forschung stehen Familien und Bildungskontexte im Zentrum, wobei ich besonders die Frage interessant finde, wie sich Sprecher:innen ihre sprachliche Zukunft ausmalen und wie das ihre gegenwärtigen Entscheidungen beeinflusst. Am Beispiel einer Sprecherin aus einem aktuellen Projekt zu deutschsprachigen Familien in Norwegen (Purkarthofer & Steien 2019), soll hier mehrsprachiges Spracherleben illustriert und ein Beispiel für die komplexen Zusammenhänge des linguistischen Repertoires gegeben werden:
Bild Sprachporträt
Frau A ist als junge Erwachsene mit ihrem Partner aus beruflichen Gründen von einem DACH-Land nach Norwegen ausgewandert, wo sie mit ihren zwei Kindern leben. Ihre Sprachbiographie beginnt mit dem Zeichnen eines Sprachporträts (Busch 2017a), indem sie die Sprachen, die für sie relevant sind, in eine leere Körpersilhouette einzeichnet und beschreibt, in welchem Verhältnis diese zueinanderstehen bzw. mit welchen Emotionen diese verbunden sind. Deutsch, Englisch und Norwegisch werden als die Sprachen ihres Alltags zentral im Kopf und Körper positioniert. Frau A beschreibt, wie jede dieser Sprachen eine besondere Bedeutung für sie hat – die bildliche Darstellung übereinander oder parallel steht also nicht für Austauschbarkeit, sondern für die sprachliche Funktion, die nur durch das Zusammenwirken der Sprachen erfüllt werden kann. Als mehrsprachige Sprecherin in einem Beruf, der sehr großen kommunikativen Anteil hat, beschreibt Frau A im folgenden Ausschnitt ihre Wahrnehmung als mehrsprachige Sprecherin, mit einem besonderen Fokus auf Sprecher:innen der Mehrheitssprache, u.a. ihre Kolleg:innen in der Arbeit:
Exzerpt 12: Vielleicht [erlebe ich das, Anm.] auch, weil ich so aussehe wie ich aussehe und Norwegisch spreche, also ich mein jeder hört, dass ich Ausländer bin, aber trotzdem, ich sprech natürlich gut und, dass eigentlich der Umstand, dass ich Migrant bin, ist etwas was grundsätzlich nicht wahrgenommen wird, also die meisten Leute denken NIE daran, dass ich jeden Tag mit denen ja‚ ne Fremdsprache sprech. Und das ist schon ok, aber ich finde manchmal/ also das hat ja sehr viele Vorteile, aber ich finde der Nachteil ist, sozusagen, das eigene Migrantendasein ist so mein Privatvergnügen.
Die hier formulierte Wahrnehmung macht zwei Aspekte des SpracherlebensSpracherleben deutlich, einmal die erlebte Einordnung oder auch Nicht-Einordnung als Migrantin und zweitens die Anstrengung des Agierens in einer Zweit-, Dritt- oder Viertsprache und die Nicht-Wahrnehmung dieser Anstrengung durch Kolleg:innen. Während Frau A sich des Privilegs einer gewissen Unsichtbarkeit sehr bewusst ist (u.a. wenn sie die Vorteile erwähnt), formuliert sie doch auch eine Unzufriedenheit, die sich aus der Unkenntnis (und der von ihr empfundenen Interesselosigkeit an) ihrer Situation speist.
Neben den drei Sprachen im Zentrum stehen auf der linken Seite im Porträt außerdem die Sprachen, die Frau A selbst in der Schule erlernt hat. In Rahmen des Projekts, in dem ich mit Frau A spreche, steht mehrsprachiges Familienleben im Zentrum und dementsprechend ist auch die eigene Herkunftsfamilie relevant. Aber auch die Sprachen der Arbeit werden immer wieder thematisiert. Frau A ist jedoch die einzige TeilnehmerIn, die in ihrem SprachporträtSprachporträt gedolmetschte Sprachen erwähnt: Auf der rechten Seite sind jene Sprachen aufgeführt, die ihr in ihrem Beruf teilweise nur durch Dolmetschung zugänglich werden: Somali, Farsi, Pashto, Dari, Thai, Französisch und Englisch. Dabei sind Norwegisch und Englisch als Sprachen aufgeführt, in die gedolmetscht wird bzw. die als Verständigungssprachen mit Sprecher:innen anderer Sprachen genutzt werden.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommt die Rede auf Fragen der Sprachwahl und unter anderem auch auf die Entscheidung für eine zweisprachige Schule für die eigenen Kinder.
Exzerpt 2: Wenn wir jetzt an der norwegischen Schule wären, dann wär halt/ unser Sohn würde da halt mitlaufen [mhm] und dass wir halt jetzt Migranten sind, das wär halt so ein bißchen 'ja mei' und in der deutschen Schule sind ja alle Migranten, [mhm] oder nicht mal, viele sind ja auch diese Expatriots, ja aber, auf jeden Fall aber alle leben irgendwie nicht zuhause und das find ich unglaublich, also sowohl sprachlich [mhm] find ich das angenehm, weil man halt zum Beispiel schon Verständnis dafür hat, dass man mehrere Sprachen spricht, und so, aber auch einfach so/ als so ‚ne Bewusstheit, dass sozusagen das nicht selbstverständlich ist, dass ich Sachen mach wie du.
Die Unsichtbarkeit, die Frau A in Bezug auf ihre eigene Position wahrnimmt, antizipiert sie auch für die Kinder: In einer (nur) norwegischsprachigen Schule würden sie einfach wie alle anderen sein. Dies stützt sie auch auf bisherige Erfahrungen aus dem norwegischsprachigen Kindergarten, in dem der sprachliche Hintergrund ihres Kindes kaum wahrgenommen wurde. Als ein relevanter Faktor für die Wahl der deutsch-norwegischen Schule wird also das geteilte Spracherleben der Migrationserfahrung gesehen, das abstrahiert wird zu einer generellen größeren Offenheit der zweisprachigen Schule gegenüber dem mehrsprachigen Alltag der Familien. Und schließlich auch gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen.
2 Mehrsprachige Kontexte
Diese kurzen Gesprächsausschnitte geben bereits Einblicke in die zahlreichen Weisen, wie sich mehrsprachige Kontexte für Sprecher:innen gestalten: in der Familie, in Arbeit oder Schule, in der Wohnumgebung, um nur einige zu nennen. In allen diesen sozialen Räumen beeinflussen spezifische sprachliche Erwartungen und Anforderungen die sprachliche Wahl von Sprecher:innen, aber auch ihre Möglichkeiten und eventuelle Bedürfnisse nach Dolmetschung.
In der linguistischen Forschung lassen sich an der Begriffsgeschichte des ‚Kontexts‘ relevante Paradigmenwechsel feststellen, da die Verschiebungen der als relevant erachteten Analyseeinheiten immer auch mit einem veränderten Verständnis von Kontext einhergingen. Duranti & Goodwin (1992) fassen vier Aspekte von Kontext zusammen: setting, behavioural environment, language as context und extrasituational context. Sie weisen darauf hin, dass neue Kontexte sich aufgrund veränderter Aktivitäten ergeben (neue Tätigkeiten, Orte, etc.), aber auch, indem im Gespräch verschiedene Kontexthinweise (zeitliche, räumliche Orientierung durch sprachliche und nonverbale Mittel) gegeben werden. Damit sind Kontexte also nicht per se gegeben, sondern werden von handelnden Sprecher:innen bewusst oder unbewusst gestaltet. Schon Malinowski bezog sich in frühen Arbeiten (2002 [1935]) auf den Kontext einer Situation als relevant für das Verständnis sprachlichen Handelns und soziolinguistische Studien haben zunehmend die Bedeutung des sozialen Kontexts wahrgenommen. Goffman (1980) hat diese interaktionale Arbeit als framing bezeichnet, das dazu dient, Gesprächsbeiträge in ein verständliches Format zu bringen, auf die Wissensstände der Interaktanten einzugehen und eventuell notwendige Kontexthinweise zu geben.
Schließlich geben Duranti & Goodwin aber auch noch ein Beispiel,